«Einen Anfall zu erkennen, ist schwierig»

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Krank im Strassenverkehr«Einen Anfall zu erkennen, ist schwierig»

Ein Beifahrer musste ein Fahrzeug in eine Leitplanke steuern, weil der Fahrer einen epileptischen Anfall hatte. Vorhersehbar sind solche Anfälle nicht.

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Ein 33-Jähriger hat letzte Woche als Beifahrer einen Lieferwagen in einen Autobahnteiler gesteuert, weil der Fahrer einen epileptischen Anfall hatte und immer weiter aufs Gas drückte. Ob er von der Krankheit wusste oder erstmals einen Anfall erlitt, ist nicht klar.

Das Problem: Es können auch einmalige Anfälle auftreten. «Geschätzt wird, dass rund fünf bis zehn Prozent der Menschen in ihrem Leben mindestens einmal einen epileptischen Anfall haben», sagt Julia Franke, Geschäftsführerin der Schweizerischen Epilepsie-Liga. In der Schweiz litten rund 70'000 bis 80'000 Personen an Epilepsie.

«Von Person zu Person verschieden»

Im Vergleich zu Herzkrankheiten oder Sekundenschlaf, die im Strassenverkehr zu ähnlich gefährlichen Situationen führen können, gelten bei Epilepsie strenge Regeln. «Halten sich Epilepsie-Betroffene an die Regeln, ist die Unfallgefahr deutlich geringer als etwa bei einem männlichen Junglenker», sagt Franke.

Manche spürten, wenn sich ein Anfall anbahne, weshalb es nicht immer zu einem Unfall kommen müsse. «Das ist jedoch von Person zu Person verschieden.» Es gibt unterschiedliche Formen von Epilepsie. Bekannt ist jene, bei der man Krampfanfälle erleidet. «Es gibt aber auch solche, die sich zum Beispiel durch Absenzen bemerkbar machen. Die Person reagiert dann einfach nicht mehr», so Franke.

Nicht immer ist ein Arzt nötig

Trotzdem könnten sich Anfälle etwa in Form von Kribbeln in den Extremitäten oder Unwohlsein ankündigen. «Das ist sehr individuell.» B. habe kaum Chancen gehabt, den Anfall kommen zu sehen. «Von aussen ist es sehr schwierig, das zu erkennen. Da müsste man die Person sehr gut kennen», erklärt Franke.

Hat jemand einen epileptischen Anfall, sollte man nicht zu viel machen. «Man sollte die Person vor Verletzungen schützen, ihr nichts in den Mund legen und die Dauer des Anfalls messen», so Franke. Bei bekannter Epilepsie brauche es nicht immer einen Arzt – oft genüge es, die auf der Notfallkarte angegebene Person zu verständigen. Nur wenn jemand länger als drei Minuten «krampfe» oder verletzt sei, handle es sich um einen Notfall.

«Wusste er davon, wäre das fahrlässig»

Passiert dies jedoch, während der Betroffene ein Fahrzeug lenkt, muss der Beifahrer reagieren, wie Rechtsanwalt Sandro Imhof, Experte für Strassenverkehrsrecht, erklärt. Im aktuellen Fall konnte B. so verhindern, dass das Auto etwa von der Fahrbahn abkommt oder in andere Fahrzeuge prallt. Somit hat er trotz einer Verletzung der Verkehrsregeln eine schlimmere Situation verhindert und dürfte damit aufgrund eines rechtfertigenden Notstands straffrei davon kommen.

Beim Fahrer selbst komme es darauf an, ob er von den Anfällen gewusst habe. «War ihm das nicht bewusst, ist mit der Einstellung des Strafverfahrens zu rechnen.» Dann ordne allerdings das Strassenverkehrsamt in der Regel eine Abklärung der Fahreignung an. «Wusste er, dass er einen Anfall bekommen könnte, wäre das Fahren eines Motorfahrzeugs grobfahrlässig, insbesondere wenn er sich nicht vorgängig von einem Arzt untersuchen liess.»

5611 Ausweisentzüge in einem Jahr

Oft werde die fehlende Fahreignung aufgrund von Krankheiten aber erst nach einem Unfall vom Strassenverkehrsamt festgestellt. Das gilt auch etwa bei Diabetes oder Sekundenschlaf. «Oft lenken auch Personen mit solchen Krankheiten ein Auto, ohne sich der Gefahr für sich und andere bewusst zu sein», sagt Imhof. Deshalb haben auch Ärzte oder allenfalls Drittpersonen das Recht, bei solchen Krankheiten das Strassenverkehrsamt zu informieren.

Gemäss der Vereinigung der Strassenverkehrsämter der Schweiz wurden in der Schweiz im vergangenen Jahr 5611 Ausweise wegen Krankheit oder Gebrechen auf unbestimmte Zeit entzogen. 2980 der Betroffenen waren über 70 Jahre alt.

*Name der Redaktion bekannt

Trotz Krankheit fahren: Das müssen Sie beachten

Gemäss Diabetes Schweiz gibt es hierzulande rund 500'000 Diabetes-Patienten. Laut der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin SGRM müssen Diabetes mellitus-Patienten im Fahrzeug stets rasch verfügbare Kohlenhydrate mitführen. So kann der Fahrer bei einer Unterzuckerung schnell reagieren. Aus diesem Grund müssen auch das Blutzuckermessgerät und der Diabetikerausweis stets dabei sein. Um ein Fahrzeug führen zu dürfen, dürfen keine verkehrsrelevanten Spätfolgen vorhanden sein. Auch eine die Fahrfähigkeit beeinflussende Überzuckerung darf nicht vorkommen. Details dazu finden Sie hier.

In einer Publikation von 2011 schreibt Johannes Mathis vom Zentrum für Schlafmedizin des Inselspitals Bern, dass in einer Normalbevölkerung fünf bis zehn Prozent über Tagesschläfrigkeit klagen. Gesetzlich wird das Einschlafen am Steuer analog behandelt wie ein Unfall unter Alkoholeinfluss. Wer in schläfrigem Zustand fährt, muss mit einem Ausweisentzug rechnen. Ein Autofahrer muss sein Fahrzeug immer so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Laut den Richtlinien der SGRM ist somit eine Leistungsreserve nötig, um auch schwierige Situationen meistern zu können.

Für Epilepsie-Patienten gilt die Faustregel, dass sie zum Führen eines Fahrzeuges ein Jahr lang keinen Anfall gehabt haben dürfen, erklärt Julia Franke, Geschäftsführerin der Schweizerischen Epilepsie-Liga. Die Fahrtauglichkeit muss von einem Facharzt abgeklärt werden. Je nach Anfallstyp, Ursachen und Begleitumständen kann diese Frist verkürzt oder verlängert werden. Für Berufschauffeure gelten erheblich strengere Regeln. Mehr dazu hier.

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