«Polizei schoss meiner Kollegin in die Hände»

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Unruhen in Chile«Polizei schoss meiner Kollegin in die Hände»

Seit Tagen sind in Chile heftige Proteste im Gang. Schweizer mit Verwandten und Freunden im Land erleben hautnah mit, was in Chile wirklich passiert.

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In Chile herrscht seit dem Wochenende der Ausnahmezustand. Eine Erhöhung der Ticketpreise für U-Bahn-Tickets in Santiago löste im südamerikanischen Land eine gewaltige Protestwelle aus. Bis am Dienstag belief sich die Zahl der Todesopfer auf mindestens 13 Menschen.

Die Protestierenden attackierten gemäss Medienberichten U-Bahnstationen. Auch sollen sie Supermärkte und Tankstellen geplündert und angezündet haben. Schweizer mit Kontakten zu Menschen in Chile sagen gegenüber 20 Minuten, dass die Erhöhung der Ticketpreise das Fass zum Überlaufen gebracht hätten. Hintergrund der Proteste ist ein tiefer Graben zwischen Arm und Reich in Chile.

«Meine Schwiegermutter hat Angst um die Jungen»

Annahi Keimer, die ursprünglich aus Chile stammt, hat viele Kollegen, die protestieren. «Eine Kollegin von mir demonstrierte nur mit einem Topf und einem Holzlöffel. Die Polizei schoss ihr in die Hände.» Von ihren Freunden habe sie zahlreiche Videos erhalten, die das gewalttätige Vorgehen der Polizei zeigen. Darauf ist etwa zu sehen, wie die Polizei gegen Demonstranten schiesst.

«Viele Menschen werden auch vermisst. Sie wurden während der Demo von der Polizei abgeführt. Nun suchen ihre Familien sie.» Laut Keimer glauben ältere Chilenen, die keine sozialen Medien konsumieren, gar nicht, was in Chile wirklich passiert. «Das Fernsehen verbreitet Fake-News der Regierung.»

Die Schwiegermutter von T.R.* wohnt in der Nähe von Santiago de Chile. «Meine Schwiegermutter hat Angst um die Jungen, die auf der Strasse protestieren», sagt die 30-Jährige. Gleichzeitig sei ihre Schwiegermutter aber auch froh. «Der Staat steckt so viel Geld in die eigene Tasche. Jetzt muss etwas passieren, damit sich die Situation für das Volk verbessert.»

«Müssen sich jeden Monat verschulden»

Pensionkassensgelder lasse der Staat verschwinden, so R. Auch erhielten die Chilenen keine angemessenen Löhne. «Um Wasser, Essen, Strom und Gas bezahlen zu können, müssen sie sich jeden Monat verschulden», sagt R. Auch für das Gesundheitswesen, die Schulen und Universitäten fehlten Mittel.

Besonders schlimm ist die Situation laut R. in Chile, weil die Regierung das Volk für die Brände und Plünderungen verantwortlich macht. «In Videos sieht man aber, wie Polizisten in Zivil Busse anzünden und Läden ausrauben.» Das Staatsfernsehen stelle die Aufnahmen aber so dar, als steckten Demonstranten dahinter. Sie und ihr Mann seien mit der Schwiegermutter und den Freunden in ständigem Kontakt. «Wir wollen immer wissen, wie es ihnen geht.»

«Schüsse gegen Demonstranten»

Auch Y.H.*, deren Familie in Chile wohnt, hat einen direkten Draht zur Situation vor Ort. «Die Militärs und die Polizei schiessen mit scharfer Munition auf die Demonstranten. Unschuldige Menschen werden aus ihren Häusern gezerrt, weil sie anderen geholfen haben oder sich gegen die sogenannten Freunde und Helfer aufgelehnt haben», berichtet sie.

Der Cousin von H. schreibt, dass sich das Volk mit Gewalt wehre, weil die friedlichen Demonstrationen seit über drei Jahren bei der Regierung nichts bewirkt hätten. «Was haben all die Regierungen getan? Sie privatisierten alle natürlichen Ressourcen, unterstützten die Preiserhöhungen, erhöhten die Strassengebühren, erlaubten höhere Parkplatzgebühren und wollen kassieren, wo sie nur können.»

*Name der Redaktion bekannt.

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