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Frauen in der IT "Und Sie können dann ja die Tassen spülen"

Der Text eines Google-Mitarbeiters hat die Debatte um Sexismus in der Tech-Branche neu entfacht. Wie sieht die Lage für Frauen in der deutschen IT-Landschaft aus? Eine Informatikerin erzählt.
Schülerinnen an einem Computer-Arbeitsplatz

Schülerinnen an einem Computer-Arbeitsplatz

Foto: Friso Gentsch/ dpa

James Damore war bis vor Kurzem Entwickler bei Google, nun ist er gefeuert. Der Grund: sein zehnseitiger Aufsatz über Diversität  und über den aus Damores Sicht problematischen Umgang von Google mit dem Thema.

Damore verurteilt in seinem Schreiben die Google-Maßnahmen, die mehr Frauen und Minderheiten in Tech-Jobs holen sollen, und beschreibt Frauen aufgrund biologischer Faktoren als weniger geeignet für Spitzenpositionen. Zudem wählten Frauen biologisch bedingt lieber Jobs außerhalb des Tech-Sektors. Ihre geringe Zahl in der IT sei deshalb nicht durch Sexismus zu erklären.

Der Text kursierte zunächst Google-intern. Als er an die Öffentlichkeit gelangte, entfachte er sofort die Debatte um Sexismus im Silicon Valley neu. Wie aber sieht es eigentlich für Frauen in der deutschen IT-Branche aus? Ein Anruf bei Informatikerin Ursula Köhler, die Jahrzehntelang in der Branche arbeitete.

Zur Person

Ursula Köhler, 68, ist Sprecherin der Fachgruppe Frauen und Informatik in der Gesellschaft für Informatik (GI). Die promovierte Informatikerin arbeitete lange als Systemanalytikerin bei Siemens und unterrichtete Informatik am Oberstufenkolleg, mittlerweile ist sie im Ruhestand. Als Teil der Geschäftsführung verantwortete sie den Girl's Day, der Mädchen für MINT-Berufe begeistern soll.

SPIEGEL ONLINE: Frau Köhler, der Aufsatz des Google-Mitarbeiters hat die Debatte um Probleme von Frauen im Tech-Bereich weiter angeheizt. Wie sieht es in Deutschland aus?

Köhler: Ich glaube, dass die Probleme, mit denen Frauen im Silicon Valley zu kämpfen haben, auch in Deutschland existieren - und anderswo.

SPIEGEL ONLINE: Welche Probleme meinen Sie konkret?

Köhler: Das große Problem für Frauen in der Informatik sind die ständigen Zweifel des Umfelds. Als Frau habe ich wieder und wieder erlebt, dass man sich die Akzeptanz neu erkämpfen muss. Das zog sich durch mein ganzes Berufsleben. Wenn ein Informatiker in den Raum kommt, denkt jeder: Aha, der kennt sich aus. Bei Informatikerinnen sieht das anders aus, egal welche fachliche Eignung sie haben. Das macht es so schwer oder auch unattraktiv für Frauen, in IT-Berufe einzusteigen und dann dauerhaft in der Branche zu bleiben.

SPIEGEL ONLINE: Der Google-Text vertritt die These, dass Frauen sich aus biologischen Gründen eher für andere Berufe interessieren - und der niedrige Frauenanteil in der Branche folglich nichts mit Sexismus zu tun hat.

Köhler: Ich will den Text nicht allgemein aburteilen, aber einige der Thesen halte ich für grundfalsch.

SPIEGEL ONLINE: Welche denn zum Beispiel?

Köhler: Das Argument, dass Frauen nicht stressresistent genug für Top-Positionen im Tech-Bereich sind, ist Quatsch. Darüber kann jede Frau, die einen Beruf und eine Familie unter einen Hut bringt, nur lachen.

SPIEGEL ONLINE: Und abseits der Führungspositionen?

Köhler: Ich habe jahrzehntelang in der Informatik gearbeitet und sehe sie - anders als der Google-Autor - nicht als rein technisch. Was ich als Frau im Berufsleben immer wieder gemerkt habe, ist, dass ich besser kommunizieren konnte als viele Männer. Und dass genau diese Fähigkeit extrem wichtig war. Informatik ist viel komplexer als ein paar Zeilen Code. Aber natürlich gibt es auch viele Männer, die gut in Teams funktionieren. Die Unterschiede verlaufen eben nicht nur entlang der Geschlechtergrenzen.

SPIEGEL ONLINE: Dann ist es doch gar nicht so schlimm, wenn die Geschlechter so ungleich vertreten sind? Von zehn Tech-Jobs bei Google sind beispielsweise im Schnitt nur zwei von Frauen besetzt.

Köhler: Es braucht gerade jetzt ganz viele unterschiedliche Einflüsse im Tech-Bereich. Es passiert so wahnsinnig viel, zum Beispiel beim Thema künstliche Intelligenz. Technik ist so allumfassend geworden, das sollte nicht nur eine Gruppe steuern. Wir brauchen mehr Frauen im Fach, aber ich plädiere auch für mehr Austausch unter den Disziplinen.

SPIEGEL ONLINE: Trotz ihrer Bedeutung wollen immer noch wenige Schülerinnen Informatik studieren.

Köhler: Der Anteil der Frauen unter den Informatikstudierenden war vor einigen Jahren bei nur zehn Prozent, mittlerweile liegt er wieder bei etwa 20. Das ist immer noch wenig. Ich glaube, das Problem wird sich erst in den nächsten Generationen lösen lassen. Weil ich auch als Informatiklehrerin gearbeitet habe, kenne ich die Berührungsängste der Mädchen sehr gut.

SPIEGEL ONLINE: Wie begeistert man Mädchen für Informatik?

Köhler: Es ist wichtig, dass die Mädchen ein schulisches Umfeld haben, wo sie sich trauen, etwas auszuprobieren. Meine Erfahrung: Einen Anfängerkurs nur für Mädchen geben, und ab Stufe zwei geht es dann auch in einer gemischten Klasse sehr gut. Auffällig häufig ist es bei späteren Informatikerinnen auch so, dass das Elternhaus, zum Beispiel der Vater, die Mädchen schon früh für Technik begeistert hat.

SPIEGEL ONLINE: Haben Berufseinsteigerinnen es heute schon leichter als Sie früher?

Köhler: Ja und nein. Viele jüngere Kolleginnen haben mit der gleichen Skepsis im Beruf zu kämpfen wie ich früher. Gleichzeitig kenne ich kein deutsches Unternehmen, das nicht gemischte Teams als Zielvorstellung hat. Der Wunsch der Chefs allein reicht aber nicht, die Mitarbeiterschaft und das mittlere Management müssen auch mitziehen. Da gibt es oft eine Diskrepanz, das zeigt auch der Google-Fall sehr deutlich.

SPIEGEL ONLINE: Während Ihres Studiums in den Siebzigerjahren gab es auch noch nicht viele Frauen in der Informatik. Wie sind Sie als Frau an der Universität aufgenommen worden?

Köhler: Eine Begebenheit zu Beginn meiner Promotion ist mir gut in Erinnerung geblieben. Ich war die erste Frau am Lehrstuhl. Beim Rundgang landete ich in der Kaffeeküche, und die Sekretärin sagte mir: Und Sie können dann ja auch die Tassen spülen. Ich habe mich erkundigt, ob die männlichen Kollegen das ebenfalls machen. Nein, hieß es, die natürlich nicht. Ich habe sofort gemerkt: Das ist eine kritische Situation, in der ich viel kaputtmachen kann. Ich suchte das Gespräch mit meinen Kollegen. Zum Glück zeigten die sich solidarisch und erklärten sich bereit, ab sofort auch Tassen zu spülen.