Lokführer fahren an freien Tagen, weil Personal fehlt

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Frust bei der SBBLokführer fahren an freien Tagen, weil Personal fehlt

Die SBB hat zu wenig Personal. Damit trotzdem Züge fahren, bezahlt die Bahn nun Prämien. Der Frust wachse, warnen Lokführer.

Stefan Ehrbar
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Stefan Ehrbar

Der Frust bei den Lokführern der SBB sitzt tief. Insbesondere in der Region Zürich fehlt momentan Personal. Für dieses Wochenende geht die SBB gemäss der Planung vom 19. Juni von einem Unterbestand von 79 Lokführern aus.

Bis Ende Oktober rechnet die SBB in Zürich mit einem Bestand, der nie unter 20 Lokführern zu wenig pro Tag liegt. An Spitzentagen fehlen 56 Lokführer. Das zeigen Daten, die das Lokführer-Magazin «Locofolio» publik machte. Damit die Züge trotzdem fahren, braucht die SBB Lokführer, die freie Tage verschieben. Dafür erhalten sie von der SBB zurzeit eine Prämie von 80 Franken pro Tag.

«Gleichgültigkeit und Überdruss»

«Offenbar ist dieser Unterbestand geplant», schreibt «Locofolio». In deutlichen Worten wird die SBB kritisiert: «Selbst bei den loyalsten Mitarbeitern schleichen sich Gleichgültigkeit und Überdruss ein. Sie wissen, dass ihre professionelle Meinung nicht mehr gefragt ist, und sehen sich in die Rolle der Ausputzer gedrängt, die mit Zusatzeffort den Betrieb am Leben erhalten sollen, um die Fehlplanungen und Produktivitätsverluste auf eigene Kosten zu kompensieren.»

Hans-Ruedi Schürch ist bei der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (LPV-SEV) für die Lokführer zuständig. «Der Frust staut sich auf», sagt er. «Die Lokführer haben das Gefühl, derzeit mehr zu geben als zu bekommen.» Die Situation in Zürich sei zwar speziell, weil es viele Feste, Konzerte und Baustellen gebe und zurzeit vor allem Lokführer gefragt seien, die Fahrzeuge der Zürcher S-Bahn bewegen können. «Aber keine dieser Baustellen, kein Konzert und kein Fest ist eine Überraschung. Das ist alles schon lange bekannt», sagt Schürch.

Nahm SBB Unterbestand in Kauf?

Die Einsatzplanung mit der neuen Dispositionssoftware Sopre sei noch immer unübersichtlich und unproduktiv, was zusätzlich zu fahrende Touren generiere. Zudem meldeten sich immer mehr Lokführer auf ausgeschriebene Dispositionsstellen, was die Situation verschärfe.

Die SBB habe den Unterbestand in Kauf genommen, sagt Schürch. Sie kommuniziere ihren Lokführern den geplanten Unterbestand, um sie zum Arbeiten an eigentlich freien Tagen zu bewegen. «Das Schlimmste ist, dass die planbare Freizeit auf der Strecke bleibt. Dienstpläne werden immer kurzfristiger geändert. Die öffentlich beworbene Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheint für alle zu gelten – ausser das Lokpersonal.»

«Es braucht mehr Lohn»

Zusätzliche freie Tage seien vor November zurzeit nicht denkbar. Zwar seien die Lokführer sehr verantwortungsbewusst und loyal. «Wir sind noch nicht am Punkt, an dem die Kunden den Unterbestand merken – einfach, weil immer noch genügend Lokführer ihre Freizeit opfern», sagt Schürch. «Doch die Zukunft ist nicht rosig. Die Fluktuation dürfte sich noch erhöhen. Es gibt zu wenig Nachwuchs.»

Es sei schwierig, Junge für den Beruf zu begeistern. «Es braucht höhere Löhne schon zu Beginn der Ausbildung», sagt Schürch. Zudem würden Themen wie ein Vaterschaftsurlaub immer wichtiger. Das zeigten Gespräche mit Interessierten. «Die SBB muss sich bewegen», fordert Schürch.

SBB versteht Unmut

Fabian Rippstein Bornhövd, Regionenleiter Lok- und Rangierpersonal Ost bei der SBB, sagt, eine gewisse Anspannung beim Personal sei zurzeit spürbar. «Unsere Lokführerinnen und -führer leisten Sonderschichten. Wir verstehen den teilweisen Unmut», sagt er.

Das Ziel der SBB sei, dass keine Züge ausfallen. Grund für den momentan angespannten Personalbestand seien Events und Baustellen. «Von Mai bis Oktober fahren wir 1900 Extrazüge. So viele gab es zuletzt im Expo-Jahr 2002.» Das Personal im Grossraum Zürich sei besonders betroffen, weil hier viele der Anlässe stattfinden würden. Zudem gebe es in Zürich viele Abstellflächen. Dementsprechend starteten dort viele Züge.

SBB dankt Personal

Über das ganze Jahr gesehen, habe die SBB grundsätzlich – über die ganze Schweiz gesehen – einen ausgeglichenen Personalbestand. Um die momentane Situation zu entschärfen, versuche die SBB, an kritischen Tagen so wenige Fahrten ohne Kunden wie Mess- oder Testfahrten wie möglich durchzuführen und diese auf andere Tage zu verschieben.

Künftig stehe die SBB wegen der Demografie vor Herausforderungen, sagt Rippstein Bornhövd. «Das Durchschnittsalter unseres Lokpersonals beträgt 47 Jahre. Wir werden in den nächsten Jahren viele ersetzen müssen.» Für jeden Ausbildungslehrgang mit 18 Teilnehmern gingen aber 100 bis 300 Bewerbungen ein. Der Job sei nach wie vor gefragt und die SBB als Arbeitgeber beliebt. Das Lohnthema werde laufend analysiert.

Dass Dienstpläne manchmal kurzfristig geändert würden, sei Tatsache, sagt Rippstein Bornhövd. Häufig liege das an Änderungen der Konzepte bei Baustellen. Die SBB versuche, das zu verbessern. «An unser Personal geht ein grosses Dankeschön», sagt Rippstein Bornhövd. «Wir spüren ihre Bereitschaft, den Betrieb zu gewährleisten, und ihre Identifikation mit der SBB jeden Tag.»

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