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Kündigung wegen Eigenbedarf Stadt in NRW kündigt Mietern, damit Flüchtlinge einziehen können

Nach 16 Jahren muss eine Mieterin in der Kleinstadt Nieheim ausziehen. Die Stadt kündigte ihr wegen Eigenbedarf, in ihrer Wohnung sollen Flüchtlinge untergebracht werden. Der Bürgermeister rechtfertigt sein Vorgehen, das rechtlich fragwürdig ist.
Von Alica Müller

Nicht nur Großstädte wie München, sondern auch viele kleine Kommunen sind mit der Unterbringung von Flüchtlingen überfordert. Oft haben die Gemeinden nur wenige Tage, im Extremfall Stunden, Zeit dafür, die Unterbringung ganzer Familien zu organisieren. Das 6400-Einwohner-Städtchen Nieheim in Nordrhein-Westfalen ist deshalb einen umstrittenen Schritt gegangen: Mietern von städtischen Wohnungen wurde gekündigt, damit Flüchtlinge einziehen können.

Mieterin muss nach 16 Jahren umziehen

Betroffen ist unter anderem Bettina Halbey. Die 51-Jährige wohnt seit 16 Jahren in ihrer 90-Quadratmeter-Wohnung in Nieheim. Schon im Frühjahr zogen über ihr Flüchtlinge ein, mittlerweile lebt laut Halbey eine siebenköpfige Familie in der kleinen Dachgeschosswohnung. "Wir verstehen uns gut", sagte sie im Gespräch mit dem stern, "ich habe ihnen einen Fernseher gegeben und wir sitzen oft zusammen." Am 1. September kam dann ein Schreiben von der Stadt: Halbey müsse bis Mai 2016 wegen Eigenbedarfes ausziehen. In ihrer Wohnung sollen Flüchtlinge untergebracht werden. Halbey sei schockiert gewesen: "Ich kann das nicht verstehen, es gibt viel Leerstand in Nieheim." Ähnlich erging es der alleinerziehenden Mutter in der Wohnung im Erdgeschoss. Sie hat nun bis zum August nächsten Jahres Zeit, sich mit ihren zwei Kindern eine neue Bleibe zu suchen.

Auf die rund 6400 Einwohner Nieheims kommen bislang 71 Asylbewerber, die teilweise schon in drei städtischen Häusern untergebracht sind. Der parteilose Bürgermeister Rainer Vidal Nieheims reagierte auf eine Anfrage bisher nicht. (Nachtrag 24.9.: Mittlerweile hat sich Herr Vidal zu dem Vorfall geäußert.) Gegenüber dem "Westfalen-Blatt" rechtfertigt er die Kündigungen: "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht", sagt er. Den gekündigten Mietern würde bei der Wohnungssuche geholfen. "Ich weiß, dass dies eine unkonventionelle Maßnahme ist", so Vidal,  "Aber wir haben als Kommune die Verpflichtung, Flüchtlinge unterzubringen." Man könne es sich aktuell nicht leisten, neue Unterkünfte zu bauen. Auch das Ausweichen auf die Ortschaften oder auf leerstehende Gebäude sei nicht möglich: Dort gebe es schlicht keine geeigneten Immobilien.

"Das ist rechtlich unzulässig"

Rechtlich gesehen sind die Kündigungen laut dem Deutschen Mieterbund schwierig:  "Meines Erachtens nach ist das rechtlich unzulässig – nur natürliche Personen können Eigenbedarf geltend machen", so der Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips. Eine Stadt könne ihren Mietern somit nicht aus Eigenbedarf kündigen. Betroffenen rät Rips daher, sich rechtliche Beratung zu holen. Auch auf politischer Ebene halte er die Kündigungen für ungeschickt, sie spielten die deutsche Bevölkerung und Flüchtlinge gegeneinander aus: "Das gefährdet den sozialen Frieden." Die Kündigungen scheinen jedenfalls Wasser auf die Mühlen selbsternannter "besorgter Bürger" zu sein. Mehrere rechte Blogs berichteten über den Vorfall. Der Betreiber einer Nieheimer Facebook-Seite löschte den Beitrag über die Kündigungen wieder, nachdem sich die Leser in über 200 Kommentaren gegenseitig beleidigten.  

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