Neue Oberstufenvereinbarung : Wie das Abitur in Zukunft vergleichbarer werden soll

Mehr Grundkurse, weniger Leistungskurse und einheitliche Regelungen bei Klausuren: Die neue Oberstufenvereinbarung, die die Kultusministerkonferenz Mitte März beschlossen hat, soll für eine größere Einheitlichkeit und damit Vergleichbarkeit der Abiturnoten sorgen. Das Schulportal stellt die neuen Regelungen vor, die spätestens für das Abitur 2030 gelten sollen.

Schüler bei der Abiturprüfung Neue Oberstufenvereinbarung
Die Abiturnoten sollen vergleichbarer werden. Mit diesem Ziel hat die Kultusministerkonferenz nun eine neue Oberstufenvereinbarung beschlossen.
©Sina Schuldt/dpa

Die Kultusministerkonferenz hat eine neue Oberstufenvereinbarung beschlossen. Sie soll spätestens für die Schülerinnen und Schüler gelten, die 2027 in die Einführungsphase der Oberstufe treten und 2030 das Abitur ablegen. Der lange Umsetzungszeitraum erklärt sich durch den erheblichen Anpassungsbedarf zahlreicher Länder.

Bei der Reform der „Vereinbarung zur Gestaltung der gymnasialen Oberstufe“ geht es vor allem darum, die Rahmenbedingungen der zweijährigen Qualifikationsphase in der gymnasialen Oberstufe länderübergreifend zu vereinheitlichen. Bereits in der Ländervereinbarung von 2020 waren Anpassungen bei den Abiturprüfungen beschlossen worden: Ab 2023 sollen in allen Ländern 50 Prozent aller schriftlichen Abituraufgaben in den Kernfächern (Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache) aus dem gemeinsamen, länderübergreifenden Aufgabenpool entnommen werden. Ab 2025 wird diese Regelung auch auf die naturwissenschaftlichen Fächer ausgeweitet.

Nun hat die KMK also bundesweite Vorgaben für die Qualifikationsphase beschlossen. Sie betreffen insbesondere die Anzahl und Gewichtung von Klausuren, die Belegung zum Einbringen von Kursen und die Zahl der Leistungskurse. Konkret sieht die neue Oberstufenvereinbarung diese Veränderungen beim Abitur vor:

  • Leistungskurse: Die Anzahl der Leistungskurse soll auf zwei bis drei in jedem Bundesland beschränkt werden. Bei zwei Leistungskursen müssen diese doppelt gewichtet werden – bisher war das freigestellt. Bei zwei Leistungskursen müssen sie jeweils fünf Stunden in der Woche umfassen, bei drei Leistungskursen ist eine vierstündige Unterrichtszeit pro Woche möglich. Bislang konnten Schülerinnen und Schüler theoretisch bis zu vier Leistungskurse belegen. In den meisten Bundesländern gelten aber jetzt schon zwei bis drei Leistungskurse.
  • Kurse für die Bewertung: Alle Schülerinnen und Schüler sollen in den vier Halbjahren der Qualifikationsphase zukünftig 40 Kurse belegen und davon 36 für die Berechnung der Abiturnote einbringen. Bislang gibt es zwischen den Ländern große Unterschiede: Die Zahl der Kurse, die bislang verpflichtend einzubringen sind, variiert – abhängig vom Bundesland – zwischen 32 und 40 Kursen.
  • Klausuren: Die neue Oberstufenvereinbarung definiert erstmals eine einheitliche Vorgabe für die Anzahl und Gewichtung von Klausuren: In den Leistungskursen sollen bundesweit pro Halbjahr ein bis zwei Klausuren geschrieben werden. Im vierten Halbjahr kann eine Klausur geschrieben werden, muss aber nicht. Werden zwei Klausuren geschrieben, gehen sie zu 50 Prozent in die Halbjahresnote ein, bei einer Klausur zu 30 Prozent. Die gleichen Vorgaben gelten auch bei Grundkursen in den Prüfungsfächern sowie in Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache.
  • Gesellschaftswissenschaften: Von den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern müssen laut der neuen Oberstufenvereinbarung mindestens sechs Schulhalbjahre belegt werden. Bislang waren es vier.
  • Naturwissenschaften: Grundkurse in Biologie, Chemie und Physik werden zukünftig einheitlich drei Stunden pro Woche unterrichtet, bisher reichten hier auch zwei Stunden.

Die Oberstufenvereinbarung im Vergleich

Die neue Oberstufenvereinbarung in der Fassung vom 16. März 2023 steht hier zum Download bereit:

Zum Vergleich: Die Oberstufenvereinbarung in ihrer jetzigen Fassung:

Neue Oberstufenvereinbarung von Bundesverfassungsgericht gefordert

Die Oberstufenvereinbarung gibt es bereits seit 1972 und wurde seitdem mehrmals angepasst. Die aktuelle Überarbeitung war nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende 2017 nötig geworden. Das Gericht hatte die Kultusministerkonferenz darin aufgefordert, mehr Vergleichbarkeit beim Abitur zwischen den Ländern zu schaffen, weil das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen für das Medizinstudium teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Für problematisch hielten sie vor allem den Rückgriff auf die Abiturdurchschnittsnote beim hochschuleigenen Auswahlverfahren. Dies könne zu einer Benachteiligung von Studienbewerberinnen und Studienbewerben führen, wenn Bewertungsmaßstäbe in ihrem Bundesland vielleicht härter sind als bei Mitbewerberinnen und Mitbewerbern mit besserer Note aus einem Bundesland, in dem das Abi möglicherweise einfacher ist.

Tatsächlich ist die Spannbreite bei den Abschlussnoten im Vergleich der Bundesländer sehr groß: 2022 schafften in Thüringen laut der KMK-Statistik zu den Abiturnoten 46 Prozent ein Einser-Abi, in Schleswig-Holstein hingegen nur 25 Prozent. Die anderen Länder lagen dazwischen.

Prozentrangverfahren als Übergangsregelung

Im Nachgang des Urteils hatte die KMK im Sommer 2018 für eine Übergangsfrist ein Prozentrangverfahren eingeführt. Dabei werden nicht absolute Noten miteinander verglichen, sondern der Rang ermittelt, den eine Bewerberin oder ein Bewerber mit seiner Abiturnote unter den Mitbewerberinnen und Mitbewerbern des jeweiligen Bundeslandes erreicht. Auf der Basis der „Ländervereinbarung über die gemeinsame Grundstruktur des Schulwesens und die gesamtstaatliche Verantwortung der Länder in zentralen bildungspolitischen Fragen“ hat sich die Kultusministerkonferenz nun auf die Angleichung der Rahmenbedingungen für die gymnasiale Oberstufe verständigt.

„Mit der Verständigung auf einheitlichere Regelungen zu wesentlichen Parametern der gymnasialen Oberstufe setzt die Kultusministerkonferenz nicht nur ihr im Oktober 2020 formuliertes politisches Vorhaben um, sondern trägt auch der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer höheren Vergleichbarkeit des Abiturs Rechnung“, sagte die amtierende KMK-Präsidentin Astrid-Sabine Busse (SPD) bei der Vorstellung der neuen Oberstufenvereinbarung. Hessens Kultusminister Alexander Lorz (CDU) ergänzte: „Die Überarbeitung der Oberstufenvereinbarung trägt einerseits den unterschiedlichen strukturellen Ausgangs- und Rahmenbedingungen der einzelnen Länder Rechnung, berücksichtigt andererseits aber auch deren bildungspolitische Traditionen.“ Es blieben noch genug Spielräume für die Länder. Auch Ties Rabe (SPD), Schulsenator in Hamburg, lobte die Vereinbarung: „So viel Einheitlichkeit bei den Abiturprüfungen und Abiturzeugnissen gab es wirklich noch nie zuvor. Gerade im Vergleich zu anderen Bildungsabschlüssen und im Vergleich zu den Schulabschlüssen vor 20 Jahren haben wir ein bisher nicht dagewesenes Maß an Übereinstimmung und Gerechtigkeit erreicht.“

Lob und Kritik zu neuer Oberstufenvereinbarung

Lob kam auch vom Deutschen Philologenverband (DPhV): „Es ist noch nicht alles, aber viel von dem erreicht worden, wofür der Deutsche Philologenverband seit Langem eintritt“, so die DPhV-Bundesvorsitzende, Susanne Lin-Klitzing. Der Deutsche Philologenverband hatte nicht nur mehr Vergleichbarkeit bei den Abiturprüfungen, sondern auch bei den Einbringungsverpflichtungen in der gymnasialen Oberstufe gefordert.

Zurückhaltender äußerte sich hingegen der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger. Er sprach von einem „Trippelschrittchen“. Von einer echten Vergleichbarkeit sei man noch eine weite Wegstrecke entfernt. Es verwies auf weiter bestehende Unterschiede etwa bei den Abituraufgaben.

Wenig zufrieden ist die GEW mit der Vereinbarung. Die Gewerkschaft sieht darin eine „falsche Weichenstellung“. Die KMK habe die Chance vertan, das Abitur zukunftsfähig zu machen: „Statt auf mehr Flexibilität auf dem Weg zum Abi zu setzen, werden die (fast) erwachsenen Schülerinnen und Schüler mehr gegängelt“, sagte GEW-Vorsitzende Maike Finnern.

Mehr Flexibilität in der Oberstufe gefordert

In eine ähnliche Richtung geht die Kritik eines Bündnisses verschiedener Bildungsinitiativen und Verbände, das bereits im Februar die „Potsdamer Erklärung für ein zukunftsfähiges Abitur“ verfasst hat. Das Bündnis kritisiert vor allem, dass nun noch mehr Gewicht auf Klausuren gelegt wird. Im Interview mit dem Schulportal hat Friedemann Stöffler von der Initiative Flexible Oberstufe, der die Potsdamer Erklärung mitinitiiert hat, erklärt, wieso eine Reform dringend notwendig sei: „Die Kompetenzen, die junge Menschen für ihre Zukunft brauchen, also vor allem die sogenannten 21st Century Skills – Kommunikation, Kreativität, Kollaboration, kritisches Denken – lassen sich nicht in herkömmlichen Prüfungsformaten abbilden, die auf inhaltliches Wissen ausgerichtet sind und in Klausuren stattfinden, die von Hand geschrieben sind. Wir brauchen zeitgemäßere Prüfungsformate.“