Arbeitsbelastung von Lehrkräften: Mut zur Lücke

Ein neues Gutachten empfiehlt den Bildungsminister:innen, Lehrkräfte zur Vollzeit zu verdonnern. Dabei müsste die Arbeitsbelastung deutlich sinken.

Eine Lehrerin mit Fibel steht neben eiem schüler, der auch eine aufgeschlagene Fibel auf dem Tisch hat

LehrerInnen sind heute Mangelware und sollten entsprechend behandelt werden Foto: Marijan Murat/dpa

Was haben die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen nicht schon alles versucht, um ihre Schulen mit ausreichend Personal zu versorgen! Sachsen-Anhalt setzte Headhunter auf potenzielle Lehrkräfte an. Sachsen lockt Referendare mit vierstelligen Gehaltszulagen aufs Land. Berlin verbeamtet neuerdings wieder. Viel gebracht haben diese und weitere Maßnahmen bisher nicht. Selbst der regelmäßige Rückgriff auf Quereinsteiger:innen, Studierende und Pensionäre kann die Lücken im Lehrerzimmer nicht mehr füllen.

Den Ministerien fällt heute vor die Füße, dass sie seit Jahren weniger Fachkräfte ausbilden, als sie für den Unterricht benötigen. Dass einige Länder jetzt umsteuern und mehr Leh­re­r:in­nen ausbilden wollen, ist gut – hilft aber erst in ein paar Jahren weiter. Bis dahin dürfte sich die Lage an den Schulen weiter zuspitzen. Aktuell sind 12.000 Stellen bundesweit unbesetzt. In zwei Jahren fehlen dann schon zwischen 25.000 und 70.000 Lehrkräfte, je nach Prognose.

Keine rosigen Aussichten. Die gute Nachricht für die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen: Sie haben längst noch nicht alle Handlungsspielräume ausgeschöpft. Das zeigt das von der Kultusministerkonferenz in Auftrag gegebene Gutachten, das am Freitag vorgestellt worden ist.

Der Haken: Folgen die Länder dessen Empfehlungen, werden sie sich mächtig unbeliebt machen. Man stelle sich vor, was an den Schulen los wäre, wenn Lehrkräfte – wie geraten – zu Vollzeit verdonnert, Klassen weiter aufgestockt und ältere Schü­le­r:in­nen wie zu schlimmsten Coronazeiten zum Selbststudium nach Hause geschickt würden.

Bereit, die heilige Kuh zu schlachten?

Wenn die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen den Lehrerjob wirklich attraktiver machen wollen, sollten sie von diesen Ideen besser die Finger lassen. Wer überlasteten Kol­le­g:in­nen mehr Stunden aufbrummt und noch mehr Jugendliche vor die Nase setzt, vergrault die, die da sind. Und schreckt mögliche Neue ab.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Es ist kein Zufall, dass die Hälfte der Lehrkräfte in Teilzeit arbeitet. Um sie zu einer Aufstockung zu motivieren, müssten die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen die Arbeitsbelastung radikal mindern. Die Idee aus dem Gutachten, Schulen zusätzliche Verwaltungskräfte zu geben, wird da nicht genügen. Mehr brächte es, die überfüllten Lehrpläne zu entschlacken. Das würde ordentlich Druck vom Kessel nehmen, Leh­re­r:in­nen (und Schü­le­r:in­nen!) entlasten und den Job attraktiver machen.

Ob die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen aber bereit sind, ihre heilige Kuh zu schlachten, darf bezweifelt werden. Genauso wie sie vor Zwangsmaßnahmen wie der Vollzeitpflicht zurückschrecken werden. Dann aber bleibt ihnen nicht viel mehr, als den Quereinstieg weiter zu öffnen – und zu lamentieren, dass kaum jemand mehr den Job in der Schule machen will.

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Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.

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