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Rocket Lab: Starten, wo andere Urlaub machen

Foto: Rocket Lab

Neuseeländischer Raketenbauer Rocket Lab Mit Kampfpreisen ins All

Ein Weltraumbahnhof ausgerechnet in Neuseeland? Peter Beck ist überzeugt, dass er mit diesem Standort für sein Unternehmen Rocket Lab die globale Satellitenindustrie umkrempeln kann.
Ein Interview von Christoph Seidler
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Neuseeländer lieben "Flight of the Conchords". In dieser - in Deutschland eher unbekannten - US-Fernsehserie spielt eine gleichnamige neuseeländische Folk-Band sich selbst bei ihren Abenteuern in New York.

Weil Peter Beck Neuseeländer ist, liegt auch ihm "Flight of the Conchords" am Herzen. Deswegen hat er als Chef der Firma Rocket Lab auch entschieden, dass der erste kommerzielle Start der von seinem Unternehmen entwickelten "Electron"-Rakete unter dem Motto "It's Business Time" stehen soll - benannt nach einem Song aus der TV-Comedy. Darin geht es um den Kuschelabend eines verheirateten Pärchens. Es ist nicht immer alles romantisch, aber es ist doch recht lustig. Zum Beispiel lernt man, woher Business-Socken ihren Namen haben. (Eine Live-Version des Songs finden Sie hier .)

Im November soll die Rakete abheben, vom eigenen Weltraumbahnhof des Unternehmens, der ebenfalls in Neuseeland liegt. Zweimal ist die 17 Meter hohe "Electron" bereits testweise von dort geflogen, im Mai 2017 - mit einigen Problemen - und im Januar dieses Jahres. Das Besondere daran: Das Fluggerät befördert kleine, bis 225 Kilogramm schwere Satelliten zu Kampfpreisen ins All.

Fünf Millionen Dollar kostet ein Start. Zum Vergleich: Eine - allerdings deutlich größere - "Falcon 9" von SpaceX, dem Low-Cost-Anbieter der Raumfahrtbranche, bekommt man ab 65 Millionen Dollar.

Rocket Lab hat große Pläne: Gerade hat die Firma eine 7500-Quadratmeter große Raketenfertigungshalle in Auckland eröffnet, Schauspieler William Shatner alias Captain Kirk war Ehrengast bei der Eröffnung. Im kommenden Jahr will die Firma jeden Monat eine Rakete starten, ab Ende 2020 dann jede Woche.

Im Interview erklärt Peter Beck das Geschäftsmodell seines Unternehmens, spricht über Weltraumschrott - und eine fliegende Discokugel, mit der er weltweit für Schlagzeilen gesorgt hat.

Zur Person
Foto: Nigel Marple/ REUTERS

Peter Beck, 41, ist im neuseeländischen Invercargill aufgewachsen. Er war er bereits als Jugendlicher ein leidenschaftlicher Bastler. Beck ist gelernter Werkzeugmacher. Nach seiner Ausbildung arbeitete er bei Industrial Research (jetzt Callaghan Innovation) an Raketentechnik. Rocket Lab hat er im Jahr 2006 gegründet. Die Firma hat Standorte in Neuseeland und den USA.

SPIEGEL ONLINE: Herr Beck, haben Sie in der Schule nicht aufgepasst? Im Physikunterricht haben wir gelernt: Weil sich die Erde am Äquator besonders schnell dreht, sollte man Raketen am besten von dort aus starten. Sie haben aber einen Weltraumbahnhof in Neuseeland gebaut, tief auf der Südhalbkugel

Peter Beck: Nein, ich habe nicht aufgepasst. Ich war einer von den Jungs, die die Löcher in den Dachziegeln gezählt haben, bis der Unterricht zu Ende war. Ich wollte weiter an meinen Raketen bauen.

SPIEGEL ONLINE: Und im Ernst?

Beck: Die Rotationsgeschwindigkeit der Erde hilft einem nur, wenn man eine Rakete in die Tiefen des Alls schicken oder Satelliten auf sehr hohe geostationäre Orbits bringen will. Aber wir wollen woanders hin. Unsere Satelliten gehen in den niedrigen Erdorbit. Und da macht es wegen der Bahnmechanik nichts aus, ob man vom Äquator startet - oder von sonst irgendwo auf dem Planeten.

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Rocket Lab: Starten, wo andere Urlaub machen

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SPIEGEL ONLINE: Außerdem haben Sie in Neuseeland eine ziemlich interessante Startlizenz bekommen. Sie erlaubt Ihnen, 30 Jahre lang alle 72 Stunden eine Rakete zu starten.

Beck: Das Wichtigste, was die Satellitenindustrie braucht, sind regelmäßige und häufig stattfindende Starts. In den gesamten USA hat es jedoch im vergangenen Jahr nur 28 Starts gegeben. Aber es gibt Kunden, die wollen Konstellationen aus Hunderten von Satelliten aufbauen, zum Beispiel um die gesamte Welt mit Internet zu versorgen. Das passt einfach nicht zusammen. Der Hauptgrund, warum es so wenig Starts in den USA gibt, ist, dass es dort einfach so voll ist. Voll mit Flugzeugen, voll mit Schiffen, voll mit Menschen. Also haben wir einen Ort gesucht, wo man viele Starts zu verschiedenen Zielen im Orbit durchführen kann. Was wir brauchten, war ein kleiner Inselstaat mitten im Nichts. Und genau das ist Neuseeland.

SPIEGEL ONLINE: Sie wollen trotzdem auch einen Startplatz in den USA bauen. Warum?

Beck: Wir haben einige Kunden, die nur vom US-Territorium aus starten wollen. Die wollen ihre Technik nicht ins Ausland schicken. Ein Startplatz in den USA wird uns die Möglichkeit geben, ihnen das zu bieten. Außerdem ist es gut, einen zweiten Startplatz zu haben. Aber diese Anlage ist nur für zwölf Starts im Jahr ausgelegt.

SPIEGEL ONLINE: Ihre "Electron"-Rakete kann nur Nutzlasten befördern, die viel kleiner sind als die der Konkurrenz von SpaceX, Arianespace und Co. Wer sind Ihre Kunden?

Beck: Die Raketen unserer Wettbewerber sind für viel größere Satelliten gebaut. Die müssen oft in einen geostationären Orbit gebracht werden. Aber die Zahl solcher Starts sinkt jedes Jahr ein bisschen. Da gibt es kein Wachstum. "Falcon 9", "Ariane" und "Delta" wetteifern alle um die gleiche Menge von Satelliten. Gleichzeitig wird eine Menge von früher großen Satelliten heute durch eine ganze Flotte von kleinen ersetzt. Und dieser Markt wächst jedes Jahr um Hunderte Prozent. Das wird auch in den nächsten Jahren so weiter gehen. Also gibt es einen Markt, der schrumpft und einen, der explodiert. Und unsere "Electron" ist dafür gemacht, kleine Satelliten in den niedrigen Erdorbit zu bringen. Genau das ist es, wonach der Markt verlangt.

SPIEGEL ONLINE: In den kommenden Jahren sollen im All Mega-Konstellationen für globalen Internetzugang entstehen. Wollen Sie auch solche Satelliten starten?

Beck: Nein, das wollen wir nicht. Diese Mega-Konstellationen sollten besser mit großen Raketen gestartet werden, die dann jeweils viele von ihnen ins All bringen. Es gibt da Konstellationen mit 4800 Satelliten in einem Fall oder 1200 in einem anderen. Das sind verrückte Zahlen. So etwas kann ich in keinem Geschäftsmodell berücksichtigen. Wir können aber einen interessanten Service für die Firmen mit den Mega-Konstellationen anbieten: Wir können einzelne defekte Satelliten ersetzen. Das werden die von Zeit zu Zeit machen müssen, um die Konstellation am Laufen zu halten. Aber eigentlich wollen wir für andere Kunden arbeiten. Wir sehen das größte Wachstum bei Konstellationen mit 10 oder 20 Satelliten. Diese Konstellationen landen nicht unbedingt in den Medien. Aber in diesem Markt tut sich gerade viel.

SPIEGEL ONLINE: Billige Rakete, viele Starts - weltweit wollen zahlreiche Firmen auf diese Weise Geld verdienen. Wird es bald so viele Raketenfirmen wie Fluggesellschaften geben? Oder für wie viele Player ist Platz auf dem globalen Markt?

Beck: Bisher haben es erst zwei rein private Unternehmen geschafft, kommerzielle Satelliten in den Orbit zu bringen - SpaceX und Rocket Lab. Die Eintrittshürden für den Markt sind enorm. Aber tatsächlich, es gibt eine riesige Zahl an geplanten Startgeräten. Die meisten Projekte stehen noch absolut am Anfang. Wir erwarten, dass es in der nahen Zukunft zu einer mächtigen Konsolidierung kommt. Vielleicht zwei oder drei Startanbieter werden den Markt für kleine Satelliten bedienen.

SPIEGEL ONLINE: Was lässt Sie glauben, dass sie einer dieser Anbieter sind?

Beck: Wir haben bereits gezeigt, dass wir es können. Wir haben nicht nur Satelliten in den Orbit gebracht, wir haben sie auch mit hoher Präzision und Genauigkeit abgeliefert. Wir haben ein preiswertes Startgerät, wir besitzen den einzigen privaten Weltraumstartplatz des Planeten, uns gehört die Infrastruktur, um den Flug der Rakete zu verfolgen - und so weiter.

SPIEGEL ONLINE: Viele neue Satelliten im All, das bedeutet auch viel gefährlichen Weltraummüll. Ist Ihr Geschäft vor diesem Hintergrund ethisch überhaupt vertretbar?

Beck: Wir wollen der Anbieter mit der weltweit größten Zahl von Starts sein - und das bedeutet eine große Verantwortung. Also haben wir die "Electron" so gebaut, dass sie Satelliten deutlich anders in den Orbit bringt, als andere es tun. Wir schießen unsere zweite Raketenstufe in eine sehr elliptische Umlaufbahn, wo sie nach ihrem Einsatz schnell mit der Erdatmosphäre in Kontakt kommt und dann verglüht. Um den Satelliten an seinen Platz zu bringen, nutzen wir eine andere Stufe, die wir "kick stage" nennen. Wenn die ihren Job gemacht hat, zündet sie ihre Düsen, verlässt den Orbit und verglüht ebenfalls. Eine sehr saubere Lösung. Und die kleinen Satelliten selbst stürzen nach dem Ende ihrer Lebenszeit auch vergleichsweise schnell zur Erde zurück - und verglühen auch.

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Weltraummüll: Gefährliche Geschosse im All

Foto: ESA/ Spacejunk3D

SPIEGEL ONLINE: Sie haben weltweit Schlagzeilen gemacht, als Sie im Januar eine Art fliegende Disco-Kugel ins All geschickt haben, den "Humanity Star". Was sollte das?

Beck: Das war für mich persönlich ein sehr wichtiges Projekt. Da gibt es zwei Aspekte. Erstens konnte jeder Mensch auf der Welt den "Humanity Star" sehen. Jeder war gleich. Es war egal, ob man in einem reichen oder armen Land lebte, was man für eine Religion hatte und so weiter. Und zweitens hat es dafür gesorgt, dass Menschen nach oben geschaut haben. Wenn man rausgeht und Ausschau hält nach dem "Humanity Star", sieht man am Himmel haufenweise andere Sterne und Planeten. Man hat das Universum direkt vor Augen. Ich wollte, dass Menschen sich klarmachen: Wir sind eine Spezies, die auf einem Felsen inmitten des Universums lebt. Und darüber sollten wir wirklich nachdenken.

SPIEGEL ONLINE: Astronomen hassten das Projekt, weil das helle Licht ihre Beobachtungen zu stören drohte. Verstehen Sie die Kritik?

Beck: Für einen negativen Kommentar in den Medien haben wir 100 Mails und Briefe von Leuten bekommen, die mit ihren Kindern rausgegangen sind und auf einmal ganz anders auf ihr Leben geschaut haben. Ich habe den "Humanity Star" außerdem mit Bedacht so entworfen, dass er die Astronomen nicht stört. Er war nur zu Sonnenauf- und -untergang in der Nähe des Horizonts zu sehen. Normalerweise macht man dann dort keine astronomischen Beobachtungen. Ironischerweise haben sogar Astronomen in Australien den "Humanity Star" genutzt, um ihre Instrumente zu kalibrieren.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Ihren eigenen "Stern" denn wenigstens regelmäßig beobachtet?

Beck: Natürlich! Beim ersten Mal, an dem ich ihn sehen konnte, war ich gerade auf einem Kongress in den USA. Ich habe eine ganze Menge Leute am frühen Morgen nach draußen gezerrt. Es war eine wundervolle Erfahrung!