«Ich spritzte mir das Sperma eines Freundes»

Aktualisiert

Hetero-Mutter, Homo-Vater«Ich spritzte mir das Sperma eines Freundes»

Aline* (40) wollte ihren Kinderwunsch verwirklichen, obwohl sie single ist. Im Internet fand sie einen schwulen Mann, der unbedingt Vater werden wollte.

Zora Schaad
von
Zora Schaad

«Dann war es plötzlich so weit: Ich lag in meinem Bett, in meiner rechten Hand eine Plastikspritze aus der Apotheke, 30 Rappen das Stück. Gefüllt war sie mit Dominiks* Sperma, es war noch warm. Ich roch daran, fand es ein bisschen eklig, vor allem aber absurd. Doch mein Entschluss war längst gefallen: So tief es ging habe ich die Spritze in meine Scheide eingeführt und abgedrückt.»

Eineinhalb Jahre sind seit dem ersten Versuch vergangen. Aline legt die Hände auf ihren runden Bauch, lächelt. In zwei Monaten kommt ihr Kind zur Welt, ein Mädchen. «Ich bin so gespannt, diese kleine Person, die ich seit Wochen in meinem Kopf und in meinem Bauch trage, kennenzulernen.»

«Mitte 30 begannen meine Hormone, verrückt zu spielen. Überall sah ich Schwangere und Babys und ich spürte, wie sich mein Türchen zum Mutterwerden langsam schloss.»

Alines Schwangerschaft verläuft wie aus dem Lehrbuch. Weniger durchschnittlich ist ihre Vorgeschichte: Seit sie sich erinnern kann, wollte Aline Kinder – später einmal.

Keiner wollte eine aktive Vaterrolle einnehmen

Obwohl sie single war, wurde Mitte 30 aus dem «Später» ein «Jetzt». «Meine Hormone begannen, verrückt zu spielen. Überall sah ich Schwangere und Babys und ich spürte, wie sich mein Türchen zum Mutterwerden langsam schloss. Auf keinen Fall wollte ich untätig herumsitzen und meine Zeit ablaufen lassen.» Aline tinderte und überlegte, sich von einer Zufallsbekanntschaft schwängern zu lassen. Sie informierte sich über den Zugang zu Samenbanken und sprach mit zwei langjährigen Freunden, die bereit waren, ihr Sperma zu spenden. Doch eine aktive Vaterrolle wollte keiner einnehmen. «All diese Optionen befriedigten mich nicht. Ich wünschte mir für mein Kind einen Vater, den ich kannte und den ich mag. Einen, der ebenso ein Kind möchte wie ich und der offen ist für diese unkonventionelle Art der Familiengründung.»

«Das erste Treffen mit dem späteren Vater war ein bisschen wie ein Date, minus den Faktor Erotik. Ich trug ein hübsches Sommerkleid und trank bewusst wenig Alkohol.»

Über die Online-Plattform Familyship fand sie einen Gleichgesinnten. Dominik war ihr auf Anhieb sympathisch. Wie sie träumte er davon, mit einem Kind die Welt neu entdecken zu können. Nach einem kurzen Mailwechsel trafen sich die beiden zum ersten Mal in einer Bar in Zürich. «Ein bisschen war es wie ein Date, minus den Faktor Erotik. Es war mir wichtig, dass ich ihm gefiel, dass er sich mich als Mutter seines Kindes vorstellen konnte. Ich trug ein hübsches Sommerkleid und trank bewusst sehr wenig Alkohol an diesem Abend.»

Dass er schwul ist, findet Aline gut

Natürlich sah sich Aline auch Dominik genau an: «Er sieht gut aus. Dunkle Haare, kurze Hosen, T-Shirt. Er hat einen festen Freund, einen sicheren Job und ähnliche Vorstellungen von Familie wie ich.» Dass er schwul ist, findet Aline ganz gut. So sind andere Frauen, die eine Mutterrolle einnehmen könnten, kein Thema. Und falls sie wieder einen Freund haben wird, wird Eifersucht gegenüber einem Schwulen weniger ein Problem werden als gegenüber einem heterosexuellen Mann, glaubt sie. Rasch klärten die beiden, wie sie sich Betreuung, Unterhalt und Obhut teilen wollten, falls sie zusammen ein Kind haben würden. Einige Wochen nach dem ersten Treffen stand ihr Entscheid fest.

«‹Du musst kommen, meine fruchtbare Zeit beginnt›», simste Aline. Am gleichen Abend masturbierte Dominik in ihrem Bad. »

Aline liess sich bei ihrer Frauenärztin untersuchen und las alles, was sie über weibliche Fruchtbarkeit in die Finger kriegen konnte. Auch Dominik testete sich auf HIV und Hepatitis. Aline begann, ihren Zyklus genau zu beobachten und kaufte Tests, die ihren Eisprung anzeigten. Sechs Wochen nach dem ersten Treffen war es das erste Mal so weit. «Du musst kommen, meine fruchtbare Zeit beginnt», simste Aline, und noch am gleichen Abend masturbierte Dominik in ihrem Bad. Dann brachte er Aline die volle Spritze und kochte für beide, während Aline noch eine Weile die Beine hochlagerte.

«Nach sechs Monaten hatte ich eine Krise»

«Es waren schöne Abende», erinnert sich Aline. «Wir haben zusammen gegessen und viel miteinander gesprochen.» Die Enttäuschung, die auf ihre Zeugungsversuche folgte, war hart. Monat für Monat zeigte der Schwangerschaftstest negativ an. Alines Frauenärztin verschrieb ihr Hormone, Dominik liess mit einem Test sicherstellen, dass seine Spermienqualität in Ordnung war. «Nach sechs Monaten hatte ich eine Krise. Bis zu meinem 40. Geburtstag blieb nur noch ein halbes Jahr. Zwei Freundinnen waren gerade schwanger geworden. Und ich hatte so viel Arbeit investiert und wurde trotzdem einfach nicht schwanger.»

Aline setzte die Hormone wieder ab und machte weiter. Weniger optimistisch als zuvor trafen sich die beiden Monat für Monat.

Nach neun Versuchen endlich positiv

«Nach dem neunten Versuch fühlten sich meine Brüste tatsächlich anders an. Ich testete, ohne Dominik etwas zu sagen. Und tatsächlich: Neben der Kontrolllinie erschien eine feine blaue Linie. Ich war schwanger.»

Dominik und Aline waren überglücklich, aber auch ziemlich ängstlich. «Ich hatte ständig Angst, dass ich das Kindchen verlieren könnte oder dass es krank ist.» Doch nichts dergleichen: Die Schwangerschaft verläuft problemlos, alle Tests sind unauffällig. Täglich fragt Dominik, wie es Aline gehe, ob ihr schlecht oder ob sie müde sei. Die beiden stellen einander ihre Freunde und Familie vor, diskutieren über den Namen, melden sich gemeinsam für den Geburtsvorbereitungskurs an.

Aline schafft Platz in ihrer Wohnung, denn ihre Tochter wird die ersten zwei Jahre bei ihr leben. Später, wenn alles gut läuft, wir die Kleine auch beim Papa schlafen. Aline besorgt Kinderwagen und Kleidchen, Bettchen und Wippe. Mit dem Bauch wächst auch die Vorfreude.

«Manchmal merke ich schon, dass mir ein Partner fehlt. Einer, der sich nicht nur ums Baby, sondern auch um mich sorgt.»

Manchmal fehlt ein Partner

Also alles gut? «Fast alles», gibt Aline zu. «Manchmal merke ich schon, dass mir ein Partner fehlt. Einer, der sich nicht nur ums Baby, sondern auch um mich sorgt. Für mich da ist, wenn ich mal nicht mag. Auch ich habe ursprünglich von einer klassischen Familie geträumt.» Und Auseinandersetzungen mit Dominik? «Auch die gibt es. Wir kennen uns noch nicht so lange, manche Differenzen kommen erst jetzt zum Vorschein. Wie andere Eltern sind auch wir immer wieder damit beschäftigt, Kompromisse zu finden.» Insgesamt aber, hält Aline fest, sei sie sehr zufrieden, wie alles gekommen ist. «Unsere Eltern und Freunde, alle wissen davon und unterstützen uns. Unser Kind hat Eltern, die es lieben. Wir tun alles, damit es gut kommt.»

* Namen geändert

«Co-Elternschaft ist keine Hopplahopp-Aktion»

Frau Wagner, warum betreiben Sie diese Plattform?

Ich bin bisexuell und suchte vor ein paar Jahren selbst nach einer Möglichkeit, meinen Kinderwunsch Realität werden zu lassen. Weil ich kein geeignetes Angebot fand, gründete ich zusammen mit meiner damaligen Freundin Familyship, eine Vermittlungsplattform für Co-Elternschaft. Heute lebe ich mit unserer Tochter Milla (5) und Gianni, ihrem schwulen Vater, in zwei miteinander verbundenen Wohnungen in Berlin.

Wie viele Personen nutzen Ihre Dienstleistung?

Insgesamt sind es gut 4500 aktive Nutzer. Diese Zahl ist seit einigen Jahren recht stabil.

Wie viele davon sind aus der Schweiz?

Zurzeit sind es knapp 360 Nutzer.

Wie viele Babys sind so schon entstanden?

Das wissen wir leider nicht. Es ist wohl wie bei Tinder mit der Ehe.

Wer nutzt Ihre Plattform?

Das hat sich in den letzten Jahren verändert. Zunächst waren es Menschen mit homosexuellen Partnerschaften, inzwischen ist der Grossteil unserer Nutzerinnen weiblich, heterosexuell, single und Mitte/Ende 30. Zunehmend registrieren wir auch Mitgliedschaften von heterosexuellen Männern, die bisher kinderlos geblieben sind. Eine weitere grosse Gruppe sind lesbische Frauen und schwule Männer.

Was raten Sie Personen mit Kinderwunsch, die auf diese Art eine Familie gründen wollen?

Das hängt davon ab, was gesucht wird. Es ist ein Unterschied, ob jemand «nur» einen bekannten Samenspender sucht oder mit jemandem in einer WG zusammenleben möchte. Generell finde ich wichtig, sich ein bisschen Zeit zu lassen. Auch bei der Co-Elternschaft braucht es Vertrauen. Es kann hilfreich sein, gemeinsam in die Ferien zu fahren und die Eltern und Freunde des Gegenübers kennenzulernen. Wichtig ist auch, die grossen Fragen wie Sorgerecht, finanzielle Absicherung, Lebensmittelpunkt, wie und wo Weihnachten gefeiert wird, vorab zu klären.

Ist es nicht ein grosses Risiko, mit einem fremden Menschen eine Familie zu gründen? Wird hier nicht das eigene Ego über das Wohl des Kindes gestellt?

Wenn ich eine Partnerschaft eingehe, ist das ja auch erstmal ein fremder Mensch, bei einer Co-Elternschaft ist das nicht anders. Das ist keine Hopplahopp-Aktion vor dem letzten Eisprung, sondern eine Familienkonstellation neben vielen anderen – da ist nicht mehr oder weniger Ego im Spiel als bei anderen Kinderwunschpaaren. Sich bewusst für eine solche Konstellation zu entscheiden, benötigt viel Vorbereitung und Zeit, das Kindeswohl steht dabei ganz sicher nicht an letzter Stelle. Letztlich bleibt die Familiengründung immer ein Wagnis, egal aus welcher Verbindung sie entstanden ist. (zos)

Christine Wagner ist Co-Gründerin von Familyship.

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