Weinstein IIIb

Hier

Ganz allgemein gesagt, man kann schon der Ansicht sein, dass trotz Verfahrensfehler die Haftstrafe für Weinstein ok ist, und dass eine etwas kürzere Haftstrafe immer noch „lang genug“ sei.

Oder man kann sich über die Staatsanwaltschaft ärgern.

Oder aber, man macht das:

Die Aufhebung eines Urteils gegen den Vergewaltiger Harvey Weinstein verhöhnt dessen Opfer. Wir sollten das nicht zulassen, findet Jagoda Marinić.

Ja, manche fühlen sich sicherlich verhöhnt. Das ist aber nicht der Grund für dem Beschluss, ein Gerichtsurteil zu kassieren. Außerdem steht es „uns“ nicht zu, dergleichen zuzulassen oder nicht.

Es war ein Domino-Moment weiblicher Solidarität, der in vielen die Hoffnung weckte, der Feminismus habe eine zentrale Achse des Patriachats zerschlagen: den sexuellen Missbrauch in der Arbeitswelt.

Welches Patriarchat? Was für eine Achse? Inwiefern würde ein Mann davon profitieren, dass ein anderer Mann Frauen missbraucht? Das ist eine Illusion. Jemand begeht  möglicherweise Verbrechen, die so nur mit einer wirtschaftlichen Macht ermöglicht wurden. Diese Macht verhindert aber höchstens, dass die Verbrechen zur Anzeige kamen, nicht aber, dass angezeigte Verbrechen zum Rechtsweg und zu Verurteilungen führten. Die ganze Narration, dass das „früher“ anders gewesen wäre, beruht eher darauf, dass das „früher“ nicht versucht wurde.

Bilder von Schauspielerinnen in schwarzen Kleidern auf rotem Teppich gingen um die Welt, Missbrauchsgeschichten standen in den Zeitungen und Magazinen. Jeder konnte lesen, wie perfide das Showbusiness mit den Träumen talentierter Frauen umging.

Offenbar war es nicht verboten, darüber zu berichten. Und man mag sich auch schon gleichzeitig fragen, welche talentierten Frauen genau deshalb jetzt ganz woanders arbeiten.

Die Frau, die in einer männerdominierten Filmwelt etwas werden will, muss für diesen Wunsch mit ihrem Körper bezahlen, das war der Anspruch der Männer. Kränkte sie deren Ego, musste sie erst recht bezahlen: Weinstein setzte Unwillige auf schwarze Listen.

Vom Anspruch „der Männer“ zu „Weinstein“. Ich behaupte nicht, dass alle anderen Männer in Hollywood oder sonstwo vorbildliche Menschen sind, aber die allermeisten Männer in Hollywood hätten nicht die Macht, irgendeine Frau zu irgendwas zu zwingen. (Nebenbei ist dergleichen auch nicht dasgleiche wie eine Vergewaltigung, aber davon mal ganz ab.)

Wie oft habe ich seither gehört, die Schauspielerinnen hätten für ihre Prinzipien Hollywood den Rücken kehren müssen!

Keine Ahnung – ist im konkreten Fall auch egal. Den Schauspielerinnen wird ja nicht vorgeworfen, ihren Kolleginnen alle Jobs, oder zumindest die besten, weggenommen zu haben.

Ja, Frauen sollten am besten überall verschwinden, wo Männer sich an ihnen vergehen.

Sollten Frauen etwa von da verschwinden, wo Männer sich nicht an ihnen – bzw. ihren Kolleginnen – vergehen? Ein Grund für das steile Machtgefälle, das Weinstein zweifelsohne hatte, ist ja gewesen, dass es mehr Schauspielerinnen als Rollen gibt und sehr wenig Mega-Produzenten.

Wann ist Schluss mit dieser Himpathy?

Wenn ich einer Frau dazu rate, eine für sie sehr schlechte Umgebung zu vermeiden, habe ich „Himpathy“? Ok, dann rate ich in Zukunft nur Männer, Gefahren zu vermeiden.

Wie lange noch zeigen wir uns bei Männern empathisch, ordnen Frauen jedoch immer bei Eva und dem Sündenfall ein?

Dass man mit Männern mehr Empathie hätte als mit Frauen unter ansonsten gleichen oder auch nur ähnlichen Bedingungen, ist nicht einmal ein Narrativ, sondern sehr offensichtlich falsch. Ich frage daher nicht nach dem „wir“, da Marinić nichtmal sich selbst meint.

Der Fall Weinstein ist der Kern der #MeToo-Bewegung. Im Zuge der Enthüllungen verloren mehr als 200 Männer wegen sexuellen Missbrauchs und Nötigung ihren Job.

Ja? Wo dann Problem? Weinstein hat seinen Job auch nicht mehr.

In dieser Stimmung besetzte man Frauen nach.

Weinsteins Assistentin macht übrigens jetzt hierbei mit. Jetzt ist ein Jahr als persönliche Assistentin nicht so richtig viel, aber wie man die Kurve von „alle haben es gewusst und geschwiegen“ zu „sie wusste von nichts“ kriegen will, weiß der Gilb.

Auch in Deutschland machte der Siegeszug Mut und veränderte auch die Arbeitsatmosphäre für Frauen zum Besseren.

Ich will jetzt nichts schönreden, aber in den allermeisten Branchen muss die Arbeitsatmosphäre besser sein als für Schauspielerinnen in Hollywood.

Und nun heißt es: ein Verfahrensfehler! Was bedeutet das? Und stimmt es, dass es nur am Verfahren liegt?

Keine Ahnung? Ich bin weder Journalist noch Jurist.

In den USA ist eine Diskussion darüber entfach, weil drei der sieben Juroren gegen die Aufhebung des Verfahrens gestimmt haben und im Anschluss öffentlich erklärten, die Entscheidung der anderen vier Kollegen sei falsch.

Wenn die vier Juroren aber sagen, dass die drei Unrecht hätten, entscheidet dann nicht die Mehrheit?

Es sollte dadurch das Ausmaß des Machtmissbrauchs deutlich werden.

„Machtmissbrauch“ ist noch kein Verbrechen. Wenn jemand behauptet, vor dreißig Jahren von Weinstein beklaut worden zu sein, beweist das nicht, dass Weinstein heute jemand ganz anderen beklaut hat.

Über mehr als den vorliegenden Fall zu sprechen, sei rechtswidrig gewesen. Die Mehrheit der Richter des New Yorker Obersten Gerichtshof gaben ihnen Recht.

Es beweist nichts über den jetzigen Fall. Und es ist auch verboten, jemanden nach Ablauf einer Verjährungsfrist zu belangen.

Zurecht bedauern diese den Rückfall in Zeiten, in denen jede missbrauchte Frau für sich allein kämpfen muss, was sie letztlich abschrecken könnte, Anzeige zu erstatten.

Eigentlich schreckt das davor ab, zu lange zu warten. Oder sollte es zumindest. Wie kann ein strenges Einhalten von Gesetzen, einschließlich der Prozessordnung, Misstrauen ins Rechtssystem schüren?

Viele zu Wort kommen zu lassen, war ein Teil des Wandels in der Rechtsprechung; die Betroffenen erhielten so Unterstützung.

Was hat eine Zeugin davon, Zeugin zu sein, aber nicht Nebenklägerin?

Schon kriechen im Netz und anderswo alle jene aus den Löchern, die in #MeToo bloß eine Gefahr für den Rechtsstaat sehen.

Wer sich Sorgen um den Rechsstaat macht, ist ein höhlenbewohnendes Tier.

Dabei besteht kein Zweifel an Weinsteins Schuld, er ist ein verurteilter Vergewaltiger.

Das ist doch genau das Problem – wenn er ein Vergewaltiger ist, aber wegen solcher Rechtsbeugungen freikommt, wer profitiert davon am meisten?

Die Aufhebung des Urteils ist eben nicht nur eine Verfahrungsfrage. Es ist auch der Versuch, die Debatte neu aufzurollen. Frauen sollen wieder eingeschüchtert werden.

Nein, es ist eine Verfahrensfrage. Vllt nicht „nur“ eine Verfahrensfrage, aber ausschließlich eine Verfahrensfrage. Wenn #MeToo durch rechtstaatliches Prozedere ernsthaft gefährdet sein kann, dann liegt die Schuld nicht beim Rechtsstaat.

Wenn #MeToo etwas gelungen ist, so war es, endlich die Opfer sexueller Gewalt zu schützen – und nicht immer nur den Täter.

Wer soll denn Täter geschützt haben? Die Medien?

Die Frauen werden nicht zulassen, dass seine Anwälte diesen Erfolg zunichte machen.

Ähh, sorry, Gerichtsurteile sind nicht dafür da, dass man sich gut fühlt.

Weinstein selbst kann sie jedoch sogar aus dem Knast heraus noch zwingen, erneut durch die Hölle zu gehen.

Weinstein zwingt sie zu gar nichts. Das ist ein völlig abwegiges Verständnis von Justiz und Strafverfolgung.

Geht es hier um den Rechtsstaat oder um die Verhöhnung missbrauchter Frauen, die den Mut hatten, zu klagen und zu sprechen?

Um den Rechtsstaat. Bzw., die Frauen, die klagten, sind ja nicht nicht das Problem, sondern die Staatsanwaltschaft und der Richter, die die falschen Zeuginnen vorluden.

Ich möchte in einer Kultur leben, in der #MeToo etwas bewirkt hat zugunsten missbrauchter Frauen.

Und ich möchte in einem Rechtsstaat leben. Die implizierte Behauptung, man könne nur unter Umgehung selbigens gegen Weinstein vorgehen, ist nicht nur gefährlich, sondern auch dumm. Ohne Rechtsstaat haben mächtige Männer und Frauen mehr Möglichkeiten, nicht weniger, die ohnmächtigen zu besiegen.

Hinterlasse einen Kommentar