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Luther: Episode 3 - TV-Kritik

Justin Ripley, we hardly ever knew you. Oder: Die besten gehen zuerst. Warren Brown als DS Ripley. / Foto (c) BBC
Justin Ripley, we hardly ever knew you. Oder: Die besten gehen zuerst. Warren Brown als DS Ripley. / Foto (c) BBC

Die dritte Episode von Luther liefert neben Spannung und Dramatik auch eine quasi-philosophische Abhandlung zur uralten Frage, ob Selbstjustiz ein geeignetes Mittel der Rechtsprechung sein kann. Zudem wird dem Zuschauer eine bittersüße Liebesgeschichte geboten.

Vor fünf Jahren hat in Ungarn eine Gruppe Rechtsradikaler eine Roma-Siedlung angegriffen und dabei sechs Menschen getötet. Darüber hat der ungarische Regisseur Bence Fliegauf einen Film gedreht, „Just the Wind“. In seiner Besprechung dieses Films in der Wochenzeitung Die Zeit richtet Autor Thomas Assheuer seinen Blick auf die politischen Vorbedingungen, die einen solchen Angriff möglich machten. Der Regisseur untermauert anhand dieses Beispiels seine These, wonach der Faschismus im Herzen eines jeden Staates schlummere.

The tabloids' favourite boogeyman

Seit einigen Jahren betreibt die ungarische Regierung unter Victor Orbán ein eindeutiges Anti-Roma-Programm. Deutlich wurde dies auch an der Behandlung des besagten Falls, der zum Vorbild für Fliegaufs Film wurde. Zuerst ließen die Behörden durch so genannte „Bürgerwehren“ das staatliche Gewaltmonopol durchbrechen, dann beschönigte die ungarische Regierung die sich häufenden Angriffe auf Roma-Familien schamlos. In seiner Kritik schreibt Assheuer dazu: „In dem Moment, wo der Staat die Roma aus dem Universum der Bürgerrechte aussondert, erklärt er sie für vogelfrei - er gibt sie dem Hass der Gesellschaft zum Abschuss frei.“


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Der Rächer der vermeintlich Entrechteten: Elliot Cowan als Racheengel Tom Marwood Foto © BBC
Der Rächer der vermeintlich Entrechteten: Elliot Cowan als Racheengel Tom Marwood Foto © BBC

Nun ist London nicht Budapest, England nicht Ungarn und die Regierung Cameron ganz und gar nicht die Regierung Orbán. Was jedoch passiert, wenn ein Individuum vom Rechtssystem eines Staates scheinbar ausgeschlossen wird und beschließt, auf eigene Faust Rache zu nehmen, das exerziert die dritte Episode der dritten und abschließenden Staffel von Luther eindrucksvoll durch. Beachtlich ist dabei, welchen Tempowechsel die Autoren scheinbar mühelos umsetzen. Waren die ersten beiden Episoden von der atemlosen Jagd nach dem Serienmörder Paul Ellis geprägt, kehren sie sich nun einer leiseren, jedoch nicht weniger packenden Dramaturgie zu.

Bevor der neue Fall um den selbsterkorenen Rächer beginnt, darf sich zwischen John Luther (Idris Elba) und Mary Day (Sienna Guillory) eine zarte Liebesgeschichte entfalten, nur damit diese später in der Episode vom Ermittler-Rauhbein George Stark (David O'Hara) beinahe wieder zunichte gemacht wird. Stark erweist sich mehr und mehr als dirty fighter, womit Luther keinerlei Probleme haben dürfte. Seine Adjutantin Erin Gray (Nikki Amuka-Bird) bekommt jedoch angesichts der wenig zimperlichen Methoden Straks kalte Füße und sucht Rat bei Justin Ripley (Warren Brown).

Dieser liefert zu Beginn der Episode eine wahre schauspielerische Meisterleistung. Da trauen sich die Autoren doch tatsächlich, eine Portion Humor in die ansonsten tiefernste Serie zu mischen. Ripley holt Luther an dessen Wohnung (der Traum eines jeden Großstadt-Hipsters) ab. Als dieser ihn hereinbittet, wirkt er vollkommen perplex: „Why? You never ask me in. Ever.“ Luther besteht jedoch darauf, er will ihm schließlich seine neue Freundin Mary vorstellen. Als beide aufeinandertreffen - Mary leicht bekleidet - ist die Verwunderung auf beiden Seiten groß. Diese wird noch gesteigert durch Luthers entwaffnend ehrliche Worte: „He's my mate. I love him.“ Was sich in diesen Szenen in Browns Gesicht abspielt, ist so köstlich, man kann sich kaum daran sattsehen.

You still got love in your voice

In der Nachbetrachtung muss man sich jedoch fragen, ob dieser kurze, heitere Moment schon eine Vorahnung auf das zu kommende, äußerst düstere und tieftraurige gewesen sein könnte. Der selbsternannte Rächer Tom Marwood (Elliot Cowan) hält London in Atem. Er verübt Morde an denjenigen, von denen er glaubt, das Justizsystem habe sie zu früh wieder auf freien Fuß gelassen. So fallen ihm zwei junge Erwachsene und ein Kleinganove zum Opfer. Er befestigt Botschaften an den Leichen, auf denen er die Adresse einer unaufspürbaren Internetseite hinterlässt: „It's hosted from Uzbekistan. Kazhakstan. One of the 'stans',“ wie Martin Schenk (Dermot Crowley) zu berichten weiß.


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Verzweifelt versucht Luther (Idris Elba); den aufgebrachten Lynchmob aufzuhalten. Foto © BBC
Verzweifelt versucht Luther (Idris Elba); den aufgebrachten Lynchmob aufzuhalten. Foto © BBC

Auf seiner Webseite veröffentlicht er hernach ein Video von sich selbst, in dem er seine Motivation für die Taten erläutert: die Vergewaltigung und Ermordung seiner Ehefrau und die nachfolgende, seiner Meinung nach viel zu schnelle Freilassung des Täters. Schnell schließen Luther und Konsorten aus dieser Ansprache, dass er bald wieder zuschlagen könnte. Also erstellen sie eine Liste der „ten most debased scumbags in London“ - wie Luther es ausdrückt -, um sie vor dem Rächer zu bewahren.

Luthers Methode zeigt erste Erfolge, die Entführung des nach 15 Jahren aus der Haft entlassenen pädophilen Sexualstraftäters Dennis Cochrane (Rupert Procter) durch Marwood verpasst die Polizei nur um wenige Stunden. Es folgt die Jagd auf Marwood und sein nächstes potenzielles Opfer, nun jedoch unter veränderten Vorzeichen und erhöhter Dramatik. Marwood lässt nämlich auf seiner Homepage abstimmen, ob Cochrane erhängt oder freigelassen werden soll. So drastisch wurden die Gefahren des Internets wohl nur selten porträtiert. Dort gilt nämlich weithin, was Staaten und Nationen in jahrhundertelangen Prozessen auszumerzen versucht haben: Anarchie.

Oder in Luthers Worten: „Bread and circuses.“ Panem et circenses. Brot und Spiele. Marwood setzt noch einen drauf, nachdem sich schnell abgezeichnet hat, in welche Richtung die Abstimmung verlaufen wird. Er will Cochranes Hinrichtung im Internet live übertragen. Kurz davor veröffentlicht er auch noch die Adresse der Hinrichtungsstätte. Schnell bildet sich dort eine blutdurstige Meute und fordert Cochranes Ermordung.

Luther und Ripley schaffen es jedoch rechtzeitig, diese zu verhindern. Während Luther den baumelnden Körper Cochranes gegen die aufgebrachten Massen verteidigt, verfolgt Ripley den flüchtigen Marwood. Es kommt zur Konfrontation. Marwood droht mit seiner Pumpgun, er zweifelt, er wimmert, er bettelt Ripley zur Umkehr. Dann schießt er.

Fazit

Die dritte Staffel von Luther übertrifft bisher alle in sie gesetzten Erwartungen. Nachdem in Sachen Spannung und Dramatik schon alles geboten wurde, bekommt die Serie nun auch noch einen rechts- und moralphilosophischen Einschlag. Soll in bestimmten Ausnahmen die Selbstjustiz erlaubt sein? Soll die Todesstrafe wieder eingeführt werden?

Das BBC-Drama hält dabei einer ganzen Gesellschaft den Spiegel vor. Wir Zuschauer müssen uns fragen, wie wir in einer Situation handeln würden, die vergleichbar mit der von Tom Marwood ist. In seiner Konfrontation mit Luther wirft er berechtigte Fragen auf: Hat nicht ein jeder schon einmal über Selbstjustiz nachgedacht? Sicher hat er oder sie das, die meisten jedoch kommen schnell zur Einsicht, dass ein offenes und transparentes Rechtssystem mit all seinen Instanzen immer noch das beste Instrument gegen staatliche und vor allem gesellschaftliche Willkür ist.

Verabschieden sich jedoch einzelne oder verabschiedet sich der Staat teilweise aus einem solchen Gesellschaftsvertrag, kommt es zu Vorfällen wie denen in Ungarn - oder eben dem in Luther porträtierten Fall. Eine solch philosophische Frage in einer TV-Serie anzureißen, dies zeichnet die Autoren aus. Jedoch muss auch dem Produktionsteam wieder einmal ein großes Lob ausgesprochen werden. Kameraführung, Bildkomposition, Belichtung: alles oberste Schublade. Hinzu kommt das in dieser Episode besonders gelungene Bühnenbild. Der Schilderfriedhof und Marys Boutique bei Nacht: ein wahrer Augenschmaus.

Ein weiterer Augenschmaus, der uns - der Autor hat sich vom Schock noch nicht endgültig erholt - leider verlassen hat, war Warren Brown. In seinem letzten Auftritt als DS Justin Ripley lieferte er noch einmal diese hundsäugige Aufrichtigkeit, die ihn zu einem absoluten Zuschauerfavoriten hat aufsteigen lassen. Rest in peace, DS Ripley, you'll never be forgotten!

Axel Schmitt

Der Artikel Luther: Episode 3 - TV-Kritik wurde von Axel Schmitt am Uhr erstmalig veröffentlicht.

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