Wegen TerrorgefahrBund setzt Produkte wegen Terror auf rote Liste
Mit frei verkäuflichen Produkten können Terroristen Bomben bauen. Das will der Bundesrat verhindern. Lässt er ein Schlupfloch offen?
- von
- ehs
Acht Menschen starben bei der Explosion einer Bombe, die der norwegische Massenmörder Anders Breivik am 22. Juli 2011 im Regierungsviertel von Oslo platziert hatte. Die Bombe hatte er mit Ammoniumnitrat und Dieselöl selbst produziert.
Das ist kein Einzelfall: Am Dienstag durchsuchte die deutsche Bundesanwaltschaft das Haus eines Islamisten in Berlin. Er soll sich Aceton und Wasserstoffperoxidlösungen beschafft haben. Beide Chemikalien können zur Herstellung eines hochexplosiven Sprengstoffs verwendet werden, heisst es in einer Mitteilung. In der Schweiz sind diese Stoffe bis heute frei verkäuflich – «als einziges Land im Herzen von Europa», wie das Bundesamt für Polizei (Fedpol) schreibt.
Desinfektions- und Düngemittel
Das will Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) nun ändern. Am Mittwoch hat ihr Departement die Botschaft zum «Bundesgesetz über Vorläuferstoffe für explosionsfähige Stoffe» vorgestellt. Solche Stoffe, die zum Bombenbau genutzt werden können, können in Zukunft teils nur noch mit einer Registrierung gekauft werden. Übersteigt die Konzentration einen gewissen Wert, soll es gar ein Verkaufsverbot geben. Insgesamt gehe es um 100 bis 200 Produkte, so das Fedpol. Dazu gehören auch gewisse Desinfektionsmittel, Poolreiniger oder Düngemittel.
In der EU gibt es eine entsprechende Regelung bereits seit 2014. Dass die Schweiz nachzieht, diene der inneren Sicherheit, heisst es beim Fedpol. Die heutige Situation «birgt das Risiko, dass Kriminelle in die Schweiz ausweichen, um sich Vorläuferstoffe zu beschaffen». Fedpol-Sprecher Florian Näf sagt: «Es kommt immer wieder vor, dass Leute aus dem Ausland in die Schweiz kommen, um sich diese Stoffe zu beschaffen.»
57 Verdachtsfälle
Seit 2016 können immerhin verdächtige Käufe gemeldet werden. Bisher gingen 57 Meldungen ein. In einem Drittel der Fälle seien Abklärungen mit den Polizeien nötig geworden, sagt Näf. «Einen Ernstfall hatten wir bisher nicht.»
Künftig müssen sich Käufer online registrieren, bevor sie betroffene Produkte kaufen. Sie müssen angeben, für welchen Zweck sie das Produkt benötigen. Sind sie nicht in polizeilichen Datenbanken verzeichnet und erfüllt kein anderes, für den Bombenbau untaugliches Produkt den gleichen Zweck, wird der Kauf erlaubt.
«Im Alltag kaum spürbar»
Im Alltag seien die neuen Regeln kaum spürbar, sagt Fedpol-Sprecher Näf. Denn zwar sind Desinfektionsmittel, Poolreiniger oder Bleichmittel für Haare Produkte, die unter das neue Gesetz fallen könnten. Doch weil die EU bereits seit längerem ähnliche Regulierungen und Verbote kennt, hat die Industrie reagiert und die Konzentration in vielen Produkten gesenkt.
So fallen sie nicht unter das neue Gesetz. In Haar-Bleichmitteln sind etwa üblicherweise sechs bis neun Prozent Wasserstoffperoxid enthalten, bewilligungspflichtig werden aber erst Produkte ab einem Anteil von 12 Prozent.
Keine Meldepflicht
Trotzdem wird das neue Gesetz kritisiert. Denn professionelle Verwender von solchen Stoffen – neben Firmen können dazu auch Landwirte zählen – sind nicht von ihm betroffen. Das kritisierte etwa der Kanton Thurgau in der Vernehmlassung: Der Attentäter von Oslo habe unter dem Deckmantel eines angeblichen Agrarunternehmens das Ammoniumnitrat erworben. Professionelle Verwender sollten wenigstens verpflichtet werden, verdächtige Bestellungen zu melden, forderte der Kanton. Davon will der Bund nichts wissen. Stattdessen will man die professionellen Verwender nur «sensibilisieren».
Der Terrorismus-Experte Jacques Baud sagt, es habe zwar eine «gewisse Logik», ähnliche Regeln zum Verkauf und der Beschaffung solcher Chemikalien aufzustellen wie die EU. «Es könnte trotz Grenzen und Kontrollen sein, dass sich Terroristen in der Schweiz Material beschaffen.» Das Gesetz schaffe aber nicht mehr Sicherheit: «Das ist eine Illusion.» Einerseits würden nicht einmal in der EU die Regeln einheitlich angewendet. Andererseits «befinden sich in jeder durchschnittlichen Küche an und für sich völlig harmlose Produkte, mit denen eine Bombe gebaut werden könnte.»
Insgesamt fehle der Schweiz eine Vision, wie sie gegen den Terrorismus vorgehen wolle. «Solche Gesetze schaffen eine falsche Vorstellung von Sicherheit.» Stattdessen würden wegen Terrorismus immer mehr Gesetze und Stellen geschaffen, so Baud. «Doch damit wird der Terrorismus nicht besiegt. Denn obwohl immer mehr Geld und Personal investiert wird, steigt die Zahl der Anschläge. Es ist ein Wettrüsten.»