Ansichten eines Informatikers

Neo-Sowjetunion: Schäuble und die Laienjury

Hadmut
26.9.2020 14:43

Fragwürdiges zur Demokratie von der protokollarischen Nummer Zwei unserer Rangordnung.

Wolfgang Schäuble kommt laut Tagesschau gerade mit dem Vorschlag daher, Bürgerräte zur Stärkung der Demokratie einzuberufen.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat angeregt, die Bevölkerung über Bürgerräte stärker in die Politik einzubinden. “Wir müssen unsere parlamentarische Demokratie zukunftsfähig machen”, sagte er der “Süddeutschen Zeitung”. Die Bürgerräte sieht er dabei als einen wichtigen Ansatz und eine sinnvolle Ergänzung der demokratischen Strukturen. Es gehe “nicht um eine Alternative zur parlamentarischen Demokratie, sondern um ihre Stärkung”.

In Bürgerräten sitzen per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger. Sie sollen sich intensiv mit einem Thema befassen und dabei Zugriff auf Experten haben, die alle auf den gleichen Wissensstand bringen können. Die Ergebnisse sollen dann in einem Bürgergutachten zusammengefasst werden.

Erinnert stark an die Laienjurys amerikanischer Gerichte, auch etwas an unsere Schöffen.

Wie hoch aber wäre die Wahrscheinlichkeit, per Los wie beim Lottogewinn auf jemanden zu treffen, der Ahnung hat und überhaupt befähigt ist und Lust hat, sich „intensiv mit einem Thema zu befassen”?

Ich weiß nicht mehr, wieviele es waren, ob die 1, 4 oder 10% geschrieben hatten, aber die Berliner Polizei sagte mal was dazu, wieviele der im Verkehr Kontrollierten keinen gültigen Führerschein haben (oder noch nie einen hatten). Wie würde wohl eine solche zufällige Auswahl aussehen?

Würde man dann Leute akzeptieren, die nicht lesen können? Kein Deutsch können? Sich nicht benehmen können? Stinken? Unter Drogen stehen? Oder hat man dann doch wieder gewisse Regeln, nach denen man Leute ausschließt? Weil sie nicht die „richtige” Meinung haben?

Wird das dann gequotet? Frauen, Migranten, Religionen?

Ist das dann der Einstieg in die marxistische Räterepublik? Der Übergang vom Anschein einer Demokratie hin zu einer Rätekonstruktion, einer Sowjetunion?

Regierung nicht mehr durch die, die man sich auswählt, sondern damit zwingend proportional nach Bevölkerungsanteilen, sowas, was die „repräsentativ” nennen?

Und was genau heißt dann „Zugriff auf Experten”?

Wer legt das fest, was „Experten” sind? Sind das dann etwa die, die von den Universitäten einen Doktor in dem Thema bekommen haben?

Schäuble, mir graust vor dir.

Gerade erst kam irgendwo im Fernsehen ein Bericht über Wolfgang Schäuble. Weiß nicht mehr, warum. Geburtstag oder sowas. Und da hieß es von allen Seiten, Schäuble sei brillant, aber überaus streng mit anderen, verachte jeden, der ihm nicht ebenbürtig sei (also fast jeden), und ein Mitarbeitertermin bei ihm habe die Atmosphäre einer mündlichen Abiturprüfung. Er wurde zitiert mit Aussagen, dass er Jurist sei und sich deshalb auskenne (wieviele Juristen habe ich schon erlebt, die sich nicht auskannten?) und man ihm mit manchen Themen gar nicht erst zu kommen brauche, weil er ohnehin besser Bescheid wisse.

Sorry, aber solche Vorschläge wie dieser hinterlassen bei mir nicht den Eindruck von Brillanz oder sonderlicher Kenntnis der Verfassung.

Nach unserer Verfassung geht die Macht vom Volke aus, sie wird in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt und nicht in Räten. Außerdem hat jeder die gleichen Rechte, sie werden nicht per Los verteilt.

Und ein wichtiger Aspekt unserer Demokratie ist, dass Wahlen geheim sind.

Überlegt mal, wie mir das hier geht, wie ich schon in der Öffentlichkeit und am Arbeitsplatz verfolgt, bedrängt, bedroht werde, sie auf meinen Arbeitgeber einwirken, mich hier in der Nachbarschaft durch Wurfzettel verleumden, das Haus beschmieren.

Nun bin ich von robuster Gemütsverfassung, und habe keine Frau und keine Kinder, um deren Sicherheit oder Versorgung ich mich sorgen müsste, bin also zumindest auf diesem üblichen Weg nicht zu erpressen. Jetzt stellt Euch aber mal vor, in so einem Bürgerrat würde jemand zufällig ausgewähltes sitzen. Jemand, der in seinem ganzen Leben noch nie vor einem Publikum gesprochen hat. Jemand, der noch nie vor einem Publikum oder in einem Gremium eine Andermeinung vertreten hat. Jemand, der vielleicht auch noch nie einen Text geschrieben oder überhaupt einen Standpunkt im Disput vertreten hat.

Wie sollte sich so jemand da durchsetzen können? Wie sollte so jemand dann nicht der Ausgrenzung und Rache ausgesetzt sein?

Das Ergebnis wäre einem Bolschewismus nahe, denn solche Bürgerräte würden zwangsläufig immer darauf hinauslaufen, die Meinung des Gewalttätigsten zu vertreten, nämlich weil sie hochgradig erpressbar wären. Man wüsste ganz genau, dass man auf ein paar ganz wenige Personen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Situation auch nicht umgehen können, nur hinreichend hohen Druck ausüben (oder auch Geld dort abladen) muss, um das zu manipulieren.

Es ist für mich nicht nach so einem Vorschlag nicht nachvollziehbar, wie man Wolfgang Schäuble für einen befähigten Juristen und erfahrenen Verfassungsrechtler halten kann.

Es sei denn, freilich, dass er die Demokratie gar nicht erhalten, sondern subtil zertrümmern will. Dann würde es passen.

Dann würde es auch dazu passen, dass ich ja schon ausführlich beschrieben habe, wie unsere Demokratie und Verfassung aus dem Bundesverfassungsgericht heraus sabotiert werden. Nun dann auch aus dem Bundestag?

Ebenfalls dazu passen würde, dass unser „regierungsferner” öffentlich-rechtlicher Rundfunk, der ja immer so betont, keine Inhalts-Anweisungen aus der Regierung zu bekommen, Schäubles Tochter Christiane Strobl zur ARD Programmchefin gemacht hat. Nebenbei Gattin von CDU-Politiker und Baden-Württemberg-Innenminister Thomas Strobl.

„Wessen Frau oder Tochter ich bin, spielt für meinen Beruf keine Rolle.”

Für mich als Wähler und Zuschauer aber schon.

Denn so im Juristischen nennt man sowas Befangenheit und Interessenkonflikt. Um nicht zu sagen Nepotismus. Wenn ich das als Nichtjurist mal so sagen darf.

Dazu passt dann auch, dass die Tagesschau über Schäubles Vorschlag berichtet, bleibt ja in der Familie. Und umgekehrt ist die CDU dann auch dafür, die Rundfunkbeiträge zu erhöhen. So wäscht dann mal wieder eine Hand die andere.