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Kataloniens Unabhängigkeit Rajoy treibt Puigdemont in die Enge

Hat Puigdemont nun die Unabhängigkeit erklärt oder nicht? Das will auch Spaniens Premier Rajoy wissen. Mit seiner abwartenden Erklärung bringt er Kataloniens Präsidenten in Bedrängnis.
Mariano Rajoy

Mariano Rajoy

Foto: Pablo Blazquez Dominguez/ Getty Images

Ja oder nein? Das fragt sich ganz Spanien nach der Rede von Carles Puigdemont am Dienstagabend im katalanischen Parlament. Und auch der spanische Ministerpräsident weiß es nicht: Er ist am Mittwoch vor die Presse getreten und hat Kataloniens Präsidenten aufgefordert, klarzustellen, ob er eine eigene Republik ausgerufen hat oder nicht.

Damit spielt Rajoy den Ball zu Puigdemont zurück. Er vermeidet es, die Katalanen unter Zwangsverwaltung zu stellen - obwohl nicht ganz klar ist, ob Puigdemont nun wirklich die Unabhängigkeit ausgerufen hat. Schließlich hatte dieser nur das "Mandat" angenommen, Katalonien in einen eigenen Staat zu verwandeln. Rund zehn Sekunden später setzte er die Unabhängigkeit zudem wieder aus, um mit der spanischen Regierung verhandeln zu können. Eine harte Reaktion von Rajoy hätte leicht unverhältnismäßig wirken können.

Ohne Unterstützung der CUP wäre Puigdemont am Ende

Stattdessen steht Puigdemont nun vor einer schwierigen Entscheidung. Wenn er formal einlenkt und klarstellt, dass er zumindest keine juristisch wirksame Unabhängigkeit erklärt hat, könnte ihm in Katalonien Ärger drohen. Das ist der Hintersinn von Rajoys Erklärung: Wenn möglich, will er die Separatisten-Koalition in Katalonien auseinandertreiben.

Video: Wie geht es weiter im Katalonien-Konflikt

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Das Ziel einer eigenen Republik ist das einzige, was die grundverschiedenen Parteien dort zusammenhält: Puigdemont ist auf die antikapitalistische Partei CUP angewiesen, sie beschafft ihm seine Mehrheit. Die CUP fordert die Unabhängigkeit Kataloniens um jeden Preis. Schon am Dienstagabend waren ihre Vertreter wütend, weil Puigdemont nicht sofort einen eigenen Staat ausrief. Die Jugendorganisation der CUP sprach sogar von einem "Verrat". Entzieht die Partei Puigdemont die Unterstützung, wäre seine Regierung am Ende.

Madrid setzt Ultimatum

Wenn Puigdemont hingegen klarstellt, dass er die Unabhängigkeit erklärt hat, ist klar, was folgt: Rajoy würde Katalonien unter Zwangsverwaltung stellen und könnte sogar Neuwahlen ansetzen. Grundlage dafür ist Artikel 155 der spanischen Verfassung. Er gesteht der Regierung nicht näher benannte Maßnahmen zu, falls eine autonome Region gegen den Gemeinwillen handelt oder gegen die Verfassung verstößt.

Rajoy hat diesen Artikel in seiner Rede explizit erwähnt und indirekt mit ihm gedroht. Das Gesetz sieht vor, dass Rajoy Puigdemont benachrichtigt und mitteilt, dass er den Artikel anwenden könnte - ihm sozusagen ein Ultimatum stellt.

Vor dem Parlament setzte Rajoy Puigdemont schließlich eine Frist. Bis Montagmorgen 10 Uhr habe dieser Zeit, Klarheit zu schaffen, sagte der Premier. Wenn Puigdemont zu dem Schluss komme, dass er tatsächlich die Unabhängigkeit erklärt hat, soll er sie nach dem Willen Rajoys bis Donnerstagmorgen um 10 Uhr zurücknehmen.

Die spanischen Sozialisten kündigten nach Rajoys Rede an, die möglichen Maßnahmen mittragen zu wollen - und machten ein weiteres Angebot an die Separatisten in Katalonien: Man habe sich mit Rajoy geeinigt, in den nächsten Monaten über eine Verfassungsänderung zu debattieren und zu besprechen, wie Katalonien in Spanien verbleiben könne. Die damit verbundene Debatte werde eine Diskussion darüber ermöglichen, "wie Katalonien in Spanien bleibt und nicht, wie es ausscheidet", sagte der Generalsekretär der PSOE, Pedro Sánchez. Solche Gespräche wären vielleicht die einzige Möglichkeit, um diejenigen Katalanen zu überzeugen, die in Spanien bleiben wollen aber auch mit der derzeitigen Situation nicht zufrieden sind.

Auch Rajoy selbst erwähnte die Möglichkeit einer Verfassungsänderung in seiner Rede im Parlament am Mittwochnachmittag. "Wir verweigern uns einer Debatte über eine Reform der Verfassung nicht", sagte er. Zudem stellte Rajoy klar, worüber er willens ist, zu verhandeln: Über die Finanzierung der katalanischen Region, über den Grad der Autonomie, über die "Verbesserung des Zusammenlebens" - aber nicht über einen eigenen katalanischen Staat.

Ob Puigdemont sich darauf einlässt, ist nicht klar. In einem Interview mit dem amerikanischen Fernsehsender CNN forderte er einen "Dialog ohne Vorbedingungen", womit er wohl meint, dass auch ein unabhängiger katalanischer Staat nicht ausgeschlossen werden soll. Genau das wird Rajoy nicht akzeptieren. Zumindest aber ist in Spanien am Mittwoch so etwas wie ein vorsichtiger Dialog entstanden - auch wenn er bisher nur aus verklausulierten Reden und Presseerklärungen besteht.