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PoI: 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen - Kritik

Finch (Michael Emerson) sieht Reese (erstmals?) in Aktion. / (c) CBS
Finch (Michael Emerson) sieht Reese (erstmals?) in Aktion. / (c) CBS

Vor Mr. Reese hatte Mr. Finch einen anderen Mitarbeiter: Mr. Dillinger. Die neue Episode erzählt die Geschichte, was mit diesem passiert ist. Und erweitert unser Wissen um die Hintergründe und Zusammenhänge von Person of Interest ein ganz schönes Stück!

Das passiert in der Person of Interest-Folge 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen:

...ever think about getting a dog?

Wir schreiben das Jahr 2010. Um Verbrechen an einfachen Leuten zu verhindern, für die sich die Regierung nicht interessiert, hat sich der immer noch weitgehend an einen Rollstuhl gefesselte Harold (Michael Emerson) mit einem Partner zusammengetan: Mr. Dillinger (Neil Jackson, Make it or Break it). Dillinger ist ein ehemaliger Blackwater-Söldner, der durchaus gerne die Früchte seiner Arbeit erntet, beispielsweise in Form der sexuellen Dankbarkeit einer Geretteten. Was ihm an seinem Job missfällt, ist jedoch der Umstand, dass Harold partout nicht verraten will, woher er die Informationen über die Leute bezieht, die in Schwierigkeiten geraten werden.

Die neueste Nummer, um die sich Dillinger kümmern soll, ist ein gewisser Daniel Casey (Joseph Mazzello, „The Social Network“). Casey gehört zu einer Art US-Pendant des Chaos Computer Clubs - und prüft Computersysteme auf ihre Sicherheit hin. Als Dillinger sich ihm an die Fersen heftet, merkt er schnell, dass er nicht der einzige ist, der sich für Casey interessiert. Auch ein Pärchen, welches von Harold als zur CIA gehörig identifiziert wird, ist an ihm dran: Reese (Jim Caviezel) und Stanton (Annie Parisse). Den beiden ist von ihren Vorgesetzten gesagt worden, dass Casey ein Verräter ist. Und sie haben den Befehl, ihn zu eliminieren. Was Reese jedoch verwirrt: Casey versucht sich, mit einem Vertreter des Geheimdienstausschusses des US-Senats zu treffen. Würde das ein Verräter tun? Zu allem Überfluss stellt sich heraus, dass besagter Senatsvertreter in Wahrheit einer ganz anderen Organisation angehört...

Nummer 16

Wann immer die Produzenten von Person of Interest mit dem Vorspann spielen, ahnen die Zuschauer bereits, dass ihnen eine ganz besondere Episode ins Haus steht. Man könnte schon fast von einer Tradition sprechen: In der vergangenen Staffel krempelte Person of Interest in Folge Nummer 16 das Serien-Schema komplett um - und erzählte mit Relevance eine ganze Episode aus der Perspektive von Shaw (Sarah Shahi), die damals noch im Auftrag der Regierung für die relevanten Nummern zuständig war.

2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen, Folge Nummer 16 in der dritten Staffel, ist vielleicht nicht ganz so radikal, allein schon weil Finch und Reese deutlich höhere Anteile an der Handlung haben. Und doch lässt sich die Folge sehr gut mit Relevance in eine Reihe stellen: sie ist - mit Ausnahme der letzten Minute - komplett als Rückblende erzählt und enthüllt Aspekte der back story, die vorher allenfalls andeutungsweise erwähnt worden sind. Allen voran die Tatsache, dass Harold vor John einen anderen Partner hatte.

Mr. Dillinger

Mr. Dillinger kommt - vor allem zu Beginn - keineswegs unsympathisch herüber. Er macht fraglos einen guten Job und ist auch noch sehr locker dabei. Trotzdem ist auch sofort klar, dass er gänzlich anders motiviert ist als sein Nachfolger Mr. Reese. Für Dillinger steht viel mehr im Mittelpunkt, was für ihn selbst drin ist: sei es die bereits erwähnte sexuelle Gratifikation, sei es die Bezahlung, die er von Finch erhält. Wir erinnern uns: Reese spendet 90 Prozent seines Gehalts - also das, was nicht für Anzüge draufgeht - für wohltätige Zwecke (God Mode). In diesen Verdacht käme Dillinger wohl nicht.

Allerdings soll es hier nicht nur darum gehen, ihm einen Charakterfehler zu attestieren. In gewisser Weise resultiert seine eher egoistisch orientierte Motivation, welche schließlich zu seinem Verrat und seinem Untergang führt, natürlich auch aus dem deutlich distanzierteren Verhältnis, das zwischen ihm und Finch besteht. Sie gehen zwar schon recht freundlich miteinander um; so bringt er Finch etwa Tee mit (auch wenn er sich zuerst nicht an dessen Lieblingssorte erinnert). Doch es besteht kein wirkliches Vertrauensverhältnis zwischen ihnen. Finch bringt es noch nicht mal über sich, Dillinger zu verraten, woher die Nummern stammen. Er behandelt ihn wie einen reinen Söldner, der einfach nur seine Aufträge zu erledigen hat. Und das ist es, was Finch bekommt: einen Auftragsarbeiter, der die Biege macht, als ihm die Sache zu heiß wird.

Mr. Reese

Pointiert arbeitet 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen die Unterschiede zu Reese heraus, der im Gegensatz zu Dillinger primär moralisch motiviert ist. Ihm ist der Sadismus, den Kara beim Foltern und Töten an den Tag legt zuwider. Und er widersetzt sich - vor Harolds Augen - seinen Befehlen, als er Daniel laufen lässt; ja ihm sogar noch Geld für den Bus gibt. Das ist doch ein CIA-Killer, dem man vertrauen kann!

Die Tatsache, dass Harold John sofort auf dem Foto erkennt und als CIA-Mitarbeiter identifiziert, beweist, dass er ihn offenbar schon länger auf dem Radar hatte; schon vor der Sache in Ordos und ihrer zufälligen Begegnung im Krankenhaus (Many Happy Returns). Sofern ich hier nicht einen wesentlichen Teil der back story vergessen habe (Hinweise dazu gerne in die Kommentare), wäre hier also noch ein Teil des Hintergrunds zu erhellen: Was ist das für eine „lange Geschichte“, durch die Harold überhaupt auf John aufmerksam geworden ist?

Ein Laptop, die CIA und Decima

Apropos erhellen von Hintergründen: darauf verstehen sich die Macher von 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen meisterlich. Wir erfahren, aus welcher (Zwangs-) Lage heraus (nämlich aus dem Willen, Daniel zu helfen) Harold überhaupt dazu gekommen ist, den Laptop auf dem Schwarzmarkt anzubieten, und auf welche Weise er schließlich seinen Weg nach China gefunden hat. Auch ist es kein Zufall, dass John und Kara den Auftrag in Ordos bekommen haben. Vielmehr war es Control (Camryn Manheim), die Special Counsel (Jay O. Sanders) angewiesen hat, dass die beiden Agenten, die sich den Laptop überhaupt erst durch die Lappen haben gehen lassen, auf diese Mission geschickt und dort selbst eliminiert werden sollen. Und schließlich wird offenkundig, dass Decima in Gestalt des sinistren Mr. Greer (John Nolan) schon seit vielen Jahren an den Geheimnissen der Maschine interessiert ist.

2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen unterstreicht noch einmal deutlich, dass das Schicksal unserer Hauptfiguren - einschließlich Shaw, durch deren Hände Mr. Dillinger ums Leben kam - bereits lange vor der Pilotfolge aufs Engste miteinander verwoben gewesen ist.

Die Achillesferse

Nicht verschwiegen werden soll, dass 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen natürlich ein großes Problem mit sich herumschleppt. Denn, so toll es auch ist, die Ereignisse im Hintergrund einmal mit eigenen Augen entfalten zu sehen, so sehr mangelt es einer Geschichte, die fast ausschließlich als Rückblende angelegt ist, an Spannung. Wir wissen ja schließlich schon mehr oder minder, welchen Ausgang die Ereignisse genommen haben. Das ist in der Tat eine Achillesferse, mit der jede flashbackzentrierte Geschichte leben muss.

Dessen ungeachtet hat sie einen Ausgang, der sie für die Gegenwart relevant und darum zumindest im Cliffhanger wiederum sehr spannend macht. Denn Daniel, der sympathische Computerhacker, der sich so gut mit Harold verstanden hat, wird am Ende von Root (Amy Acker) für das Team Machine rekrutiert. Und das, während sie selbst auf der Flucht vor Bewaffneten ist, die ihr offenbar schon ein bisschen zugesetzt haben.

Fazit

Schon allein wegen des Wiedersehens mit den - in der Serie - verblichenen Annie Parisse und Jay O. Sanders lohnt sich 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen. Wegen ihres Flashbackcharakters ist die Folge zwar mehr interessant als spannend. Aber interessant ist sie dafür auf jeden Fall (und damit fünf Sterne wert): gerade durch den Kontrast mit Dillinger arbeitet sie die Wertschätzung heraus, die nicht nur Finch, sondern auch wir Zuschauer für Mr. Reese hegen. Darüber hinaus erhalten wir ein Gefühl dafür, wie lange schon Control und Decima die Kontrolle über die Maschine zu erlangen versuchen. Und mit Daniel wird uns ein neuer Verbündeter im Kampf um eben jene Maschine vorstellt. Person of Interest nimmt Anlauf für die kommenden Ereignisse...

P.S.

Ein Anmerkung noch am Rande: 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen ist auch ein Musterbeispiel für die beispielhafte Zusammensetzung des Person of Interest Writers' Rooms. Dieser besteht aus „alten Hasen“ wie Greg Plageman (dessen Karriere bis NYPD Blue zurückreicht), David Slack (Law & Order, Lie to Me) und Amanda Segel (Without A Trace, The Good Wife, Nikita), aber auch aus kompletten Newcomern wie Nic Van Zeebroeck und Michael Sopczynski, welche vor Person of Interest noch nie als Autoren gearbeitet hatten - und langsam unter den Fittichen der „Alten“ so weit herangeführt worden sind, dass sie in der Lage sind, Episoden wie 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen abzuliefern.

Wenn man danach fragt, warum wir in Deutschland nicht in der Lage sind, Serien in der Qualität von Person of Interest zu produzieren, dann hat das sicherlich auch damit zu tun, dass uns der Writers' Room als Kreativitätsbecken und Learning-by-doing-Ausbildungsstätte fehlt.

Christian Junklewitz

Der Artikel PoI: 2010: Das Jahr, in dem wir fast Kontakt aufnahmen - Kritik wurde von Christian Junklewitz am Uhr erstmalig veröffentlicht.

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