Eine katholische Familie unter der Naziherrschaft

Anfang Dezember waren die Ratzingers in ihrer neuen Heimat angekommen, acht Wochen später, am 30. Januar 1933, wird in Aschau die Hakenkreuzfahne gehisst. Es ist der Tag der Machtergreifung Hitlers, der das Geschick Deutschlands, Europas, der ganzen Welt zwölf Jahre in Bann halten wird.

Für den 1. und 2. Oktober 1932 hatte die Hitlerjugend zu einem »Reichsjugendtag« in die preußische Traditionsstadt Potsdam geladen. Das Motto: »Gegen die Reaktion – für die sozialistische Revolution«. In Zügen und auf Lastkraftwagen strömten aus ganz Deutschland rund 70 000 Jungen und Mädchen in die Stadt, um mit Fackeln und rot-weiß-roten HJ-Fahnen durch die Straßen zu ziehen – der bis dahin größte politische Jugendaufmarsch der Welt. Hitler nahm die Parade in Schaftstiefeln und mit Schirmmütze ab. Mit leuchtenden Augen blickten die Jugendlichen zu ihm auf. Sie sehen in ihm, so eine Teilnehmerin, »in ergreifender Gläubigkeit den Helfer, Erretter, den Erlöser aus übergroßer Not«.

Die Arbeitslosigkeit nahm weiter zu. Waren Anfang 1931 fast fünf Millionen Menschen als erwerbslos gemeldet, sind es ein Jahr später rund sieben Millionen. Parallel hierzu stiegen die Aufnahmeanträge in die Hitler-Partei. In nur sieben Monaten hatte sich die Zahl der Mitglieder nahezu verdoppelt, auf mehr als eine Million. Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 zog die NSDAP mit 37,4 Prozent der Stimmen – mit größtem Zuspruch bei den Erstwählern – als stärkste Fraktion in den Reichstag ein. Hitler forderte die Kanzlerschaft. Doch noch lehnte Reichspräsident Hindenburg ab. Stattdessen ließ er erneut den Reichstag auflösen und setzte Neuwahlen an. Gleichzeitig glitt Deutschland immer mehr in einen schleichenden Bürgerkrieg ab. Von Mitte Juni bis zum 20. Juli 1932 wurden allein in Preußen nach Straßenkämpfen 99 Tote und 1125 Verletzte gezählt. (…)

Für Vater Ratzinger war der Zeitpunkt gekommen, seine Familie in Sicherheit zu bringen. Dreizehnmal war der Gendarm in seiner Laufbahn von Ort zu Ort gezogen, aber der letzte Wechsel ist nichts anderes als eine Flucht. Am 5. Dezember 1932, dem Tag ihrer Ankunft in Aschau am Inn, einem Sonntag, war es trübe und windig, mit kalten Schauern aus Regen und Schnee. Eine Nachbarin hatte zur Begrüßung Tee vorbereitet. Bald stellte sich der Bürgermeister ein, dann der Pfarrer. Immerhin handelte es sich bei dem Neuankömmling und seiner Familie um den neuen Chef der Polizeistation. Und dem eilte ein gewisser Ruf voraus, seit er sich in dem rund 35 Kilometer entfernten Tittmoning mit der SA angelegt, deren Versammlungen aufgelöst und sich dadurch als entschiedener Nazigegner zu erkennen gegeben hatte. (…)

Jahrhundertbiografie des deutschen Papstes
Peter Seewald: "Einen wie ihn wird es nicht mehr geben"
In den Wintermonaten ist es auf dem Land, als befänden sich die Bewohner in einer Art Agonie. Eine tiefe Schneedecke brachte alles öffentliche Leben zum Erliegen. Die Bauern wärmten sich an ihren Holzöfen die Füße, und nur selten sah man ein Pferde- oder Ochsengespann die Dorfstraße entlangruckeln, ganz langsam, als habe jemand die Zeit angehalten. Weihnachten stand vor der Tür, und im frühen 20. Jahrhundert erbaten sich die Kinder auf ihren Wunschzetteln zuallererst religiöse Dinge und Gottes Segen, den sie mit einem Dank an die »Theuren Eltern« verbanden. Ein Brief ans Christkind aus dem Jahr 1934 ist dann auch das früheste schriftliche Dokument des späteren Papstes.

»Liebes Christkind!«, heißt es darin in altdeutscher Schönschrift. »Du schwebst bald auf die Erde hernieder. Du willst den Kindern Freude bereiten. Auch mir willst Du Freude bereiten. Ich wünsche mir den Volks-Schott, ein grünes Messkleid und ein Herz JESU. Ich will immer brav sein. Schönen Gruß von Joseph Ratzinger.«

Den Brief malte der Junge mit einem Tannenzweig mit Kerze und Kugel aus, und um Papier zu sparen, nutzten die Geschwister die Rückseite für die eigene Post. Maria wünschte sich Das Wunderstündlein, ein damals beliebtes Weihnachtsbuch, Georg Noten für Kirchenmusik und, parallel zu seinem Bruder, ein weißes Messgewand, um gemeinsam Pfarrer spielen zu können.

Noch ahnen die wenigsten Christen in Deutschland, dass sie am 24. Dezember 1932 den letzten Heiligen Abend feiern würden, an dem Weihnachten nicht vom Lärm der Propagandasender übertönt wird. Schon die Beigaben für die Krippe zu suchen, so Ratzinger rückblickend, »den Wacholder, die Tannenzapfen und dann das Moos, das war etwas ganz Besonderes mit einem eigenen Gefühl, wenn man die Natur gleichsam in das eigene Leben und in die Heilsgeschichte hereinholt und das so Vergangene zur Gegenwart und Wirklichkeit im eigenen Leben wird«.

Dem Nachmittagskaffee um 16 Uhr folgte der gemeinsame Rosenkranz – am Boden kniend, die Ellbogen auf die Sitzfläche eines Stuhles gestützt –, bis endlich das Christkind mit einem zarten Glockenläuten dem Warten ein Ende setzte: »Dann sind wir ins Wohnzimmer hinein, wo schon ein Fichtenbäumerl auf dem Tisch stand, mit brennenden Wachskerzen«, erzählte Georg. »Der Baum war mit Kugeln, Engelshaar und Lametta geschmückt, außerdem mit Sternen, Herzen und Kometen, die unsere Mutter aus Quittenmarmelade ausgeschnitten hatte.« Vor dem Geschenkeauspacken – selbst gestrickte Socken und Pullover – ertönen Weihnachtslieder. Danach werden die Kinder den Abend mit Hausmusik gestalten, erstmals auch mit einer Eigenkomposition: »Die Mutter war zu Tränen gerührt«, erzählte Georg über sein Debüt, »und auch der Vater, obwohl etwas nüchterner veranlagt, war beeindruckt.«

Packend erzählte Lebens- und Zeitgeschichte
Katholisches Epochenbrausen: Wie aus Joseph Ratzinger Benedikt der XVI. wurde
Das Kalkül war aufgegangen. Alle Mitglieder der Familie fühlten sich sicher und geborgen. Der Dienst des Vaters war gemächlicher geworden. Es gibt keinen Wahlkampf wie in Tittmoning, nicht die aggressiven Versammlungen in den Hinterzimmern von Wirtshäusern. In der Schule fiel Georg durch seine musikalische Begabung auf, seine Schwester durch außergewöhnliche Intelligenz und ihr phänomenales Gedächtnis, dank dessen sie im Theaterstück einen Text von 30 Minuten Länge ohne Mühe über die Bühne bringt. Der kleine Joseph freundet sich mit der gleichaltrigen Tochter des Brauereibesitzers an, der »Bräu-Bärbel« von nebenan, und wartet ungeduldig darauf, bald wie seine Geschwister die Schulbank drücken zu dürfen.

Und dann ist da noch das Heilige Jahr, das Papst Pius XI. für 1933 ausgerufen hatte. Geplant war ein demütiges Gedenken der Leiden Christi vor 1900 Jahren. Viele Katholiken hatten sich dabei ein Jahr der Gnade erhofft, tatsächlich aber sollte das Jubiläum Christi ein Jahr furchtbarer Prüfungen werden. Ähnlich der Katharsis, wie sie das Evangelium über die Krise von Kafarnaum berichtet, als sich viele der Anhänger von Christus trennten, weil sie eine andere Vorstellung von einem Messias und dem Weg des Heils hatten. »Für wen halten mich die Menschen«, hatte Jesus seine Jünger gefragt, »und für wen haltet ihr mich?« Zur Entscheidung stand das Bekenntnis zu Christus – oder zu einer Heilsbewegung, die sich an politisch-weltlichen Vorstellungen orientierte.

Anfang Dezember waren die Ratzingers in ihrer neuen Heimat angekommen, genau acht Wochen später, am Montag, dem 30. Januar 1933, wird in Aschau die Hakenkreuzfahne gehisst. Es ist der Tag der Machtergreifung Hitlers, der das Geschick Deutschlands, Europas, der ganzen Welt zwölf Jahre in Bann halten wird. Das Todesjahr Jesu wird das Todesjahr für Recht und Freiheit, für Glaube, Hoffnung, Liebe; ein Hinabstieg in den Karsamstag, in die Dunkelheit von Tod und Terror, in ein apokalyptisches Wüten, das in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel ist. (…)

Ein Kompass durch verwirrte Zeiten
Die DNA der Kirche: Glaube, Wahrheit und Freiheit
Eine der Nachrichten in den dramatischen Wochen der Machtübernahme der Nazis musste Kommissar Ratzinger besonders treffen. Mit ganzer Leidenschaft hatte sich die Wochenzeitung Der gerade Weg Hitler entgegengestellt. »Hetzer, Verbrecher und Geistesverwirrte« war eine ihrer Schlagzeilen. Die kompromisslose Haltung gegen den Faschismus wurde von den Lesern honoriert. Die Auflage war auf 100.000 Exemplare gestiegen. Am 30. Januar 1933 schrieb Chefredakteur Dr. Fritz Gerlich über Hitlers Rede im Reichstag:

»Das deutsche Volk wird wieder ein Volk christlicher Moral und aller Kulturtradition werden, und es wird sich des Tages schämen, und zwar fortdauernd schämen, wie es möglich war, dass ein deutscher Reichskanzler … einen Regierungsaufruf verlesen konnte, der so der objektiven Wahrheit Gewalt antut wie der gegenwärtige.«

Gut einen Monat später, am 9. März 1933, stürmen SA-Leute unter dem Ruf »Wo ist Gerlich, die Sau?« die Redaktionsräume des Geraden Wegs im Münchner Färbergraben, misshandeln den Journalisten mit Faustschlägen und Fußtritten und transportieren ihn ins KZ Dachau. Nach 15 Monaten Haft wird er am 30. Juni 1934 kurz vor Mitternacht aus seiner Zelle geholt und ermordet. Seiner Frau lassen die Nazis in einem Karton Fritz Gerlichs einzigen »Nachlass« zukommen: seine blutverschmierte Brille.

Vater Ratzinger musste kein Prophet sein, um in die Zukunft blicken zu können, ihm genügte ein nüchterner Verstand: »Jetzt kommt der Krieg«, sprach er zu seiner Familie, »jetzt brauchen wir ein Haus.« (…)

In streng katholischen Gebieten auf dem Lande hatten die Nazis lange Zeit Mühe, eine nennenswerte Anhängerschaft zu finden. Insbesondere wenn die Wähler, wie die Ratzingers, einer bewusst bayerisch-patriotischen und antipreußischen Linie nahestanden, der von jeher Deutschtümelei zuwider war. »Das bäuerliche Leben war noch in einer festen Symbiose mit dem Glauben der Kirche zusammengefügt«, schrieb Ratzinger in seinen Erinnerungen, »Geburt und Tod, Hochzeit und Krankheit, Saat und Ernte – alles war vom Glauben umschlossen.« Doch mit der Machtübernahme der NSDAP entstand auch in Aschau eine neue Lage. (…)

Für niemanden im Ort war die Lage so prekär wie für den Kommissar. Für ihn waren die Nazis einfach Verbrecher. Hitler nannte er den Kindern gegenüber einen Taugenichts und Gauner der übelsten Sorte. Doch plötzlich sollte er als Ordnungshüter einem Staat dienen, dessen Führung ihm zutiefst verhasst war. »Ich war noch ganz klein«, berichtete sein Sohn, »aber ich kann mich erinnern, wie er gelitten hat.« Sooft er eine Zeitung in die Hand nahm und von den Maßnahmen der neuen Herren las, habe er »fast einen Wutanfall bekommen«. Der Gendarm ist ein Mann der Tat. Noch im Jahr der Machtergreifung Hitlers kauft er für 5500 Reichsmark ein altes Bauernhaus in der Nähe der Schulstadt Traunstein. Viel Geld für einen kleinen Beamten. Viel Geld zumal für eine 200 Jahre alte Hütte in einem kleinen Weiler, die der frühere Besitzer abgewirtschaftet hatte.

Zivilreligionen gibt's genug stattdessen
Volkskirche ohne Volk
Nach der Auflösung der Parteien werden in Deutschland auch sämtliche unabhängigen Jugendverbände verboten, Hitlerjugend (HJ) und Bund Deutscher Mädel (BDM) dagegen zur Staatsjugend erklärt. In den Kindergärten wird das Kreuz durch das Hakenkreuz ersetzt, die Klosterschwestern durch NS-Schwestern. Priester werden als potenzielle Reichsfeinde denunziert, bespitzelt und bedrängt. Weihnachten wird gegen das nordisch-germanische »Jul-Fest« ausgetauscht, Ostern gegen ein »Hasen-Fest«. Sukzessive soll das Christentum durch eine Art NS-Glauben ersetzt werden, einer »Religion für alle«. Aus dem Heil Christi wird das Sieg-Heil des »Führers«, des neuen und wahren Erlösers. »Den Befehl gab uns kein irdischer Vorgesetzter« dröhnt die knatternde Stimme Hitlers auf dem Reichsparteitag der NSDAP 1934, »den Befehl gab uns der Gott, der unser Volk geschaffen hat.«

Die Nazis waren nicht über Nacht groß geworden. Auch in anderen europäischen Ländern strebten faschistische Bewegungen nach einer gesellschaftlichen und politischen Wende. Tatsächlich dauerte es ein ganzes Jahrzehnt, um die NSDAP an die Schalthebel der Macht zu bringen. Der ideologische Boden hierfür wurde jedoch weit früher aufbereitet, insbesondere was Theorien betraf, die geeignet waren, durch völkisches, nationalistisches und rassistisches Gedankengut das konfessionelle Christentum zu einer »arteigenen« Volksreligion umzuformen.

Besondere Bedeutung hatte dabei der Begriff vom »positiven Christentum«, das mit pseudoreligiösen Motiven eine fortschrittliche, der Zeit gemäße Religion zu entwickeln versprach. Die Alternative zum überlieferten Evangelium war ein selbst fabrizierter religiöser Mix mit dem Ziel einer neuen Nationalkirche unter der Herrschaft eines weltlichen Diktators. Das »positive Christentum«, beteuerte Hitler, sei Grundlage seines politischen Handelns. Intern machte er 1941, auf dem Höhepunkt seiner Macht, deutlich: »Der Krieg wird sein Ende nehmen, und ich werde meine letzte Lebensaufgabe darin sehen, das Kirchenproblem noch zu klären. Erst dann wird die deutsche Nation ganz gesichert sein.« (…)

Als wichtigster Vorläufer für eine »gereinigte Religion« sollte sich die 1927 gegründete »Kirchenbewegung Deutsche Christen« (DC) erweisen, die die christliche Trinitätslehre zugunsten einer neuen Dreieinigkeit von Gott, »Führer« und Volk uminterpretierte. Alfred Rosenbergs Buch Der Mythus des 20. Jahrhunderts, von der katholischen Kirche am 7. Februar 1934 auf den Index gesetzt, fand in diesen Kreisen große Zustimmung. Hitlers Chef-Ideologe wetterte darin gegen marxistischen und katholischen Internationalismus, den er als zwei Facetten desselben jüdischen Geistes darstellte. Im Gegensatz hierzu sei eine erneuerte Nationalreligion nichts anderes als die Vollendung der Reformation. In den »Richtlinien« der neuen Glaubensbewegung hieß es: »Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen … Insbesondere ist die Eheschließung zwischen Deutschen und Juden zu verbieten.« Zu diesen Vorsätzen gehörte ferner der Ausschluss der »Judenchristen«, die »Entjudung« der kirchlichen Botschaft durch Abkehr vom Alten Testament, die Umdeutung des Neuen Testaments sowie die »Reinhaltung der germanischen Rasse« durch »Schutz vor Untüchtigen« und »Minderwertigen«. (…)

Konnte man aus der NSDAP auch austreten?
Eine bahnbrechende Studie zu den Mitgliedern der NSDAP
Bei den Reichstagswahlen im Juli 1932 hatte die NSDAP in Gebieten mit einem protestantischen Bevölkerungsanteil von 80 Prozent laut einer Untersuchung des Politikwissenschaftlers Jürgen W. Falter14 durchschnittlich 42,1 Prozent der Stimmen erhalten. In katholischen Gebieten mit einem entsprechend hohen Bevölkerungsanteil aber waren es 24,1 Prozent. Gab es im Reichstag von 1924 noch einen Katholikenanteil von 25 Prozent, so saßen im Großdeutschen Reichstag von 1943 noch 7 Prozent Katholiken. Das Wahlverhalten eines Großteils der Protestanten ließ den evangelischen Soziologen Gerhard Schmidtchen gar die Frage stellen, »ob der Nationalsozialismus in einem katholischen Deutschland überhaupt an die Macht gekommen wäre«. Der Historiker Winfried Becker, bis 2007 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau, konstatierte: »Während die rund 1500 evangelischen Zeitschriften mit einer Gesamtauflage von 12 Millionen Exemplaren den ›nationalen Aufbruch‹ der Hitler-Bewegung fast einhellig begrüßt hatten, war die Gegnerschaft der katholischen Zeitschriftenpresse gegenüber dem NS-Regime trotz anfänglicher Zugeständnisse unübersehbar.«

Zu einer Gegenbewegung im protestantischen Lager kam es, als die Generalsynode der Evangelischen Kirche der altpreußischen Union im September 1933 in Berlin den sogenannten Arierparagrafen einführte. Verbunden war damit die Versetzung all jener Pfarrer und Kirchenbeamten in den Ruhestand, die einen jüdischen Eltern- oder Großelternteil in der Familie aufwiesen. Auf den unerhörten Vorgang reagierten Gläubige mit Protesten und Massenaustritten. Noch im selben Monat entstand der Pfarrernotbund, aus dem im Mai 1934 wiederum die Bekennende Kirche hervorging.

Zu den führenden Persönlichkeiten der protestantischen Gegenbewegung zählten die Theologen Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer. Bonhoeffer wurde am 5. April 1943 verhaftet und am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg auf ausdrücklichen Befehl Hitlers als einer der letzten NS-Gegner, die mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 in Verbindung gebracht wurden, hingerichtet. Als ein Grundpfeiler der bekenntnisorientierten Kräfte erwies sich eine von dem in Bonn lehrenden Karl Barth vertretene Theologie, die sich grundsätzlich gegen jede Art von zeitgemäßer Inanspruchnahme des Evangeliums aussprach und die evangelische Theologie durch eine konsequente Rückbesinnung auf die biblische Offenbarung zu erneuern suchte. Der beste Dienst an den Menschen sei die treue Verkündigung des anvertrauten Wortes Gottes, so Barth.

Ratzinger stand als Professor mit dem Schweizer Protestanten in regem Kontakt. Barth umgekehrt hielt große Stücke auf den Katholiken und empfahl seinen eigenen Studenten: »Lest Ratzinger!«

Gekürzter und um die Fußnoten zu den Literaturnachweisen bereinigter Auszug aus:
Peter Seewald, Benedikt XVI. Ein Leben. Droemer, Hardcover mit Schutzumschlag, 2 Lesebändchen, 1184 Seiten, 38,00 €


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>

 

Unterstützung
oder

Kommentare ( 4 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

4 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
WandererX
3 Jahre her

Nun ja: der Faschismus wurde in den katholisch geprägten Ländern Frankreich und Italien entwickelt, nicht in lutherischen Preußen, Dänemark oder Schweden. Von den Wahlergebnissen auf Nazimentalität zu schließen, ist auch zu billig und kindisch. Die Leute waren wohl eher pro Nationalstaat und Wiedererrichtung eines starken Deutschlands, was ggf. ja legitim als Ziel war, ein Dorfkatholik war so etwas vielleicht egal: das ist aber kein Ausweis einer gutmütigen Lebenshaltung. Man darf es sich nicht zu billig machen.

Monika Medel
3 Jahre her

Im Einzelfall wohl zutreffend und interessant, aber letzlich ein Imagebericht, glattgebügelt, was das Ganze in meinen Augen entwertet.Hat nicht Barth immer wieder spitze Bemerkungen über den Katholizismus gemacht und das Papsttum abgelehnt? Hatten nicht die meisten hochrangigen Nationalsozialisten einen katholischen Hintergrund? Etwas Differenzierung gefällig? Ein katholisches Landstädtchen in Oberschwaben. Der Bürgermeister ist Parteigenosse, nicht übereifrig, mehr der tüchtige Verwalter, darum recht beliebt. Man arrangiert sich. Der wirtschaftliche Aufschwung, die politischen Erfolge, die schönen bis feuchtfröhlichen Mai- und Erntedankfeiern, so was Ähnliches wie Fronleichnam … Die jüdischen Vieh- und Kornhändler sind auf einmal an Markttagen nicht mehr da. Darüber spricht man… Mehr

Mausi
3 Jahre her

Schlimme Zustände. Sie lösen bei mir Albträume aus. Furchtbar ist für mich auch der Hochmut zu glauben, man selbst hätte sich nicht untergeordnet. Was blieb Familienvätern denn anderes übrig, wenn sie sonst auf der Strasse gestanden hätten? Nicht mehr in der Lage, die Familie zu ernähren? Zeichen gegen die Nazis konnte man nur versteckt geben. Wussten Sie, dass die Haarmode ein stilles Verweigern war? Mein Vater durfte als Zeichen der Ablehnung als Kind und Teenager seine Haare über den Ohren lang und nicht kurzrasiert tragen. Vor diesem Hintergrund löst es bei mir ungute Gefühle aus, wenn davon die Rede ist,… Mehr

Toby
3 Jahre her

Ein außerordentlich interessanter Artikel. Die protestantische Kirche hat bis heute nichts gelernt und ist im „FührerINNENkult“ wieder ganz vorne mit dabei.