16-Jährige fliegt erst nach 22 Diebstählen auf

Aktualisiert

«Bespitzelung» in Migros?16-Jährige fliegt erst nach 22 Diebstählen auf

Immer wieder lässt eine junge Frau am Self-Check-out Lebensmittel mitgehen. Erst nach Monaten muss sie sich vor der Polizei verantworten. Der Konsumentenschutz spricht von «Bespitzelung».

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22-mal stiehlt die 16-jährige Anna M.* in Migros-Filialen. Insgesamt lässt die Lernende Waren im Wert von 285 Franken mitgehen. Erwischt wird sie dabei scheinbar nicht. Doch dann erhält sie einen Anruf der Kantonspolizei Bern.

M. muss zur Einvernahme auf den Polizeiposten, Mitte November 2019 wird sie verhört. Es geht um Diebstähle, die sie zwischen Februar und August begangen haben soll. Der Vorwurf: Die Lernende soll ihre Einkäufe am Self-Check-out erfasst und dann wieder Produkte wie Kaugummis und Lebensmittel storniert haben.

Die Polizei spricht von 22 Vorfällen, fünf davon wurden gefilmt. Anna M. gibt die Diebstähle sofort zu. Sie habe sich bei den Diebstählen wenig überlegt, sagt die 16-Jährige der «Berner Zeitung».

«Detailhändler müsste Kunden verwarnen»

Dass an Self-Check-out-Kassen gestohlen wird, ist bekannt. Bei einer repräsentativen Studie von Moneyland gaben 8 Prozent der Befragten an, dort schon einmal absichtlich nicht bezahlt zu haben.

Unüblich ist laut Konsumentenschützerin Sara Stalder aber, dass M. erst nach 22 Diebstählen belangt wurde. Wenn die Migros tatsächlich zugewartet habe, bis sich die Diebstähle anhäuften, sei das «quasi Bespitzelung», sagt Stalder . «Sobald ein Detailhändler sicher weiss, dass ein Diebstahl vorliegt, müsste er den Kunden ver­warnen», erklärt sie.

Intelligente Kameras gegen Diebe

Die 16-Jährige wurde laut eigener Aussage nie verwarnt. Die Migros will dazu keine Stellung nehmen. Für M. hat das Ganze Folgen: Der Entscheid der Jugendanwaltschaft steht zwar noch aus, M. musste allerdings bereits eine Busse von 500 Franken bezahlen und hat während fünf Jahren Ladenverbot bei allen Unternehmen der Migros.

Die Migros investiert derweil, um gegen Diebe am Self-Check-out vorzugehen. In einer Filiale im Kanton Zürich werden seit vergangenem Jahr neue intelligente Kameras getestet. Sie sollen laut einer Mediensprecherin potenzielle Diebe anhand von Merkmalen wie Haarfarbe, Körpergrösse oder Kleidung erkennen. Das Ziel sei, der Polizei gerichtsfestes Videomaterial aushändigen zu können.

Nicht auf Vorrat speichern

Hugo Wyler, Sprecher des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten, hält im Hinblick auf die Überwachungsaufnahmen der Migros Aare fest: «Es wäre auf jeden Fall nicht in Ordnung, wenn das gesamte Videomaterial der Migros über mehrere Wochen und Monate auf Vorrat gespeichert und im Nachhinein durchforstet wird». Denn getreu dem Datenschutzgesetz sei das Material «innert kürzester Zeit zu löschen.»

Legitim sei hingegen, wenn ein Ladendetektiv bei Erkennen eines Vorfalls beziehungsweise Diebstahls, die relevanten Videosequenzen abspeichere und für eine gewisse Zeit aufbewahre, um diese allenfalls bei einer Anzeige zu verwenden. Die Auswertung müsse jedoch in vernünftiger Zeit erfolgen. Sie könne zwar auch mal länger als 24 Stunden dauern, so Wyler, mehrere Wochen wären aber definitiv zu viel.

Geheime Praxis

Migros Aare will sich nicht in die Karten blicken lassen: «Zu Diebstahlprävention und Sicherheitsdispositiv machen wir keine detaillierten Angaben», sagt Sprecherin Andrea Bauer. Auch Coop wollte sich wegen Sicherheitsbedenken nicht zu Videoaufnahmen und Diebstahlprävention äussern. Coop-Sprecherin Marilena Baiatu versicherte jedoch auf Anfrage: «Der allergrösste Teil unserer Kundschaft ist ehrlich.»

*Name geändert

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