Die coolste E-Zigarette kommt in die Schweiz – und bringt Gesundheitspolitiker und Tabakkonzerne ins Zittern

Juul schlägt in den USA mittlerweile alle anderen E-Zigaretten. Auf Instagram wird das trendige Gerät seit Monaten gehypt. In der Schweiz könnte das stark nikotinhaltige Produkt wegen einer Gesetzeslücke sogar an Minderjährige verkauft werden.

Daniel Gerny
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Cooler Style, fruchtiger Geschmack: Die E-Zigarette aus dem Silicon Valley spricht Jugendliche an. (Bild: Juul Labs / AP Photo)

Cooler Style, fruchtiger Geschmack: Die E-Zigarette aus dem Silicon Valley spricht Jugendliche an. (Bild: Juul Labs / AP Photo)

«Fruit Medley», «Crème brulée» oder «Cool Cucumber»: So heissen die Geschmacksrichtungen der in den USA besonders bei Teenagern beliebten E-Zigarette namens Juul. Mit klassischem Tabakgenuss hat Juul wenig zu tun, dafür umso mehr mit Nikotin: In den USA sind die Pods, wie die Patronen für das Gerät heissen, mit umgerechnet bis zu 50 mg Nikotin pro Milliliter angereichert. Liquids dieser Stärkeklasse sind in der EU und der Schweiz zwar nicht zugelassen. Doch auch 20 mg pro Milliliter, die hier als Obergrenze gelten, sind vor allem für jugendliche Konsumenten stark. Weil das Nikotin bei Juul zudem nicht in Flüssigkeit, sondern in einem Salz gebunden ist, soll es härter und schneller einfahren. Jetzt steht der Einstieg von Juul in den Schweizer Markt offenbar bevor – doch just in diesem Bereich fehlen Vorschriften zum Jugendschutz.

Geschickte Vermarktung

Harter Stoff, fruchtiger Geschmack, trendige Verpackung – diese Kombination erinnert frappant an Alcopops, bei denen hochprozentiger Alkohol mit Süssgetränken gemischt wird. Alcopops sind bei Teenagern beliebt, weil der Alkohol geschmacklich kaum durchdringt. Auch Juul spricht mit seinen Frucht-Aromen ein junges Publikum an, wenngleich sich die Website ausdrücklich an Personen über 21 Jahre richtet.

Auf Instagram und anderen sozialen Netzwerken wird die E-Zigarette unter dem Hashtag #Juuling weltweit gehypt: Jugendliche posten dort Selfies in cooler Pose und tragen so selber zur Popularität von Juul bei. Das liegt auch am Design des kleinen Produkts: Es erinnert eher an einen durchgestylten USB-Stick als an ein konventionelles Dampfgerät. Bequem lässt sich so Nikotin mit Mango-Geschmack inhalieren.

Der Trend erfüllt Fachleute in aller Welt mit Sorge. Denn es ist umstritten, ob E-Zigaretten wirklich ungefährlicher sind als herkömmliche Glimmstengel. So hat die US-Lebens- und Arzneimittelbehörde FDA vom Hersteller Juul Labs die Herausgabe von firmeninternen Dokumenten zu weiteren Abklärungen verlangt. Israel hat den Verkauf von Juul-Zigaretten im Juli aus gesundheitlichen Gründen gar verboten.

Wann Juul seine Offensive in der Schweiz startet, ist unbekannt, doch in den letzten Wochen sind auf Stellenportalen Inserate für Personal geschaltet worden. Weil hierzulande im Gegensatz zur EU kein Mindestalter für den Verkauf und keine Regelungen in Bezug auf an Minderjährige gerichtete Werbung gelten, dürfen E-Zigaretten wie Juul theoretisch auch an Zwölfjährige verkauft werden.

Gesetz hinkt hinterher

Diese Gesetzeslücke besteht, weil das Bundesverwaltungsgericht im April eine Verfügung des Bundesamtes für Lebensmittelsicherheit zu den E-Zigaretten mit entsprechenden Regeln aufgehoben hat. E-Zigaretten aus der EU können seither auch in der Schweiz in Verkehr gebracht werden, wenn sie die technischen Anforderungen eines EU- oder EWR-Mitgliedstaates erfüllen. Für Juul trifft dies zu. Eine Parlamentsvorlage für das Tabakproduktegesetz, das Einschränkungen in Bezug auf Werbung und Verkauf an Minderjährige vorsieht, wird vom Bundesrat allerdings erst Ende Jahr verabschiedet. Bis das Gesetz in Kraft treten kann, vergehen voraussichtlich weitere zwei bis drei Jahre.

Das ist lang in einem Bereich, in dem derzeit gerade die Post abgeht. Welche Dynamik hinter Juul steckt, zeigt eine Studie des Marktforschungsinstituts Nielsen. Laut dieser sind die Verkaufszahlen in den USA innerhalb eines Jahres um 800 Prozent gestiegen. Dort habe Juul inzwischen 71 Prozent der Marktanteile im E-Zigaretten-Bereich, rechnet das Institut vor. Der Wert der Firma wird auf 15 Milliarden Franken geschätzt. Kein Wunder, dass angesichts dieses Erfolgs auch die klassischen Tabakkonzerne alarmiert sind. Für sie stellt Juul eine echte Bedrohung dar. Im Gespräch mit der NZZ ist hinter vorgehaltener Hand in Anspielung auf die Disruption im Foto-Geschäft gar von einem «Kodak-Moment» die Rede.

Freiwilliger Kodex

Ob Juul in Europa einen ähnlichen Erfolg haben wird, ist allerdings unklar. Vor allem die Tatsache, dass die Aroma-Pods hier deutlich weniger Nikotin enthalten dürfen als in den USA, nimmt dem Startup ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen E-Zigaretten. Offen ist zudem, ob das Marketing auch hier den Nerv trifft.

Dennoch sind Gesundheitspolitiker beunruhigt: Die langfristigen gesundheitlichen Auswirkungen von E-Zigaretten seien noch weitgehend unbekannt, heisst es in einem Vorstoss, den die kleine Kammer am kommenden Dienstag behandelt. Ständerat Joachim Eder (fdp.), früherer Gesundheitsdirektor des Kantons Zug, meint darin warnend, «dass sich neue Anbieter auf dem Markt der Wichtigkeit des Kinder- und Jugendschutzes nicht oder zu wenig bewusst sind».

Auch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit (BLV) und die Branche selbst sind inzwischen aktiv geworden: Ziel ist es, einen Kodex zu erarbeiten, um ein Mindestalter für den Kauf und Werbeeinschränkungen für Jugendliche auf freiwilliger Basis durchzusetzen, bis ein Gesetz in Kraft tritt. Ein erstes Treffen hat bereits stattgefunden. Die zweite Runde, an der Vertreter des Detailhandels, der Tabakkonzerne und der E-Zigaretten-Branche teilnehmen, findet am kommenden Dienstag statt.

Die Arbeiten zur vorübergehenden Selbstregulierung sind nach Aussagen von Beteiligten auf gutem Weg. Ob sich auch Juul Labs an die Vorgaben halten würde, ist aber offen: Bisher sassen ihre Vertreter nicht mit am Tisch.