«Wegen Gamesucht landete ich auf Strasse»

Aktualisiert

Maurice (24)«Wegen Gamesucht landete ich auf Strasse»

In unserer Serie über Handysucht erzählen zwei Betroffene von ihrem Leiden. Maurice (24) zum Beispiel zockte vier Tage lang durch.

Remo Schraner
von
Remo Schraner

Maurice (24) zockte manchmal vier Tage lang durch - ohne zu schlafen.

«Alles begann, als ich 14 war. In den Schulferien zockte ich mit meinem Kollegen manchmal eine Woche lang durch. Da seine Mutter fast nie zu Hause, der Kühlschrank aber immer voll war, nutzten wir das aus. Bis nachts um 3 Uhr spielten wir Ballergames. Geschlafen haben wir eigentlich nur, weil uns während des Zockens die Augen zugefallen sind. Am nächsten Tag ging es dann mit dem Gamen weiter.»

Essen als notwendiges Übel

«Als ich mit 16 in die Lehre kam, wurde mir das Onlinespiel ‹Grand Theft Auto› und das Computerspiel ‹Payday 2› zum Verhängnis. Den Tag hindurch arbeitete ich als Gärtner, nachts spielte ich. Da ich kaum noch schlief, kam ich oft unpünktlich zur Arbeit. Auch meine Noten in der Berufsschule wurden schlechter. Doch ich bestand meine Lehre.

Danach wurde es heftiger. Ich suchte nicht nach einem Job, sondern zockte lieber weiter. Manchmal waren es 18 Stunden am Stück. Das ging, weil ich noch bei meiner Mutter wohnte und ich gratis bei ihr lebte. Doch dann wurde ihr mein Suchtverhalten zu viel. Ich wiederum sah nicht ein, dass ich ein ernsthaftes Problem hatte. Also zog ich mit 21 Jahren zu meinem Vater. Doch meine Gaming-Sucht störte auch ihn.

Manchmal zockte ich vier Tage lang durch ‒ ohne zu schlafen. Das Essen war für mich nur noch ein notwendiges Übel. Ich ernährte mich von Chips, Brot und Energydrinks. Manchmal machte ich auch eine Gaming-Pause und schaute auf meinem Handy ‹Breaking Bad› oder sonst eine Serie.»

Obdachlos und handysüchtig

«Mein Vater sah nach einem Jahr keine andere Lösung, als mich rauszuwerfen. So landete ich wegen meiner Sucht für ein paar Monate auf der Strasse. Oft konnte ich bei Freunden oder bei meinem älteren Bruder übernachten. Manchmal musste ich mir aber draussen einen Schlafplatz suchen. Meistens fand ich am Bahnhof ein Bänkli oder übernachtete in einem Warteraum. War der Handyakku aufgeladen, schaute ich dann Serien. Denn schlafen konnte ich draussen nicht wirklich. Das verstärkte meine Handysucht.»

Mit Sport kämpft sich Maurice aus der Sucht

«Nach vier Monaten ohne Zuhause entschied ich mich für einen Klinikaufenthalt. Denn als meine Mutter mich wieder einmal sah, wog ich nur noch 48 Kilo. Bei meiner Grösse von 178 Zentimetern war das viel zu wenig. Das war 2017.

Erst in der Klinik merkte ich, dass ich gamingsüchtig bin. Ich begann jeden Tag ins Fitness zu gehen. Mich auszupowern und meinen Körper zu spüren, ist etwas, was mir das Gaming nicht geben kann. Plötzlich hatte ich gar keine Zeit mehr, mich mit meinem Handy zu beschäftigen. Ich hatte Besseres zu tun. Wie eben Sport – oder ich unterhielt mich mit den anderen Patienten.

Anfang dieses Jahres entschied ich mich für einen weiteren Klinikaufenthalt. Diesmal war ich sieben Wochen lang in der Klinik in Meiringen. Dort hat man sich auf Verhaltenssüchte spezialisiert hat. Denn meine Gamesucht wurde stärker. Zudem leide ich unter Depressionen.»

«Schämt euch nicht!»

«Zurzeit befinde ich mich in einer Tagesklinik. Sie hilft mir, dass ich eine Tagesstruktur habe. Ich will eine Zweitlehre als Uhrmacher machen und bin mich nun am Bewerben. Eine eigene Wohnung wäre auch nicht schlecht.

Ich bin noch immer süchtig nach Games und meinem Handy. Aber heute verbringe ich nur noch fünf Stunden pro Tag damit. Klar, das ist noch immer viel. Aber viel weniger als vorher.

Für alle Betroffenen da draussen: Vernachlässigt euer reales Leben nicht! Freunde, Familie und der Beruf sind so wichtig. Holt euch Hilfe und schämt euch nicht dafür.»

Serie: Handysucht

Teil 1: Maurice (24) zockte, bis er auf der Strasse landete

Teil 2: Melanie (19) war bis zu 12 Stunden am Handy

Teil 3: Facharzt Jochen Mutschler über die Handysucht

Handysucht in der Schweiz

Wer täglich mehrere Stunden mit dem Handy verbringt, ist nicht zwingend süchtig. Werden jedoch die Schulnoten schlechter, kann das ein Indiz dafür sein. Konkrete Zahlen zur Handysucht gibt es noch nicht, da die Forschung dazu noch in den Kinderschuhen steckt. Experten vermuten jedoch, dass 17 Prozent der Jugendlichen in der Schweiz an einer Handysucht leiden.

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