«Die Ausschaffungs-Praxis ist eine Katastrophe»

Aktualisiert

Kriminelle Ausländer«Die Ausschaffungs-Praxis ist eine Katastrophe»

Bürgerliche Politiker stören sich an der tiefen Ausschaffungszahl delinquenter Ausländer. Linke sprechen dagegen von Stimmungsmache.

B. Zanni
von
B. Zanni

Vorsätzliche Tötung, schwere Sexualdelikte, Raub oder Einbruch fallen in den Delikte-Katalog. Aber auch Ausländer, die Sozialhilfemissbrauch begehen, verlieren automatisch das Aufenthaltsrecht in der Schweiz. 2010 stimmte das Volk mit der SVP-Ausschaffungsinitiative für ein härteres Regime gegen kriminelle Ausländer. Seit 1. Oktober 2016 ist das neue Gesetz zur obligatorischen Landesverweisung in Kraft.

Doch die Schweiz ist von den 4000 Ausschaffungen pro Jahr weit entfernt, die das Bundesamt für Statistik im Abstimmungskampf vorrechnete. Vermutet wird laut SonntagsZeitung, dass die Härtefälle die Zahlen drücken. Die Staatsanwälte-Konferenz zählte im ersten halben Jahr 50 Härtefälle. Aufgrund der Verhältnismässigkeit wurde auf die Ausschaffung – trotz Möglichkeit dazu – verzichtet.

Einige Staatsanwaltschaften verzichten bei Kriminaltouristen mit geringfügigem Delikt teilweise auf eine Landesverweisung: Der administrative Aufwand für Personen, die ohnehin verschwinden, erscheint ihnen zu gross.

Föhn fordert Sanktionen für Kantone

Bürgerliche Politiker üben scharfe Kritik. «Die Umsetzung der Ausschaffungsinitiative ist eine Katastrophe. Ich bin massiv enttäuscht», protestiert Peter Föhn (SVP), Präsident der Staatspolitischen Kommission im Ständerat. Die Politik müsse das Justiz- und Polizeidepartement in die Pflicht nehmen. «Die Ämter haben das Ziel, möglichst alle Ausländer zu integrieren.» Bereits die Masseneinwanderungsinitiative sei nicht dem Volkswillen gemäss umgesetzt worden. «Der Volkswille wird derzeit wie noch nie mit Füssen getreten.»

Um eine härtere Gangart durchzusetzen, fordert Föhn, dass Kantone, die Delinquenten nicht konsequent ausweisen, weniger Bundesbeiträge erhalten. «Einem Bauern werden schliesslich sofort die Subventionen gekürzt, füllt er nur schon einen Fackel nicht konsequent aus.»

Auch CVP-Ständerat Peter Hegglin sagt: «Die Zahlen sind überraschend tief. Die Schweiz darf kein Gastland sein für Leute, die sich nicht an unsere Gesetze halten.» Gerichte dürften auch nicht wegen des Verstosses gegen das Völkerrecht auf Landesverweise von Straftätern verzichten wie kürzlich im Fall des mehrfach vorbestraften Deutschen C.S. «Besteht ein Ermessensspielraum, müssen die Gerichte dem Volkswillen mehr Beachtung schenken.» Stelle sich heraus, dass die bilateralen Abkommen straffällige EU-Bürger zu stark schützen, sei eine Änderung der völkerrechtlichen Verträge unumgänglich.

«Initiative streute Volk Sand in die Augen»

Politiker aus dem linken Lager ärgern die Reaktionen. «Zum jetzigen Zeitpunkt die tiefen Ausschaffungszahlen zu kritisieren, ist nichts anderes als Stimmungsmache», sagt Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan. Gerade ein Jahr nach Einführung des Gesetzes könne noch keine verlässliche Bilanz gezogen werden. Sie macht auf die langwierigen Verfahren im Schweizer Rechtssystem aufmerksam.

«Politiker, die jetzt schon panisch reagieren, verraten ihre wahren Bestrebungen: Sie wollen am liebsten jeden Ausländer, der einmal eine Busse nicht bezahlt hat, gleich ausschaffen», so Arslan. Zudem gingen sie ohne Belege davon aus, dass es in der Schweiz vor Auszuschaffenden wimmle.

Auch SP-Nationalrat Cédric Wermuth hält die Bilanz für verfrüht. «Eine fundierte Analyse ist erst in ein paar Jahren möglich.» Dass die Ausschaffungsquote tief sei, überrasche ihn aber ohnehin nicht. «Wir warnten damals in unserer Kampagne, dass die SVP mit der Ausschaffungsinitiative dem Volk Sand in die Augen streut.» Jeder wisse, dass die Welt im Rechtsstaat komplexer sei und nicht jedes Problem mit einer scheinbar einfachen Verfassungsbestimmung gelöst werden könne. «Leider hat die Empörungspolitik der SVP erneut mehr für Unklarheiten als Ordnung gesorgt.»

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