Gewächshaus-Satellit vor dem Start
Redaktion
/ Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt astronews.com
28. November 2018 (Update 4. Dezember 2018)
Die Versorgung von Raumfahrern mit frischen Nahrungsmitteln
ist für längere bemannte Missionen im All von großer Bedeutung. Entscheidend
dabei ist aber die Nutzung von allen verfügbaren Ressourcen und deren
Wiederverwertung. Dazu zählt beispielsweise auch der Urin der Astronauten. An
Bord des Satelliten Eu:CROPIS soll nun versucht werden, mithilfe von
synthetischem Urin Tomaten zu ziehen.

Mit der Mission Eu:CROPIS startet ein vom DLR
entwickeltes Lebenserhaltungssystem ins All, das
bei zukünftigen astronautischen Langzeitmissionen
zum Einsatz kommen soll.
Foto: DLR (CC-BY 3.0) [Großansicht] |
Nach mehrfacher Verzögerung soll am kommenden Wochenende die
Eu:CROPIS-Mission des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) von der
Vandenberg Air Force Base in Kalifornien ins All starten. Eine Falcon 9
des amerikanischen Raumfahrtunternehmens SpaceX bringt mit einem Satelliten zwei
biologische Lebenserhaltungssysteme mit Gewächshäusern, Biofilter,
Zwergtomatensamen, einzelligen Algen und synthetischem Urin in eine erdnahe
Umlaufbahn in 600 Kilometer Höhe.
Die Samen sollen im Weltall keimen, durch die erfolgreiche Umwandlung des
Urins in eine Düngemittellösung werden die Tomaten wiederum wachsen. Die Mission
soll zeigen, wie biologische Lebenserhaltungssysteme als Nahrungsversorgung auf
Langzeitmissionen eingesetzt werden können. Der etwa ein Kubikmeter große und
230 Kilogramm schwere Eu:CROPIS-Satellit mit der biologischen Payload wurde vom
DLR und der Friedrich-Alexander Universität Nürnberg-Erlangen entwickelt und
gebaut.
"Mit der Eu:CROPIS-Mission liefert das DLR einen wesentlichen Beitrag für
zukünftige Langzeitmissionen. Sie zeigt ob und wie ein geschlossenes
biologisches Lebenserhaltungssystem fern von der Erde funktionieren und
Nahrungsmittel produzierten kann. Mit der Mission hat das DLR ein weiteres Mal
seine Systemkompetenz bei der Konzeption und beim Bau von Satelliten unter
Beweis gestellt", beschreibt Prof. Hansjörg Dittus, DLR-Vorstand für
Raumfahrtforschung und -technologie die Mission. Der Satellit wird 35 Minuten
nach dem Start in seiner Umlaufbahn von der Falcon 9-Trägerrakete
getrennt. Einen ersten Funkkontakt erwartet das DLR-Kontrollzentrum in
Oberpfaffenhofen (GSOC), das den Satelliten steuert, zirka anderthalb Stunden
nach dem Start. Eu:CROPIS steht für "Euglena and Combined Regenerative Organic-Food
Production in Space".
"Mit dieser Mission soll gezeigt werden, dass Urin auch unter Mond- und
Mars-Schwerkraftbedingungen in Nährstoffe umgewandelt werden kann", sagt Dr.
Jens Hauslage vom DLR-Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. Im
Inneren des Satelliten befinden sich zwei Gewächshäuser in jeweils geschlossenen
Lebenserhaltungssystemen. Kern dieser Systeme sind ein Biofilter und Grünalgen (Euglena
gracilis). Der Biofilter besteht aus einer 400 Milliliter großen Kammer, gefüllt
mit Lavasteinen. Auf und in den porösen Steinen sind Bakterien angesiedelt, die
den darüber rieselnden Urin im Wasserkreislauf in Nitrat umwandeln.
"Die so gewonnene Nährstofflösung dient zur Aufzucht der Tomaten. Diese sind
sozusagen der Indikator, dass unser Experiment im All erfolgreich verläuft",
beschreibt Hauslage. Eine weitere wichtige Rolle übernehmen die einzelligen
Augentierchen Euglena gracilis oder auch Grünalgen genannt, die in zirka 500
Milliliter "grüner Lösung" mit ins All fliegen. Zum einen können sie Sauerstoff
produzieren. Eine Eigenschaft, die vor allem am Anfang des Experiments, wenn die
Tomaten erst keinem und noch keinen Sauerstoff über die Photosynthese
produzieren, zum Tragen kommt.
Zum anderen können die Augentierchen das System entgiften und vor zu hohen
Ammoniakkonzentrationen schützen, die auftreten können, wenn der Biofilter nicht
richtig funktioniert. "Wir nutzen die Eigenschaften von
Organismengemeinschaften, um Abfälle in Stoffe auf rein biologische Weise
umzuwandeln, die wir für das Wachstum von Nutzpflanzen, in diesem Fall Tomaten,
brauchen. Damit schaffen wir wichtige Voraussetzungen für die Versorgung von
Astronauten auf zukünftigen Langzeitmissionen", erläutert Hauslage. Er und Dr.
Michael Lebert von der Universität Erlangen-Nürnberg sind die wissenschaftlichen
Initiatoren und Leiter der EU:CROPIS-Mission.
Die Vorgänge in den Gewächshäusern werden von Kameras aufgezeichnet und an
das GSOC sowie das MUSC (Nutzerzentrum für Weltraumexperimente) übertragen.
LED-Licht sorgt für einen Tag-Nacht-Rhythmus, ein Drucktank für einen
atmosphärischen Druck von einem Bar, was dem Luftdruck auf der Erde entspricht.
Mit an Bord des Eu:CROPIS-Satelliten sind auch die beiden Strahlungsmessgeräte
RAMIS (Radiation Measurement in Space) des Instituts für Luft- und
Raumfahrtmedizin. Sie messen während der Mission im Inneren sowie an der
Außenseite die Strahlungsbelastung.
Zudem schickt das DLR den am Institut für Raumfahrtsystem entwickelten
Bordcomputer SCORE (Scalable On-Board Computing Experiment) mit und testet das
Prinzip des skalierbaren Boardrechners COBC (Compact On-Board Computer) erstmals
im All. Der Rechner wird die von den Bord-Kameras aufgenommenen Bilder
verarbeiten. Die NASA steuert außerdem mit Power Cell ein Experiment zur
Produktion von nützlichen biologischen Stoffen im Weltall durch Bakterien bei.
Der Satellit rotiert während der Mission um seine Längsachse. So entsteht –
je nach Umdrehungszahl – eine entsprechende Gravitation. Im ersten Teil der
Experimentphase werden mit 20 Umdrehungen pro Minuten zirka 23 Wochen lang
Gravitationsbedingungen wie auf dem Mond geschaffen (0,16-fache Erdgravitation).
In dieser Phase wird das erste Gewächshaus in Betrieb genommen. In der zweiten
Wissenschaftsphase dreht sich der Satellit mit 32 Umdrehungen pro Minute,
wodurch Marsschwerkraft erzeugt wird (0,38-fache Erdgravitation). Dabei finden
die Experimente im zweiten Lebenserhaltungssystem statt.
Der Satellit wurde federführend am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme in
Bremen gebaut. Das DLR-Institut für Faserverbundleichtbau und Adaptronik in
Braunschweig entwickelte die Rahmenstruktur und den Drucktank. Die
Energieversorgung läuft über vier Solarpaneele von jeweils einem Quadratmeter.
Die DLR-Wissenschaftler haben schon im Vorfeld der Mission Standardkomponenten
für Satelliten entwickelt. So können sie Satelliten je nach Nutzlast schnell und
flexibel in unterschiedlichen Größen konstruieren und bauen.
"Mit der Mission hat das DLR gezeigt, dass es Satelliten effektiv und
kosteneffizient entwickeln kann. Dieses komponentenorientierte Design ist ein
Alleinstellungsmerkmal unseres Zentrums, womit wir viele unterschiedliche
Forschungsmissionen unterstützen können", sagt Hartmut Müller, Projektleiter für
den Bau des Satelliten am DLR-Institut für Raumfahrtsysteme.
Frisches Gemüse, das im Weltall auf umgewandelten biologischen
Abfallprodukten gedeiht, ist nicht nur Grundvorrausetzung für Langzeitreisen im
All, auch auf der Erde können diese Forschungsergebnisse von Nutzen sein. Wenn
Urin oder Gülle in für Pflanzen nutzbare Nährstoffe und Frischwasser recycelt
werden kann, lassen sich die Lebensbedingungen in Ballungsgebieten oder in
extremen trinkwasserarmen Lebensräumen verbessern und Böden und Grundwasser
entlasten, ein weiterer Forschungsschwerpunkt des DLR.
Update (4. Dezember 2018): Nach einer weiteren Verzögerung
ist die Eu:CROPIS-Mission des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt gestern
erfolgreich ins All gestartet. Nach dem Start der Falcon-9-Trägerrakete
des Raumfahrtunternehmens SpaceX von der Vandenberg Air Force Base in
Kalifornien am 3. Dezember 2018 um 19:34 MEZ konnte der DLR-Satellit erfolgreich
in einer Umlaufbahn in 600 Kilometern Höhe ausgesetzt werden. Ein erster
Funkkontakt des etwa kühlschrankgroßen Satelliten zum Deutschen
Raumfahrtkontrollzentrum (GSOC) in Oberpfaffenhofen erfolgte etwa eine Stunde
und 15 Minuten nach dem Start. In den kommenden zwei Wochen wird das GSOC den
Satellit im All in Betrieb nehmen und sämtliche Funktionen testen. In zirka
sieben Wochen können die Forscher das erste von zwei Gewächshäusern in Betrieb
nehmen, kurz darauf werden die ersten Tomaten ausgesät.
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