Schlau

Weil: Keks.

Wer sich in einer Sprache heimatlos fühlt, versucht, daran etwas zu ändern.

Woran wird versucht, etwas zu ändern? Am Gefühl. „Daran“ bezieht sich auf ein Wort im Neutrum. „Sprache“ ist ein Femininum, wenn jemand die Sprache verändern wollte, hieße es: „an ihr etwas zu ändern.“ So viel mal als Beispiel, wofür unterschiedliche Genera im Deutschen gut sind.

„Oh mein Gott, jetzt kommt der wirklich mit so einem Text übers Gendern! Haben wir eigentlich keine anderen Probleme?“ Ich weiß natürlich nicht, wie es Ihnen geht, aber ich vermute mal, ähnlich wie mir: Sie haben in dieser schier endlosen Masse an zäher Pandemiezeit mehr Probleme als genug.

Ja, aber das ist nicht der Grund, genervt zu sein. Ich habe schon sehr wiederholt Argumente fürs Gendern gehört, was damit erreicht oder vermieden werden soll, und was der Vorteil davon wäre, und keines hat mich hinreichend überzeugt, außer in Fällen, wo nicht hinreichend erkennbar ist, ab eine generische Gruppe oder konkrete Personen gemeint seien.

Andererseits haben die vergangenen zwei Jahre ja gerade gezeigt, dass unsere monothematische Verengung auf die Pandemie sie weder schneller löst, noch zur allgemeinen Beruhigung der Gemüter geeignet ist.

Das vllt. nicht, aber die coronabedingten Probleme sind einerseits real, zweitens ist die Diskussion über Coronamaßnahmen ja gerade deshalb so dringend, weil die Pandemie noch nicht vorbei ist, und dass eine Diskussion übers Gendern irgendwelche Gemüter beruhigt, wäre mir neu.

Also ja: Wir haben eigentlich andere Probleme. Auf dem vordringlichsten haben wir bis zur Erschöpfung herumgekaut, und es ist immer noch nichts Gescheites dabei herausgekommen.

Ich bin nicht „erschöpft“, was das betrifft, aber wenn, dann würde ich erstmal gar keine Diskussion mehr führen. Nebenbei, ein reales Problem erfordert eine gescheite Lösung. Aber Ungenauigkeiten in der Sprache? Leute sagen „frisch geteert“, wenn sie „frisch asphaltiert“ meinen. Diverse extrem unanschauliche Redensarten machen mir das Leben auch nicht leichter. Aber das ist kein „Problem“, das ist Geschmackssache.

Das klingt für mich nach einem sehr guten Zeitpunkt, um mal über etwas anderes zu reden.

Die neusten Kinofilme? Ach, nee, 2G+.

Ich kann mir vorstellen, dass viele von Ihnen jetzt gequält aufstöhnen: Immer wieder dieses elitäre, weltfremde Luxusthema, das mit dem Sprachgebrauch echter Menschen nichts zu tun hat – muss das wirklich sein?

Porsche oder Ferrari?

Ich jedenfalls finde, dass das sehr gut sein kann.

Das wäre so, wenn jetzt ein Argument käme, dass man noch nicht zum x-ten Mal gehört hat.

Nicht zuletzt, weil der Vorwurf des „Immer wieder“ nicht stimmt. Ich schreibe diese Kolumne hier seit bald neun Jahren. Und während der ganzen Zeit habe ich nicht einmal mit Ihnen übers Gendern gesprochen.

Das wird in DER Formulierung schon zutreffen, aber das verengt die Aussage auf genau diese Kolumne. Der Hauptschreiber einer Seite namens pinkstinks, die den Untertitel „die Zeiten gendern sich“ trägt, und wo tatsächlich gegendert wird, kann schlecht in Anspruch nehmen, dass das nicht „immer wieder“ bei ihm Thema sei.

Für ein Thema, dass Feminist*innen angeblich ständig umtreibt und mit dem sie anhaltend die Allgemeinheit nerven, ist das doch ziemlich bemerkenswert.

Jein. Wie viel Freiheit hat er bei seiner Themenwahl beim Standard? Oder bei der Standard? Ein vegetarischer Journalist, der sonst nie über vegetarische Ernährung schreibt, bis die Redaktion mal meint: „Mach doch mal eine kolumne darüber, Du kennst Dich doch aus.“, kann sich gegen das Vorurteil des „vegetarischen Predigers“ verwahren. Ein Journalist, der tatsächlich beruflich viel pro-vegetarischen Kontent produziert, eher nicht.

Woher kommt also diese erschöpfte Gereiztheit? Reden wir nicht lange um den heißen Brei herum: Es ist die Gegenseite, die die Debatte um das Gendern immer wieder mit dem altbekannten rhetorischen Trick anschiebt, das Vertreten einer bestimmten Position geschehe so ubiquitär, lautstark und zahlreich, dass man nun aber wirklich mal argumentativ einschreiten müsse.

*Schulterzuck* Wer ist jetzt die Gegenseite? Die, die pro Gendern sind, oder die dagegen? Nebenbei, wenn Pickert diese Diskussion will, kann er sich nicht beschweren, dass die Gegenseite, von ihm aus gesehen, sich argumentativ beteiligt.

Um das gleich vorwegzunehmen: Gegen das Gendern zu sein ist eine valide Position. Insbesondere, wenn man es so klug anstellt wie die Schriftstellerin Nele Pollatschek. Die weist als Gegenargument zum Gendern darauf hin, dass die gewollte sprachliche Differenzierung einer angestrebten Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Weg steht.

Ahhhh, ein Argument, das man noch nicht x-mal gehört hat! Aber gegen Gendern, nicht dafür.

Auch wenn ich anderer Meinung bin und das generische Maskulinum eher als Vereinnahmung des Weiblichen definiere und nicht als sprachlichen Zufluchtsort vor geschlechtlicher Zwangsmarkierung, ist das zweifellos ein interessanter Punkt.

Sprache ist halt ein Haufen semilogischer und teils kontraintuitiver Regeln. Daran herumzugoktern bringt eher wenig.

Ganz im Gegensatz zu der sonst üblichen „Alle fordern andauernd das Gendern, jetzt braucht es aber wirklich mal einen Aufstand der Sprachanständigen“-Finte.

Was sollen „Sprachanständige“ sein? Aber ja, die Schaden-Nutzen-Relation ist mMn eher schlecht.

Einer dieser Sprachanständigen ist der Philosoph Richard David Precht, der gerne darüber redet, für wie dumm er die Idee einer gendergerechten Sprache hält.

Ah. Aber Philosophen reden halt hauptberuflich darüber, dass sie bestimmte Dinge für klug oder dumm halten. Was ist da anderes zu erwarten?

„Sprache ist kulturelle Heimat von Menschen“, sagt Precht und hat recht damit.

Ist das so? Die ganzen Redensarten und Wörter, die mich nerven, weil sie absolut nicht das bedeuten, was sie bedeuten sollten, wie „Leberkäse“, „homophob“ und „nach links drehen“, sollen meine kulturelle Heimat sein? Ok, Precht ist nerviger, als ich dachte.

Allerdings bleibt er genau an diesem Punkt stehen und stellt damit ein Ausmaß an Denkfaulheit zur Schau, das ans Lächerliche grenzt. … Wenn Sprache kulturelle Heimat von Menschen ist und es Menschen gibt, die die Sprache durch das Gendern verändern wollen, dann kann das nur eines bedeuten: Sie fühlen sich in dieser Sprache heimatlos und versuchen sich über das Gendern sprachlich zu beheimaten.

Wenn ein Landstrich am Niederrhein die geographische Heimat von Menschen ist, und Menschen diesen Landstrich durch einen Braunkohletagebau verändern will, dann kann das nur eines bedeuten: Sie fühlen sich in diesem Landstrich nicht wohl und versuchen sich über den Tagebau dort geographisch zu beheimaten. Oder, jemand stellt die eigenen Interessen über die ioser Mitmenschen.

Weil sie sich in der Sprache nicht aufgehoben fühlen, machen sie Aufhebens um sie. Noch mehr Aufhebens scheinen allerdings diejenigen zu machen, die durch eine mögliche Modifikation der Sprache über das Gendern eine Entheimatung antizipieren.

Das mag so sein. Wenn eine Sprache nicht allen gefällt, darf man das sicher so sagen. Aber wenn man Sprache verändern soll, um mehr „Wohlbefinden“ zu erzeugen, hätte ich gerne, dass man Redensarten wie „die eigenen vier Wände“, die dasselbe bedeuten wie „das eigene Dach“ abschafft. Oder, ich akzeptiere das als pars pro toto, aber dann ist Dachdecker auch ein pars pro toto, und die Diskussion ist durch.

Ich kann Ihnen nicht sagen, ob Sternchen, Doppelpunkt, Unterstrich und Glottisschlag die Zukunft sind.

Aber Beidnennung und Partizipien sind es schon mal nicht? Also die Dinger, die man tatsächlich ohne neue sprachliche Regeln und teilweise sogar ohne Bedeutungsverschiebung verwenden kann?

Aber ich bin überzeugt davon, dass es sich lohnt, Menschen ein Angebot zu machen, die sich in Sprache beheimaten wollen.

Weil?

 Ihnen mit Wohlwollen zu begegnen, anstatt so zu tun, als stünde ein bis an die Zähne bewaffnetes Gendersternchenräumkommando vor unserer Tür, um uns aus unserem weichen Sprachbettchen zu vertreiben, damit es sich anschließend selbst darin gemütlich machen kann.

Wieso?

Ich halte Heimat, auch sprachliche Heimat, für transformierbar und nicht für konservierungsbedürftig.

Wenn ich meine Heimat transformiere, dann in etwas, was mir besser gefällt. Also entweder sehe ich einen Verbesserungsbedarf für mich, oder ich konserviere meine Heimat so, sie sie mir gefällt.

Sprache in den Formaldehyd eines „Was war, muss bleiben“ einzulegen ist nicht nur kleinlich, sondern schlichtweg feindselig gegenüber denen, die an dem Geruch zu ersticken drohen.

Oh, ich mag soe, ios, ioi, soi. Wenn sich jeder was anderes ausdenken darf, will ich das auch.

Das bedeutet nicht, dass Gendern die einzig richtige Option ist und Gegner*innen des Genderns zwangsläufig rückständig, fortschritts- oder gar menschenfeindlich sind.

Aber das ist natürlich genau das Främing, dass ersetzen will.

Es bedeutet, dass mit der Forderung nach oder der Bitte um das Gendern ein Anspruch formuliert wird, der es wert ist, erwogen zu werden.

Das ist falsches Deutsch: Ansprüche existieren oder existieren nicht. Entscheidungen werden erwogen. Es  gibt davon abgesehen keinen Anspruch, sich irgendwo wohlzufühlen.

Der in unsere nicht nur sprachliche Mitte gehört. Der ein Recht auf Beheimatung hat. Wie auch immer dieses Recht gestaltet wird.

MWn gibt es keine „Amtssprache“ in Deutschland, also keinen Rechtsanspruch, dass alle Ämter Deutsch sprechen. Ergo kann es auch keinen Rechtsanspruch auf eine bestimmte Formulierung geben. Aber ja, Tausende von Sinnlosigkeiten in der deutschen Sprache, aber hier muss der Gesetzgeber her.

5 Gedanken zu “Schlau

  1. Also zumindest im Steuerrecht ist die Amtssprache Deutsch…weiss jetzt nicht, wie es in anderen Verwaltungsvorschriften aussieht:

    §87 AO

    (1) Die Amtssprache ist Deutsch.
    (2) 1Werden bei einer Finanzbehörde in einer fremden Sprache Anträge gestellt oder Eingaben, Belege, Urkunden oder sonstige Dokumente vorgelegt, kann die Finanzbehörde verlangen, dass unverzüglich eine Übersetzung vorgelegt wird. 2In begründeten Fällen kann die Vorlage einer beglaubigten oder von einem öffentlich bestellten oder beeidigten Dolmetscher oder Übersetzer angefertigten Übersetzung verlangt werden. 3Wird die verlangte Übersetzung nicht unverzüglich vorgelegt, so kann die Finanzbehörde auf Kosten des Beteiligten selbst eine Übersetzung beschaffen. 4Hat die Finanzbehörde Dolmetscher oder Übersetzer herangezogen, erhalten diese eine Vergütung in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes…………

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    1. Im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) gibt es den Grundsatz auch (§ 23). Das Gesetz regelt sämtliche Behördengeschäfte auf Bundesebene.
      Entsprechend gibt es noch 16 Gesetze für die Landesebene. Z.B. VwVfG NRW (sozusagen der Quellcode für meine Arbeit als Beamter des Landes NRW).
      In Schleswig-Holstein gibt es im LVwG entsprechend den § 82a der Deutsch als Amtssprache vorsieht; zusätzlich sind nach § 82b lokal auch die Minderheitssprachen (z.B. Friesisch auf Helgoland und Dänisch in Flensburg) zulässig.

      Tatsächlich sieht das GG keine Amtssprache vor.

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