«Das wäre definitiv die Zweiklassenmedizin»

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10'000-Franken-Franchise«Das wäre definitiv die Zweiklassenmedizin»

Die CSS-Chefin schlägt eine 10'000-Franken-Franchise vor. Die Idee stösst auf Ablehnung, doch die tiefsten Franchisen könnten dennoch steigen.

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CSS-Chefin Philomena Colatrella denkt über eine Erhöhung der Krankenkassen-Franchisen auf 5000 bis 10'000 Franken nach. Das sagte sie dem «Sonntagsblick». Gleichzeitig sollen die Prämien um rund 170 Franken pro Person sinken. So sollen Einsparungen von über einer Milliarde Franken erreicht werden.

«Das wäre der definitive Weg zur Zweiklassen-Medizin», sagt der Berner SP-Ständerat Hans Stöckli. Vor allem weniger Bemittelte oder ältere und chronisch Kranke müssten dann zur Fürsorge, um sich ein elementares Bedürfnis zu erfüllen. «Die Krankenversicherung ist eine Sozialversicherung», sagt Stöckli. «Dieser Vorschlag würde das Ende der Solidarität bedeuten.»

«Verfehlt den Zweck»

Auch der Berner Gesundheitsökonom Heinz Locher hält nichts von Colatrellas Idee. «Das würde Hunderttausende in der Schweiz zu Gesuchsstellern für Prämienverbilligungen machen.» Auch eine Prämienvergünstigung von 170 Franken pro Person, wie sie der CSS-Chefin vorschwebt, bringe nicht unbedingt eine ausreichende Entlastung. «Bei einer Familie mit wenig Einkommen ist das immer noch viel», so Locher.

Eine Franchise von 10'000 Franken würde laut dem Gesundheitsexperten zudem ihren Zweck verfehlen. «Der Sinn einer Franchise ist eigentlich, nicht wegen jedem Wehwehchen zum Arzt zu gehen. Würde sie drastisch erhöht, würden viele Leute trotz Krankheit nicht zum Arzt gehen. Das haben Studien bereits gezeigt», so Locher. Ausserdem gebe es in der Schweiz immer mehr ältere Menschen, die an chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes leiden. «Diese Leute müssen zum Arzt. Warum soll man sie also abschrecken?»

Schweizer zahlen mehr als andere Europäer

Die Probleme auf die schwachen Prämienzahler abzuwälzen, sei falsch. Locher sieht vielmehr den Bund und die Kantone in der Pflicht. Massnahmen zur Kostensenkung wurden dem Bundesrat bereits 2017 in einem Expertenbericht vorgelegt. Daraus geht hervor, dass der vom Staat und den obligatorischen Versicherungen finanzierte Teil des Gesundheitswesens in der Schweiz im Vergleich zu anderen westeuropäischen Ländern tiefer ist. Folglich zahlen die Versicherten entsprechend mehr aus der eigenen Tasche.

Das muss sich laut Locher ändern. «Seit 20 Jahren kennt man das Problem, nur hat nie jemand etwas getan.» Der Gesundheitsökonom schlägt vor, dass die Prämien nicht mehr als zehn Prozent des Einkommens ausmachen dürfen. Den Rest sollen Bund und Kantone übernehmen. «Es muss ein wenig schmerzen. Denn ein Mittel, das immer hilft, ist Geld.»

Anpassung der tiefsten Franchise?

Eine ähnliche Idee hatte vergangene Woche die CVP vorgeschlagen. In einer Initiative, die im Herbst starten soll, verlangt sie eine Kostensteigerung, die sich entsprechend der Gesamtwirtschaft und den durchschnittlichen Löhnen entwickelt.

Die FDP-Nationalrätin und Gesundheitspolitikerin Regine Sauter sagt: «Grundsätzlich steigt das Kostenbewusstsein, wenn sich der Einzelne mehr beteiligen muss.» Sie unterstütze das Vorhaben, die tiefste Franchise laufend der Kostenentwicklung anzupassen. Ausserdem trete sie für eine leichte Erhöhung der frei wählbaren Maximalfranchise ein.

Generika sollen Pflicht werden

Eine fixe Franchise von 10'000 Franken sei nicht zielführend, sagt Sauter. «Ich bin skeptisch, dass das den Kostenanstieg dämpfen würde», sagt sie. «Diese Franchise wäre zu hoch und die öffentliche Hand müsste bei vielen einspringen. So gäbe es gar keinen Spareffekt», sagt Sauter.

Im Rahmen der Revision des Krankenversicherungsgesetzes prüft der Bundesrat weitere Massnahmen, die eine Kostendämpfung bewirken sollen. Dazu gehört etwa, dass Patienten in jedem Fall eine «verständliche Rechnungskopie» erhalten sollen. Zudem sollen Versicherer neu Beschwerde gegen die Spital-Listen der Kantone führen dürfen, und es sollten immer die günstigsten Medikamente zum Zug kommen. Patienten, die zugunsten des Originalmedikaments auf Generika verzichten, sollen in Zukunft die Preisdifferenz selber bezahlen müssen.

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