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Satellit mit Gewächshaus Deutschland züchtet jetzt Weltraumtomaten

Der deutsche Satellit "Eu:Cropis" testet als fliegendes Gewächshaus Techniken zur Pflanzenzucht im All. Ein bisschen wie im Film "Der Marsianer", nur in echt. Zwölf Tomatensamen spielen eine Rolle, kleine Algen - und Urin.
Tomaten in einem geschlossenen Lebenserhaltungssystem (Archivbild)

Tomaten in einem geschlossenen Lebenserhaltungssystem (Archivbild)

Foto: Sebastian M. Strauch / DLR

Ein bisschen säuerlich sind sie - und recht klein. Außerdem ist die Schale der "Micro Tina" etwas dicker als bei anderen Sorten. "Ansonsten schmecken sie aber schon nach Tomate", so beschreibt es Jens Hauslage. Und der Biologe muss es wissen, denn er kennt sich aus mit der "Micro Tina". Hauslage arbeitet beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln - und zusammen mit Kolleginnen und Kollegen hat er sozusagen gerade Deutschlands höchstes Hochbeet auf den Weg geschickt.

Zusammen mit rund 70 anderen größeren und kleineren Flugkörpern ist am Montag der deutsche Forschungssatellit "Eu:Cropis" an Bord einer "Falcon 9"-Rakete vom kalifornischen Vandenberg ins All gestartet - mit genau zwölf Samenkörnern der Tomatensorte "Mikro Tina" an Bord. Im kommenden Jahr sollen sie in rund 600 Kilometern Höhe unter LED-Licht erst keimen, dann wachsen und schließlich Früchte tragen.

Dafür verfügt der vom DLR in Bremen gebaute Satellit über ein in sich geschlossenes Ökosystem. Zu dem gehören neben den Tomatenpflanzen auch ein von Mikroorganismen besiedelter Filter aus Lavagestein sowie ein flüssigkeitsgefüllter Behälter mit Algen.

Kostengünstige und leckere Versorgung - Argumente fürs Gewächshaus im All

Das Experiment soll helfen, folgendes Problem zumindest teilweise zu lösen: Wenn Menschen - wie von US-Präsident Donald Trump für die Nasa angeordnet - in ein paar Jahren wieder zum Mond fliegen, später dann vielleicht zum Mars, werden sie sich sehr genau überlegen müssen, was sie dorthin mitnehmen. Denn jedes Kilo, das man von der Erde ins All bringen muss, schlägt mit Transportkosten von Zehntausenden Dollar zu Buche. Da wäre es ziemlich praktisch, wenn die Raumfahrer zumindest einen Teil ihrer Versorgungsgüter selbst herstellen könnten.

Kartoffeln, zum Beispiel, Weizen und Soja. Oder eben Tomaten.

Da kommt also die Idee eines Gewächshauses im All ins Spiel, in dem sich solches Gemüse züchten lassen müsste. Für Astronauten wäre das nicht nur deswegen praktisch, weil sie dann weniger Nahrungsmittel mitnehmen müssten. Die Frischwaren dürften schlicht auch besser schmecken als die Fertigmahlzeiten, auf die Raumfahrer sonst zurückgreifen müssen.

Test in der Antarktis läuft

Im Film "Der Marsianer" hängt von der Gärtnerei im All sogar ein Leben ab. Da züchtet der auf dem Roten Planeten zurückgelassene Raumfahrer Mark Watney Kartoffeln in einem Substrat aus Marssand und Fäkalien - um so seine extrem knappen Nahrungsmittelvorräte zu strecken.

Forscher Hauslage sagt, den Film habe er nie gesehen. Habe sich einfach nie ergeben. Und außerdem sei Urin eh viel nützlicher für die Pflanzenzucht als feste Fäkalien. Aber das nur nebenbei.

Man könnte ja ohnehin sagen: Der "Marsianer", das ist nur Fiktion.

Einerseits.

Denn andererseits probiert das DLR die Gemüsezucht unter Extrembedingungen schon jetzt in der Praxis aus. Bisher allerdings nicht im All, sondern an der deutschen Forschungsstation "Neumayer III" in der Antarktis. Die Besatzung dort kann sich inzwischen über mehrere Kilogramm Frischware pro Woche freuen, die in einem Gewächshaus ganz ohne Erde, dafür aber unter Kunstlicht heranwachsen.

DLR-Mitarbeiter Paul Zabel im Antarktis-Gewächshaus (Archivbild)

DLR-Mitarbeiter Paul Zabel im Antarktis-Gewächshaus (Archivbild)

Foto: DPA

Wachstum mit weniger Schwerkraft - kann das gutgehen?

Beim dem Projekt namens "Eden ISS" lernen die Forscher zum Beispiel, wie sie Licht- und Bewässerungssystem steuern müssen, um einen optimalen Ertrag zu bekommen. Bei "EU:Cropis" ist die Größe der Ernte dagegen nicht wichtig, die All-Tomaten wird nie jemand essen. Vielmehr wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie Pflanzen eigentlich wachsen, wenn ihnen auf einmal die Schwerkraft der Erde fehlt - und wenn kein Gärtner ihr Wachstum mit Düngergaben ankurbeln kann.

Stattdessen sollen diesen Job die Mikroorganismen im Satelliten übernehmen. Und wenn das klappt, können davon wiederum Experimente wie "Eden ISS" profitieren.

Pflanzen im All - es ist nicht so, dass es solche Experimente nicht schon gegeben hat. Auf der Internationalen Raumstation haben Raumfahrer zum Beispiel das weißblütige Kraut Acker-Schmalwand keimen lassen, orangefarbene Zinnien blühten - und sogar Salat wuchs in der Schwerelosigkeit.

Doch längst nicht alle Versuche liefen immer glatt. So gab es unter anderem Probleme mit Staunässe, bei denen Astronauten als Weltraumgärtner eingreifen mussten, um die Pflanzen überhaupt noch zu retten.

Bei "EU:Cropis" kann dagegen niemand möglicherweise schwächelnde Pflanzen wieder auf Kurs bringen. Das ist ein Unterschied. Der andere: Die Tomaten an Bord des Satelliten sollen im Gegensatz zu den Versuchen auf der Raumstation nicht ganz ohne die Wirkung der Schwerkraft wachsen - aber bei deutlich geringeren Werten als auf der Erde. "Pflanzen brauchen nur ein Zehntel der Erdschwerkraft, um zu wissen, wo oben und unten ist", sagt Hauslage.

Drehung um die eigene Achse

Gravitation lässt sich nicht künstlich erzeugen - allerdings lässt sie sich simulieren. Auf diesem Prinzip basieren viele Entwürfe vergangener Raumfahrvisionäre für Stationen zum Leben im All. Leute wie Wernher von Braun träumten von riesigen, sich drehenden Rädern, in denen Tausende Menschen leben sollten. Im Innern eines solchen Rades treten Fliehkräfte auf, die in ihrer Wirkung der Schwerkraft gleichkommen.

Jeder, der schon einmal auf einem Kettenkarussell mit Macht in seinen Sitz gepresst wurde kennt das Prinzip - und "Eu:Cropis" nutzt es auch, als wohl erster Satellit überhaupt. Für Mondbedingungen (0,16-fache Erdgravitation) rotiert er 20-mal pro Minute um die eigene Achse, im ersten halben Jahr nach dem Start soll das so gehen. Dann wird noch einmal genauso lange der Mars simuliert (0,38-fache Erdgravitation), in dieser Zeit dreht sich das fliegende Gewächshaus 32-mal in jeder Minute um sich selbst. Für die Rotation nutzt er das Magnetfeld der Erde, von dem er sich mit Hilfe einer elektrischen Spule abstößt.

Für den Mond-Versuch wird erst die eine Hälfte der Samen mit Wasser und Dünger versorgt, für den Mars-Versuch dann später die andere. Aber woher kommen eigentlich Wasser und Dünger?

Simulierter Urin

Die wichtigste Zutat ist Urin, allerdings nicht echter, sondern aus einer vorher zusammengerührten Mischung. Ist ja niemand an Bord des Satelliten, der Pipi liefern könnte. Und ihren eigenen Urin wollten die beteiligten Forscher nicht verwenden - weil dort drin zum Beispiel Medikamentenreste sein könnten, die das Experiment beeinflussen würden.

Der simulierte Urin jedenfalls liefert das Wasser, das zum Bewässern der Pflanzen dient - und später, nachdem es verdunstet ist, wieder zurückgewonnen werden kann. Er enthält aber auch Harnstoff, der in einem weiteren Schritt zu Ammoniak zerfällt. Und der wiederum wird dann in einem Filter aus Lavasteinen von unzähligen auf der Oberfläche lebenden Mikroben zuerst in Nitrit und später in Nitrat verwandelt - und fertig ist der für die Pflanzen nutzbare Dünger.

"Der Biofilter hilft uns, die Erde nachzuahmen", sagt Hauslage. Für den Fall, dass der Filter allerdings nicht funktioniert, haben die Forscher ein Back-up installiert. Das besteht aus einer Lösung von kleinen Einzellern, sogenannten Grünalgen. Die können praktischerweise nicht nur Sauerstoff zum Start des Experiments produzieren, sondern auch das System im Fall eines Problems von zu viel Ammoniak befreien.

Was klar ist: Das fliegende Gewächshaus ist ein Anfang für die Pflanzenzucht im All, aber ein sehr kleiner. Um Menschen zu ernähren wären nach Schätzungen von Forschern um die hundert Quadratmeter Anbaufläche nötig. Pro Astronaut.


Zusammengefasst: Im Inneren des deutschen Satelliten "Eu:Cropis" wollen Forscher in den kommenden Monaten Tomaten im All züchten - unter Gravitationsbedingungen, wie sie auf Mond und Mars herrschen. Der Satellit dreht sich um sich selbst und simuliert so die Schwerkraft. Die Erkenntnisse sollen dabei helfen, dass Astronauten eines Tages ihre eigene Nahrung im All anbauen können.

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