Ist links gut und rechts böse?

Darf man mit rech­ten Par­tei­en koope­rie­ren? Darf man mit lin­ken Par­tei­en koope­rie­ren? Muss man, wenn man das eine aus­schließt, auch das ande­re ausschließen?

Anläss­lich der Thü­rin­ger Kri­se der letz­ten Tage sind die­se Fra­gen gera­de wie­der Gegen­stand öffent­li­cher Dis­kus­si­on. Zugrun­de liegt ihnen die all­ge­mei­ne­re Fra­ge, ob und inwie­fern rech­ter und lin­ker Radi­ka­lis­mus gleich­wer­tig bzw. glei­cher­ma­ßen ver­ur­tei­lungs­wür­dig und gefähr­lich sind. 

Die Annah­me, dass sie das sei­en, kol­li­diert aufs Hef­tigs­te mit dem lin­ken Selbst­ver­ständ­nis. Die Lin­ke sieht sich als Kraft, die das Gute will und einer rech­ten Kraft gegen­über­steht, die das Böse will.

Das Argu­ment klingt etwa so:

Wie sol­len rechts und links äqui­va­lent sein? Lin­ke ste­hen für Gleich­heit. Sie set­zen sich für die Schwa­chen ein und wol­len mehr Gerech­tig­keit schaf­fen. Rech­te ste­hen für Ungleich­heit. Sie wol­len Men­schen die Rech­te weg­neh­men, sie ver­fol­gen und aus­gren­zen. Das eine ist men­schen­freund­lich, das ande­re men­schen­feind­lich. Häu­fig wird »rechts« auch gera­de­her­aus mit »Hass« gleichgesetzt.

Wenn man es so for­mu­liert, kann man nur auf Sei­ten der Lin­ken ste­hen. Dann sind die­se unzwei­deu­tig die Guten und die Rech­ten die Bösen.

Doch das sagt zunächst ein­mal wenig aus, da es sich dabei um eine lin­ke Selbst­wahr­neh­mung und ‑beschrei­bung han­delt. Wenn man einen Lin­ken fragt, wofür die Lin­ke steht, bekommt man wenig über­ra­schend eine Ant­wort, die gut klingt. Wenn man einen Rech­ten frag­te, wofür er steht, wür­de er eben­falls kaum Ungleich­heit, Aus­gren­zung, Ver­fol­gung und Hass sagen, son­dern eben­falls etwas, das gut klingt. Und er hät­te auch eine weni­ger schmei­chel­haf­te Beschrei­bung der lin­ken Gegen­sei­te parat, so dass ein unbe­darf­ter außer­ir­di­scher Zuhö­rer zu dem Schluss käme, dass die Rech­ten wohl die Guten seien.

Die Pars-pro-toto-Verzerrung von links

Wenn man aus lin­ker Sicht links und rechts ver­gleicht, ist man auto­ma­tisch geneigt, beim Blick auf sich selbst ein­sei­tig das Posi­ti­ve her­vor­zu­he­ben und beim Blick auf rechts ein­sei­tig das Nega­ti­ve. Das ist mensch­lich und geschieht in gewis­sem Umfang bei jedem Nach­bar­schafts­streit. Ver­schär­fend kommt aber hier hin­zu, dass Poli­tik tief ver­in­ner­lich­te Wer­te berührt und vie­le, wahr­schein­lich die meis­ten dezi­diert Lin­ken gro­ße Schwie­rig­kei­ten haben, zu ver­ste­hen, wie Rech­te oder Kon­ser­va­ti­ve ticken. Aus ihrer Sicht erscheint Kon­ser­va­tis­mus oft als selt­sam grund­lo­se Ableh­nung der lin­ken Idea­le, die so offen­kun­dig und ein­deu­tig gut sind, dass ihnen jeder Men­schen­freund eigent­lich nur zustim­men kann.

Vie­le Lin­ke kön­nen sich nicht vor­stel­len, wie es mög­lich ist, mit guten Absich­ten nicht links zu sein. Sie nei­gen des­halb dazu, den Nicht­lin­ken böse Absich­ten zuzu­schrei­ben, und mit die­ser Zuschrei­bung kom­men Ver­ach­tung und Feindseligkeit.

Dazu passt eine Beob­ach­tung des US-Öko­no­men Tho­mas Sowell:

Wer Ideen­ge­schich­te stu­diert, wird fest­stel­len, dass Men­schen auf der poli­ti­schen Lin­ken viel mehr als ande­re die­je­ni­gen ver­un­glimp­fen und dämo­ni­sie­ren, die nicht ihrer Mei­nung sind – statt auf ihre Argu­men­te zu antworten.

Das rela­ti­ve Unver­ständ­nis kon­ser­va­ti­ven Den­kens auf der Lin­ken hat Jona­than Haidt in sei­nem Buch »The Righ­teous Mind« empi­risch doku­men­tiert und erklärt. In die­ser Hin­sicht ist die Rech­te im Vor­teil – Rech­te ver­ste­hen bes­ser, wie Lin­ke ticken, als umge­kehrt. Der Grund dafür ist dem­zu­fol­ge, dass die Rech­te ein brei­te­res Spek­trum mora­li­scher Intui­tio­nen nutzt und bedient. Dar­auf gehe ich ein ande­res Mal genau­er ein. In die­sem Inter­view ist es zur Mit­te hin knapp erklärt; hier fin­den sich Theo­rie, Fra­ge­bo­gen und Stu­di­en dazu.

Das Ergeb­nis die­ser Wahr­neh­mung der Rechts-links-Ach­se aus lin­ker Per­spek­ti­ve ist jeden­falls das, was der Sozio­lo­ge Nor­bert Eli­as eine Pars-pro-toto-Ver­zer­rung nennt. »Pars pro toto« heißt über­setzt »ein Teil [steht] für das Ganze«.

Eli­as meint damit den Mecha­nis­mus, dass Men­schen­grup­pen einen Glau­ben an die eige­ne Höher­wer­tig­keit gegen­über ande­ren Grup­pen näh­ren, indem sie eine selek­ti­ve Aus­wahl der bes­ten Qua­li­tä­ten der Eigen­grup­pe zum reprä­sen­ta­ti­ven Merk­mal der Grup­pe erklä­ren, und die schlech­tes­ten Eigen­schaf­ten der Fremd­grup­pe zu deren reprä­sen­ta­ti­vem Merk­mal. Wenn Ras­sis­ten die Hel­den ihrer Kul­tur als Beweis ihrer Über­le­gen­heit hoch­hal­ten und Ver­bre­cher der ver­hass­ten Grup­pe als Beweis für deren Ver­derbt­heit, wäh­rend sie das Böse bei sich selbst und das Gute bei den ande­ren aus­blen­den, ist das nur das prä­gnan­tes­te Bei­spiel dafür.

Wel­che Tei­le ste­hen für das Gan­ze, wenn wir Lin­ke und Rech­te vergleichen?

Auf der Rech­ten gab es die Nazis, den Ver­nich­tungs­krieg und den Holo­caust, und gibt es immer noch Extre­mis­mus mit allem, was dazu­ge­hört – Into­le­ranz, Hass, Gewalt. Im Rah­men der Pars-pro-toto-Ver­zer­rung wird nun die­ses Häss­li­che und Böse als Kern und Flucht­punkt rech­ten Den­kens und Emp­fin­dens gedeu­tet, so dass der rech­te Extre­mis­mus letzt­lich das sei, was Rech­te eigent­lich und wirk­lich wol­len; das, was sie im Inners­ten ausmacht.

Wenn man sich ein Bild von der Lin­ken macht, pas­siert etwas ganz ande­res. Hier gab es die Tyran­nei, den Tota­li­ta­ris­mus, die Skla­ve­rei und die Lei­chen­ber­ge der Kom­mu­nis­ten, und immer noch gibt es ideo­lo­gisch ähn­lich auf­ge­stell­ten Extre­mis­mus. Den­noch denkt nie­mand, dass die­se men­schen­feind­li­chen und destruk­ti­ven Erschei­nungs­for­men lin­ker Ideo­lo­gie das sei­en, was das Links­sein eigent­lich aus­ma­che, dass sie der Kern der lin­ken See­le und die letzt­end­li­che Moti­va­ti­on aller Lin­ken sei­en. Nie­mand denkt, dass Lin­ke sich eigent­lich nach poli­ti­scher Geheim­po­li­zei, Gulags, Fol­ter, Total­über­wa­chung und Hun­gers­nö­ten seh­nen – was das Äqui­va­lent zur gän­gi­gen Beur­tei­lung der Rech­ten wäre. Wir stu­fen extre­mis­ti­sche Ten­den­zen auf der Lin­ken viel­mehr schlimms­ten­falls als uner­freu­li­che Rand­er­schei­nun­gen ein, wie sie bei jeder grö­ße­ren sozia­len Grup­pe oder Bewe­gung zu erwar­ten sind, aber nichts mit deren Essenz und Wert zu tun haben.

Das ist offen­kun­dig ein Mes­sen mit zwei­er­lei Maß. Bei den Rech­ten wird das Extrem zur Essenz erklärt, wäh­rend bei den Lin­ken das Extrem mit der Essenz gar nichts zu tun haben soll. 

Ich habe den Mecha­nis­mus die­ses Mes­sens mit zwei­er­lei Maß, die­se Pars-pro-toto-Ver­zer­rung, hier ein­mal veranschaulicht:

Zentrale Werte und ihre Verabsolutierung

»Was ist nun aber die Essenz bei den Rech­ten?«, wür­de man hier von links fra­gen. Die sind doch pri­mär gegen ande­re gerich­tet, statt für irgend­et­was Gutes, Kon­struk­ti­ves zu ste­hen. Ja, das ist die vor­herr­schen­de Denk­ge­wohn­heit. Aber es stimmt nicht.

Man kann den zen­tra­len Wert der Rech­ten nicht so knapp und klar auf den Punkt brin­gen wie man es bei der Lin­ken mit dem Schlag­wort der Gleich­heit kann. Doch es gibt ihn und er ist an sich posi­tiv. Ich habe mir die Beschrei­bung Inte­gri­tät gewach­se­ner Struk­tur dafür über­legt.

Damit mei­ne ich, dass es bei Rech­ten ein Gefühl, eine Intui­ti­on, ein Bewusst­sein gibt, dass die gesell­schaft­li­che Struk­tur ein über lan­ge Zeit­räu­me gewach­se­nes Gebil­de ist, das unter Blut, Schweiß und Trä­nen geschaf­fen wur­de, das wert­voll und fra­gil ist, das nicht so ein­fach repa­riert wer­den kann, wenn es Scha­den nimmt, und das gepflegt und mit­un­ter auch ver­tei­digt wer­den muss. Die­se Visi­on eines gewach­se­nen grö­ße­ren Gan­zen, das Wert und Wür­de besitzt, steckt in Kon­zep­ten wie Volk, Nati­on, Tra­di­ti­on, Brauch­tum, Loya­li­tät, Treue, Auto­ri­tät, Opfer­be­reit­schaft, Pflicht, Dis­zi­plin und »ordent­li­che Arbeit«, ver­stan­den als Über­nah­me der Ver­ant­wor­tung, einen Bei­trag zum Gan­zen zu leisten.

Man sieht hier­an auch gleich, wo Feind­se­lig­keit, Hass, Gewalt und so wei­ter ins Spiel kom­men: Wenn man es über­treibt. Wenn man ein Maß von Inte­gri­tät oder Kohä­renz erwar­tet, das eine kom­ple­xe Gesell­schaft nicht bie­ten kann (»Rein­heits­wahn«). Wenn man Bedro­hun­gen sieht, die nicht real oder weni­ger dra­ma­tisch sind als ange­nom­men. Wenn man Fein­de sieht, wo kei­ne sind.

In ganz ähn­li­cher Wei­se sieht man aber bei kur­zer Über­le­gung auch sofort, wie der zen­tra­le Wert der Lin­ken destruk­tiv wer­den kann, die Gleich­heit. Näm­lich eben­falls, wenn man es übertreibt.

Wenn das Gleichheitsideal destruktiv wird

Gesell­schaft ist ein hier­ar­chi­sches Gebil­de, ob einem das passt oder nicht. Gewis­se Arten und Gra­de von Ungleich­heit sind damit unaus­weich­lich. Zudem wer­den wir bereits unter­schied­lich gebo­ren. Damit Gleich­heit ein pro­duk­ti­ver Wert ist, muss man kon­kre­ti­sie­ren, was man damit meint, zum Bei­spiel Gleich­heit vor dem Gesetz, eine Wahl­stim­me für jeden oder das Ide­al der Chan­cen­gleich­heit. Wenn man die Idee der Gleich­heit ver­ab­so­lu­tiert, wird es brutal.

Der letzt­end­li­che Grund dafür ist, dass es viel leich­ter ist, Star­ke schwä­cher zu machen, als Schwa­che stär­ker zu machen. Es ist viel leich­ter, Reich­tum weg­zu­neh­men als ihn her­zu­stel­len; viel leich­ter, Erfolg weg­zu­neh­men, als zum Erfolg zu befä­hi­gen; viel leich­ter, ein paar Män­nern per Quo­te den Weg abzu­schnei­den, als mehr Frau­en in die Poli­tik zu bringen.

Eine prä­gnan­te Ver­an­schau­li­chung hier­für lie­fert die dys­to­pi­sche Kurz­ge­schich­te »Har­ri­son Ber­ge­ron« von Kurt Von­ne­gut von 1961. Ein fik­ti­ves Regime der Zukunft stellt dar­in Gleich­heit her, indem es die Vor­tei­le nich­tig macht, die aus indi­vi­du­el­len Bega­bun­gen ent­ste­hen. Der Intel­li­gen­te muss ein Ohr­stück tra­gen, das regel­mä­ßig durch lau­te Töne sei­ne Gedan­ken­gän­ge stört, die talen­tier­te Tän­ze­rin bekommt Gewich­te ange­hängt und so weiter. 

Ganz in die­sem Geist kur­sier­te im Jahr 2015 ein ernst­ge­mein­ter Arti­kel, der im Namen der »Social Jus­ti­ce« Über­le­gun­gen anstell­te, dass Eltern, die ihre Kin­der lie­be­voll erzie­hen, die­sen dadurch »unfai­re Vor­tei­le« gegen­über ande­ren Kin­dern ver­schaff­ten, die kei­ne lie­be­vol­le Erzie­hung genos­sen, und ob man nicht ihrer Frei­heit Gren­zen set­zen soll­te, das zu tun. 

Selbst wenn man von aus­schließ­lich guten Absich­ten aus­geht, wird ein so grob­schläch­ti­ger Appa­rat wie der Staat nie­mals in der Lage sein, sämt­li­che Fak­to­ren aus­zu­schal­ten, die Ungleich­heit erzeu­gen, und dabei die Chan­cen der Men­schen zur Selbst­ent­fal­tung zu erhö­hen statt sie ein­zu­schrän­ken. Das ist, als woll­te man eine dif­fi­zi­le chir­ur­gi­sche Behand­lung mit nichts als einem dicken Ham­mer durch­füh­ren. Man kann mit einem dicken Ham­mer durch­aus etwas bewir­ken, aber die Fra­ge ist, was. 

Es ist wesent­lich die­ses Mus­ter, das den Kom­mu­nis­mus immer wie­der in Tyran­nei, Gewalt und Elend mün­den ließ. Um Gleich­heit her­zu­stel­len, macht man Jagd auf die Erfolg­rei­chen, deren Besitz »gerecht« an alle ver­teilt wer­den soll. Das ist bereits an sich ein Gewalt­akt. Als Nächs­tes kommt aber hin­zu, dass die Wirt­schaft zusam­men­bricht, weil man vie­le ihrer Trä­ger und wich­tigs­ten Pro­duk­tiv­kräf­te ver­jagt, ent­eig­net, inter­niert oder umge­bracht hat. Jetzt grei­fen Armut und Elend um sich, womit auch den Schwa­chen kaum gehol­fen ist, um die es dabei angeb­lich gehen soll­te. Sie sind jetzt noch ärmer, bis hin zum Ver­hun­gern, wie es nach der sowje­ti­schen Ent­eig­nung der »Kula­ken« mil­lio­nen­fach geschah.

Nichts könn­te fal­scher sein als die Schre­cken des Kom­mu­nis­mus als Betriebs­un­fäl­le ein­zu­stu­fen, die etwa auf unge­wöhn­lich kor­rup­te Herr­scher zurück­zu­füh­ren sei­en, aber mit den zen­tra­len lin­ken Wer­ten und Idea­len nichts zu tun hät­ten. Sie gehen direkt dar­aus hervor.

Aufwärts oder abwärts

Fol­gen­de Gra­fik zeigt in sche­ma­ti­scher Ver­ein­fa­chung, wie die zen­tra­len Wer­te der Lin­ken und der Rech­ten zum Gemein­wohl bei­tra­gen oder in die Höl­le auf Erden füh­ren kön­nen, je nach­dem, wie sie sich prak­tisch manifestieren.

Bei­de zen­tra­len Wer­te müs­sen Gegen­stand ratio­na­ler Abwä­gung mit ande­ren Wer­ten und vor allem den gege­be­nen Rea­li­tä­ten sein, um sich in frucht­ba­rer Wei­se zu ver­wirk­li­chen. Das bedarf wohl kei­ner gro­ßen Erläu­te­run­gen. Ent­schei­dend ist dabei auch der Aus­tausch ihrer Ver­tre­ter, also der Lin­ken und Rech­ten, mit­ein­an­der. Bei­de sehen Aspek­te der Wirk­lich­keit, die die ande­ren nicht sehen, und so wäre eine kon­struk­ti­ve Zusam­men­ar­beit bei­der (zu der sie ein­an­der nicht lie­ben, son­dern nur Erwach­se­ne sein müs­sen) die bes­te Vor­aus­set­zung für eine infor­mier­te und am best­mög­li­chen Kon­sens ori­en­tier­te Poli­tik. (Mehr zu die­ser Idee der gegen­sei­ti­gen Ergän­zung in mei­nem Arti­kel Offen­heit ver­sus Gewis­sen­haf­tig­keit: Der psy­cho­lo­gi­sche Unter­schied zwi­schen Lin­ken und Rech­ten.)

Zur Ver­ab­so­lu­tie­rung habe ich oben schon eini­ges gesagt. Sek­ten­dy­na­mik ist gewis­ser­ma­ßen die sozi­al­psy­cho­lo­gi­sche Sei­te davon. Men­schen bil­den mora­li­sche Gemein­schaf­ten, ver­stär­ken dar­in durch gegen­sei­ti­ge Bestä­ti­gung ihre Glau­bens­sät­ze, wer­den all­mäh­lich blind für ande­re Ansich­ten und nei­gen zur Abwer­tung von Außen­sei­tern. Dies ist immer eine Ten­denz sozia­ler Grup­pen. Wenn zwi­schen meh­re­ren sol­cher Grup­pen eine akti­ve Feind­schaft besteht, beschleu­nigt dies das Abglei­ten in die Sek­ten­dy­na­mik, da die Feind­schaft eine Wahr­neh­mung des Geg­ners als böse begüns­tigt, die mit zuneh­men­der Blind­heit für das eige­ne Böse ein­her­geht. Dies nennt man gemein­hin »Eska­la­ti­on«.

»Res­sen­ti­ment« soll­te noch erwähnt wer­den, weil ich ein Miss­ver­ständ­nis ver­mei­den möch­te. Wenn ich sage, bei­de zen­tra­len Wer­te sind an sich nicht böse, dann bedeu­tet das nicht, dass Men­schen zunächst ein­mal rei­ne, gute Geschöp­fe sei­en, in denen nichts Böses ste­cke, solan­ge sie sich nicht radi­ka­li­sie­ren. Es gibt immer und auf bei­den Sei­ten Zor­ni­ge, auch sol­che, bei denen nor­ma­ler­wei­se nicht groß auf­fällt, dass sie zor­nig sind; es gibt Ver­let­zun­gen, Rache­ge­lüs­te, Feind­se­lig­kei­ten, eben Res­sen­ti­ments. Die­se wer­den zur rea­len Gefahr und Destruk­tiv­kraft, wenn die Ver­hält­nis­se kip­pen. Poli­ti­scher Extre­mis­mus – oder auch reli­giö­ser Fun­da­men­ta­lis­mus – bie­tet den Betref­fen­den eine Mög­lich­keit, ihren Zorn als Aus­druck von Tugend zu ver­kau­fen und es zu ver­mei­den, sich den eige­nen Dämo­nen zu stel­len, indem sie sich ein­re­den, die Dämo­nen sei­en die ande­ren. Ich hal­te dies für eine Kraft, über deren Exis­tenz man sich im Kla­ren sein muss. Sie ent­fes­selt sich im Ernst­fall in Mobs, Pogro­men und Irren in Befehls­po­si­tio­nen. Sie ist das Feu­er, mit dem man spielt, wenn man auf eine gesell­schaft­li­che Desta­bi­li­sie­rung hinwirkt. 

Es wäre nütz­lich, wenn mehr Men­schen sich klar­mach­ten, dass ihr Zorn und Hass kein Aus­druck von Tugend und mora­li­scher Über­le­gen­heit ist, son­dern etwas sehr ande­res – ja, auch der Zorn und Hass »gegen rechts«.

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7 Kommentare

  1. Die Pfle­ge der struk­tu­rel­len Inte­gri­tät als Kern rech­ten Den­kens ist für mich nach­voll­zieh­bar, aber sehr abs­trakt. Ich den­ke, der Grund­ge­dan­ke, der auf kon­ser­va­ti­ver Sei­te vor­herrscht, ist der, dass eine bestehen­de Ord­nung, auch wenn ihr Sinn nicht voll erfasst wer­den kann, den­noch sinn­voll sein kann. Oder anders aus­ge­drückt: Die Gene­ra­tio­nen vor uns waren auch nicht düm­mer als wir und die Lösun­gen, die sie sich aus­ge­dacht haben, könn­ten einen Sinn besitzen.

    Ein sol­cher Gedan­ke wird in der lin­ken Denk­wei­se in der Regel abge­lehnt. Eine Gesell­schaft lässt sich am Reiß­brett ent­wer­fen und ist bes­ser als die bestehen­den Struk­tu­ren. Ich ver­mu­te, das die Offen­heit als Teil der Per­sön­lich­keits­struk­tur die­se Ein­stel­lung begünstigt.

    Aller­dings, und hier bin ich mir nicht ganz sicher, wie ich das ein­ord­nen soll, gilt die­se Offen­heit nicht all­ge­mein. Zumin­dest in unse­ren Brei­ten fin­den sich im lin­ken Spek­trum sehr vie­le Men­schen, die bereit­wil­lig die gesell­schaft­li­che Orga­ni­sa­ti­on völ­lig neu defi­nie­ren wür­den oder die Spra­che als einen belie­bi­gen Bau­kas­ten sehen, der nach Gut­dün­ken frei­hän­dig ver­än­dert wer­den kann. Die glei­chen Leu­te sind aber bei­spiels­wei­se erbit­ter­te Geg­ner von Ver­än­de­run­gen, wenn Pflan­zen oder Tie­re als Bau­käs­ten gese­hen wer­den, die durch den Men­schen belie­big ver­än­dert wer­den kön­nen (Bio­tech­no­lo­gie) oder die den Kli­ma­wan­del eben nicht als Kon­struk­ti­on und »Ter­ra­forming« begrei­fen, son­dern als Bedro­hung, der – über­spitzt for­mu­liert – nur mit einer Rück­kehr zu Ver­hal­ten aus dem 19. Jahr­hun­dert begeg­net wer­den kann. 

    Kann sich die Offen­heit nur auf Tei­le des Daseins bezie­hen, wäh­rend ande­re Tei­le als wenig offen oder gar unver­än­der­bar pos­tu­liert werden?

    1. Hey, dan­ke für den Kom­men­tar. Ich stim­me die­ser Beschrei­bung des Kon­ser­va­ti­ven völ­lig zu. In Tho­mas Sowells »A Con­flict of Visi­ons« ist genau die­ser Unter­schied detail­liert aus­ge­ar­bei­tet – ob man sozu­sa­gen die höhe­re Intel­li­genz in gewach­se­nen und erprob­ten Struk­tu­ren sieht oder in den theo­re­tisch her­ge­lei­te­ten Argu­men­ten eines Ein­zel­nen. In der letz­te­ren Sicht kann tat­säch­lich ein Ein­zel­ner schlau­er sein als alle vor­an­ge­hen­den Gene­ra­tio­nen zusam­men; wenn er alles Nöti­ge gele­sen hat und sein Argu­ment über­zeu­gend ist, dann ist das halt so. Mei­ner Ansicht nach ist der Denk­feh­ler dabei, dass man leicht ein über­zeu­gen­des Argu­ment for­mu­lie­ren kann, wenn man selek­tiv auf die Empi­rie zugreift, und das tun wir immer. Ein­fa­cher aus­ge­drückt, der Theo­re­ti­ker hat nicht alle rele­van­ten Infor­ma­tio­nen, kann er gar nicht haben, und dar­an schei­tert das Pro­jekt. Sowell nennt die­se bei­den Per­spek­ti­ven die »cons­trai­ned visi­on« und die »uncons­trai­ned visi­on«. Letz­te­res ist die Bau­kas­ten­vi­si­on; man kann im Prin­zip alles umbauen.

      Ich den­ke, die Sache mit der Öko­be­we­gung ist kein Wider­spruch. Die Natur ist eine offe­ne­re Welt als Indus­trie, Wis­sen­schaft oder Pro­duk­ti­on. Die­se sind schon wie­der Fest­le­gun­gen, Ein­gren­zun­gen, Rou­ti­nen und star­re For­men. Die Kul­ti­vie­rung, aber ins­be­son­de­re die Zer­stö­rung von Natur ist durch­aus eine Ein­schrän­kung von Offen­heit. Unbe­rühr­te Natur ist sym­bo­lisch das offens­te Sze­na­rio über­haupt. Zunächst ein­mal ist nichts ent­schie­den und alles mög­lich. Jeder Bau und jede Tech­no­lo­gie ist dann eine Fest­le­gung, und mit jeder Fest­le­gung ist das Spek­trum der Mög­lich­kei­ten klei­ner und mehr vor­ge­zeich­net. Jede tech­ni­sche Lösung sagt: so machen wir das jetzt. 

      Natür­lich eröff­nen Tech­no­lo­gie auch Mög­lich­kei­ten, inso­fern ist frag­lich, ob das so stimmt, aber ich glau­be, es beschreibt die ent­spre­chen­de Wahr­neh­mung. Im All­ge­mei­nen ist ja die Ver­lust­angst bei Men­schen stär­ker als der Opti­mis­mus über Poten­zia­le. Dies in Ver­bin­dung mit einem all­ge­mei­nen Miss­trau­en gegen­über dem Typ Mensch und dem Typ Insti­tu­ti­on, der baut und ent­wi­ckelt, mag dazu füh­ren, dass die Angst vor dem Ver­lust der ursprüng­li­chen Offen­heit der Natur gegen­über den durch Tech­no­lo­gie eröff­ne­ten Chan­cen weit im Vor­der­grund steht. Ganz all­ge­mein scheint mir die Öko­be­we­gung auch prak­tisch immer teil­wei­se von Feind­se­lig­keit gegen die gesell­schaft­li­che Ord­nung getrie­ben zu sein, die als unter­drü­cke­risch und ein­engend emp­fun­den wird.

  2. Dan­ke für die Erläuterungen.

    Die Natur ist eine offe­ne­re Welt

    Wenn damit offen im Sin­ne von chao­tisch gemeint ist, dann viel­leicht. Aber offen im Sin­ne von alles ist mög­lich ist die Natur nun gera­de nicht. Viel­leicht ist es das sakra­le Bild, das sich heu­te durch das Leben in einer durch Kul­tur gepräg­ten Umwelt von einer unbe­rühr­ten Natur, also der Natur, die in ihrem als rein ima­gi­nier­ten Zustand ist, ergibt. Aber die unbe­rühr­te Natur ist so gar nicht von der Gleich­heit durch­zo­gen, die den Lin­ken der höchs­te Wert ist. Ganz im Gegen­teil, über­all Hier­ar­chie und über­all Kampf, um die eige­ne Posi­ti­on in der Hier­ar­chie zu ver­bes­sern oder che­mi­scher Zwang in von Gleich­heit gepräg­ten gro­ßen sozia­len Gebil­den wie einem Ameisenstaat.

    Die The­se vom offens­ten Sze­na­rio über­haupt tei­le ich nicht: Jeder Wis­sen­schaft­ler kann mit CRISPR ein Viel­fa­ches an Offen­heit in einem Bruch­teil an Zeit errei­chen, als es die unbe­rühr­te Natur schaf­fen könn­te. Er wird zwar durch die Gesell­schaft gebun­den, weil die Fol­gen sol­chen Han­delns unab­seh­bar wären, aber den­noch ist das CRIS­PR-Sze­na­rio deut­lich offe­ner als die unbe­rühr­te Natur. Für die­ses viel offe­ne­re Sze­na­rio kann ich aber auf lin­ker Sei­te kei­ne Begeis­te­rung erkennen.

    Umge­dreht ist das Leben in der Gesell­schaft für den heu­ti­gen Lin­ken (also eher inter­sek­tio­nal ange­haucht, denn mar­xis­tisch) ein Sys­tem von klei­nen Bau­stei­nen, die von jedem Mit­glied der Gesell­schaft mög­lichst frei zu einem indi­vi­du­el­len Gebäu­de kom­bi­niert wer­den kön­nen soll­te. Die­ses selbst errich­te­te Gebäu­de, scheint mir im Sub­text immer mit­zu­schwin­gen, wird aus dem Stand für die meis­ten Men­schen schö­ner sein, als die Gebäu­de­ent­wür­fe, die über Tra­di­ti­on, Sit­ten und ande­ren auf lang­fris­ti­gen Mus­tertrans­fer aus­ge­rich­te­ten Insti­tu­tio­nen je ange­bo­ten wer­den kön­nen. Ein Gedan­ke, der gera­de auf gene­ti­scher Ebe­ne sofort als völ­lig halt­los ver­wor­fen wer­den wür­de. Den­noch scheint mir der Kom­ple­xi­täts­grad der Auf­ga­be der gesell­schaft­li­chen Demi­ur­gen deut­lich unter­schätzt zu sein, wie der Ent­wick­lungs­ver­lauf aller Reiß­brett-Gesell­schaf­ten des zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts ein­drück­lich zeigt.
    Kurz: Ich erken­ne die Argu­men­ta­ti­on von Offen­heit und unbe­rühr­ter Natur wie­der, sie über­zeugt mich aber nicht.

  3. »Auf der Rech­ten gab es die Nazis …« Wie man sich intel­lek­tu­ell mit die­sem The­ma aus­ein­an­der­set­zen kann und dann zu sol­chen Fest­stel­lun­gen kommt, ist mir unver­ständ­lich. Es ist nicht so schwer zu verstehen:

    Der höchs­te Wert der Lin­ken ist die GLEICHHEIT.
    Der höchs­te Wert der Rech­ten ist die FREIHEIT.

    Gleich­heit lässt sich nur durch Ein­schrän­kung der Frei­heit erreichen.
    Aus Frei­heit wird Ungleich­heit hervorgehen.

    Natio­nal­SO­ZIA­LIS­TEN (Nazis) sind ganz sicher nicht der rech­ten (frei­heit­li­chen) Sei­te des poli­ti­schen Spek­trums zuzu­rech­nen. Wenn Sie Rechts­extre­me fin­den wol­len, müs­sen Sie bei Anar­chis­ten oder Liber­tä­ren nachsehen.

    1. Da ken­ne ich aber Rech­te und Liber­tä­re, die die­ser Glei­chung vehe­ment wider­spre­chen wür­den. Ich tue es auch. Was an dem Ein­wand aber stimmt, ist, dass ich hier die Nazis zu ein­deu­tig rechts ver­or­tet und die lin­ken Ele­men­te unter­schla­gen habe. Wer­de dazu bald in einem geson­der­ten Arti­kel etwas sagen.

      1. Der Arti­kel ist ja inter­es­san­ter­wei­se mit einem Huf­ei­sen illus­triert, auch wenn die besag­te Theo­rie nicht ange­spro­chen wird.

        Gera­de die extre­men Rän­der des Rechts-links-Spe­krums ähneln sich in gewis­ser Wei­se. Die Links­extre­men sind ja meist eher auto­ri­tär, und ich wür­de bezwei­feln, dass das Per­sön­lich­keits­merk­mal Offen­heit da noch vor­herrscht. Statt­des­sen fin­det man wie­der ver­mehrt Tabus und Wer­te des Hei­li­gen. Der links ver­or­te­te Radi­kal­fe­mi­nis­mus z.B. ent­hält gera­de­zu reak­tio­nä­re erz­kon­ser­va­ti­ve Ideen.

        1. Ja, sehe ich auch so, die aus­schlag­ge­ben­de Eigen­schaft und der gemein­sa­me Nen­ner der Extre­me ist mei­ner Ansicht nach Auto­ri­ta­ris­mus. Arti­kel dazu folgt dem­nächst, Hanau kam dazwischen.

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