Donnerstag, 5. November 2020

Haben in der Steinzeit auch Frauen gejagt?

Diana, römisch
aus derStandard.at, 5. November 2020

Vor 9.000 Jahren war die Großwildjagd keine Männerdomäne
Eine Entdeckung in Südamerika belegt, dass in der Jungsteinzeit gemischtgeschlechtliche Jagdgesellschaften an der Tagesordnung waren
 
von Thomas Bergmayr

Über das Bild, das sich Forscher von frühen Jäger- und Sammlergesellschaften machen, herrschte hinsichtlich der Aufgabenverteilung lange Zeit weitgehende Einigkeit: Die Männer waren für die Jagd zuständig, die Frauen besorgten das Sammeln und kümmerten sich um den Nachwuchs und die Alten. Ganz so eindeutig dürfte die Rollenzuteilung freilich nicht überall ausgesehen haben: Ein jungsteinzeitlicher Fund in den südamerikanischen Anden enthüllte kürzlich ein etwas differenzierteres Bild.

Im Jahr 2018 stießen Archäologen um Randy Haas von der University of California, Davis, auf der Altiplano-Hochebene im heutigen Peru auf zwei rund 9.000 Jahre alte Beisetzungen. Beide Gräber an der Ausgrabungsstätte Wilamaya Patjxa enthielten unter anderem Jagdwaffen, Projektilspitzen und Werkzeuge zur Verarbeitung großer tierischer Beute. Objekte, die Verstorbenen ins Grab mitgegeben wurden, sind nach bisherigen Erkenntnissen üblicherweise auch diejenigen, die für die Beigesetzten zu Lebzeiten eine wichtige Rolle gespielt hatten. Man kann also davon ausgehen, dass hier zwei Jäger zur letzten Ruhe gebettet wurden.

Die Ausgrabungen in Peru brachte die früheste bekannte Jägerbestattung der Neuen Welt ans Licht.
Jugendliche Jägerin

Zur Überraschung der beteiligten Forscher stellte der Anthropologe und Knochenspezialist James Watson (University of Arizona) allerdings fest, dass eine der beiden Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit weiblich war, eine zwischen 17 und 19 Jahre alte Frau. Das zweite Grab enthielt die Gebeine eines 25 bis 30 Jahre alten Mannes. Eine Analyse von Eiweißmolekülen aus den Zähnen der Toten bestätigte diese Geschlechtszuordnung. Die erst kürzlich entwickelte Technik basiert auf der Untersuchung von Amelogenin, einem geschlechtsspezifischen Protein, das an der Bildung des Zahnschmelzes beteiligt ist. Die Isotopensignatur der Knochen schließlich bescheinigte den beiden Toten einen hohen Fleischkonsum, was typisch wäre für eine Jagdgesellschaft.

"Diese archäologische Entdeckung widerspricht offenbar der traditionellen Hypothese von den ‘jagenden Männern und ‘sammelnden Frauen’", sagt Haas. "Die Arbeitverteilung in jüngeren Jäger-und-Sammler-Gesellschaften ist stark geschlechtsspezifisch. Das könnte manche zu der Annahme verleiten, dass Ungleichbehandlung oder gar Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern irgendwie ‘natürlich’ seien. Tatsächlich sieht es aber so aus, dass die Zuteilung der Aufgaben in unserer fernen Vergangenheit grundlegend anders und wahrscheinlich auch gerechter war."

Eine Herde von Vicuñas auf dem Altiplano in Peru. Vor 9.000 Jahren machten auch Frauen Jagd auf diese Tiere.

Der verblüffende Fund einer frühen Jägerin führte die Forscher unweigerlich zu der Frage, ob sie es hier mit einer Besonderheit, einer seltenen Ausnahme in der damaligen Gesellschaft zu tun hatten, oder ob Frauen zu dieser Zeit und in dieser Region bei der Jagd generell eine entscheidende Rolle zukommt.

Eine genauere Untersuchung bisheriger Bestattungen im späten Pleistozän und frühen Holozän Nord- und Südamerikas brachte letztlich Klarheit: Von 429 Beisetzungen an 107 Standorten waren 27 Personen mit Waffen für die Großwildjagd beerdigt worden. Davon waren 11 weiblich und 15 männlich. Die Jägerin von Wilamaya Patjxa erwies sich dabei übrigens als früheste bekannte Jägerbestattung der Neuen Welt. Die Stichproben reichten jedenfalls aus, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass die Teilnahme von Frauen an der frühen Großwildjagd wahrscheinlich von entscheidender Bedeutung war, berichten die Forscher in der Studie im Fachjournal "Science Advances".

Keine Männerdomäne

Auf Grundlage der statistischen Analyse könne man demnach davon ausgehen, dass 30 bis 50 Prozent der Jäger in diesen Populationen weiblich waren. Diese Erkenntnis steht in krassem Gegensatz zu dem, was man über die Geschlechterrollen bei Jägern und Sammlern jüngerer Zeit oder sogar bei Landwirtschaft betreibenden Gesellschaften weiß. In diesen sei die Jagd stets eine ausgesprochen männliche Aktivität gewesen, mit einer allenfalls geringen Beteiligung von Frauen, so Haas.

Während die Ausgrabungen von Wilamaya Patjxa eine alte Frage zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung in frühen menschlichen Gesellschaften beantwortet, werfen sie auch zahlreiche neue auf. Die Gruppe um Haas möchte als nächstes nachzeichnen, wie sich die Aufgabenverteilung zwischen Frauen und Männern zu verschiedenen Zeiten und an unterschiedlichen Orten in Amerika verändert hat.

Abstract

 

Nota. - Ach, nun muss ich es doch posten, weil es überall durch die Blätteer rauscht! Dabei sagen die Forscher ausdrücklich nicht, dass es sich bei dem Fund um eine Jägerin gehandelt hat, sondern lediglich, dass es sich um eine gehandelt haben könnte. Und auch wenn - eine echte Sensation wäre es nicht. Noch hat ja wohl keiner behauptet, dass sich auf dem Y-Chro-mosom ein Jäger-Gen befindet, das den Frauen auf ihrem doppelten X fehlte. Es wurde lediglich festgestellt, dass bei den eindeutig zuweisbaren Funden als Jagende bislang stets Männer aufgetaucht sind; und das könnte sich mit jedem neuen Fund ändern. Etwa mit dem hier referierten, wenn sich die auf einer Vermutung beruhende statistische Wahrscheinlichkeit als Tatsache erhärten würde. 

Nicht ändern würde sich damit aber die Tatsache, dass schon in der Vor- und Frühgeschichte Männer überwiegend als Jäger und Frauen überwiegend als Sammlerinnen (und Mütter) tätig waren. Wenn es sich bei den weiblichen Funden um junge Frauen handelt, darf man anneh-men, dass sie keine Mütter waren.

Übrigens kann von "Großwildjagd" überhaupt nicht die Rede sein. Im vorkolumbischen Südamerika gab es gar kein Großwild; die Vicu as sind ganz schmächtig, was für ihre Jagd-barkeit ja wohl eine Rolle spielt.

Für spätere Epochen ist das Vorherrschen der Männer beim Jagen (noch) unwidersprochen. Ob das rein kulturell oder schon (epi)genetisch tradiert wurde, ist völlig offen; doch dass etwas 'von Natur' vorgegeben ist, heißt nicht, dass man es gutheißen muss. Man könnte auch eine kulturelle Anstrengung unternehmen, um es zu ändern. Doch müsste man es dann wollen, und dafür bräuchte man gute Gründe. Denn was gerecht ist, war zu allen Zeiten strittig.

JE

 

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