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Ausland Soziale Netzwerke in Russland

Putin lässt kritische Posts immer härter bestrafen

Der Oppositionsführer und Blogger Alexei Navalny lebt gefährlich: In Russland drohen Oppositionellen für virtuelle Aktivitäten reale Haftstrafen Der Oppositionsführer und Blogger Alexei Navalny lebt gefährlich: In Russland drohen Oppositionellen für virtuelle Aktivitäten reale Haftstrafen
Der Oppositionsführer und Blogger Alexei Navalny lebt gefährlich: In Russland drohen Oppositionellen für virtuelle Aktivitäten reale Haftstrafen
Quelle: Getty Images
Russische Internet-Nutzer geraten zunehmend ins Visier von Putins Behörden. Wer sich in sozialen Netzwerken proukrainisch äußert, muss damit rechnen, als verurteilter Terrorist im Gefängnis zu landen.

Vor einem Jahr passierte Jekaterina Wologscheninowa, einer Verkäuferin aus Jekaterinburg, etwas total Absurdes, das ihr Leben ganz plötzlich auf den Kopf stellte. Alles begann damit, dass an einem Mittwoch im Dezember 2014 das Internet in ihrer Wohnung ausfiel. Am nächsten Tag arbeitete die alleinerziehende Mutter bis zum späten Abend. Keine Zeit, um Nachbarn oder den Internetprovider anzurufen. Am Freitag standen um 9 Uhr morgens Menschen vor der Tür, die sich als Vertreter des Providers vorgestellten.

Als sie die Tür aufmachte, sah sie fünf Männer und eine Frau – Mitarbeiter des Geheimdienstes, der Ermittlungsbehörde und Zeugen. Sie durchwühlten ihre Wohnung und beschlagnahmten einen Laptop, das Tablet der zwölfjährigen Tochter, eine Digitalkamera, ein Handy, CDs mit Familienbildern. Auch Wologscheninowa nahmen die Ermittler mit. Im Büro wartete schon ein Pflichtverteidiger auf sie. „Er roch nach Alkohol und sagte mir, ich soll lieber alles unterschreiben“, erzählt die Frau am Telefon. „Er sagte: Wozu sollst du ins Gefängnis, was wird mit deinem Kind?“

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Quelle: Die Welt

Ihre Schuld war aus seiner Sicht klar: Auf ihrer Seite beim russischen sozialen Netzwerk Vkontakte hat sie mehrere Bilder und Texte über die Krimannexion und den Krieg im Donbass mit ihren 80 Kontakten und vier Followern geteilt. Etwa ein Bild, auf dem der russische Präsident Wladimir Putin ein Messer über der Ostukraine hält. Oder ein Text, in dem steht, dass die Russen durch Hass und Propaganda vergiftet seien. Emotionale, an manchen Stellen auch harte Texte gegen den Krieg, an dem ihr Land heimlich beteiligt sei. Außerdem hat sie die Seiten von zwei ukrainisch-nationalistischen Organisationen abonniert, die in Russland verboten sind.

Laut Staatsanwaltschaft habe sie damit Hass gegen Russen, insbesondere gegen die Bevölkerung der Ostukraine sowie gegen „russische Freiwillige“, die dort kämpfen, gesät. Die Frau wurde auf eine Terroristenliste gesetzt, was dazu führte, dass alle ihre Konten gesperrt wurden. Anfang Februar wurde das Urteil gefällt: 320 Stunden Strafarbeit. Ihr Laptop und die Maus wurden vernichtet, weil sie als Tatwerkzeuge gedient hatten. „Das ist ungerecht, die Texte habe nicht ich verfasst, sie sind weiter überall im Internet zu finden“, sagt sie. „Aber so jemanden wie mich kann man viel einfacher anklagen, um die Statistik zu erfüllen.“

Behörden rechnen mit Oppositionellen ab

Im heutigen Russland ist so etwas kein Einzelfall, die Behörden nehmen soziale Netzwerke immer stärker ins Visier. Im vergangenen Jahr wurden laut der Menschenrechtsorganisation Agora mindestens 18 Russen wegen virtueller Aktivitäten zu realen Haftstrafen verurteilt. Insgesamt gab es 203 Fälle, in denen Internetnutzer angeklagt wurden. „Die meisten Betroffenen sind unbekannte Blogger“, sagte der Anwalt Pawel Tschikow von Agora. Im Großteil der Fälle gehe es um nationalistische Aussagen, doch nicht alle von ihnen müssen in einer demokratischen Gesellschaft zu Haftstrafen führen, glaubt Tschikow. Auch proukrainische Posts oder oppositionelle Ansichten werden zunehmend als „Extremismus“ verfolgt.

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Quelle: Die Welt

In mehreren Fällen rechneten regionale Behörden so mit oppositionellen Aktivisten ab, die bereits seit einer Weile unter verstärkter Beobachtung der Polizei und des Geheimdienstes standen. So wurde etwa in der Teilrepublik Tatarstan der ältere tatarischer Aktivist Rafis Kaschapow zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er die russische Politik gegenüber den Krimtataren im Internet kritisierte.

Oder Daria Poljudowa, eine junge linke Aktivistin aus der südrussischen Region Kuban. Bald nach der Krimannexion ging sie auf die Straße mit einem Plakat, auf dem stand: „Kein Krieg mit der Ukraine, sondern eine Revolution in Russland! Kein Krieg, sondern Revolution!“ Bilder ihrer Aktion postete sie beim sozialen Netzwerk Vkontakte. Später postete sie noch einen ironischen Aufruf, die Ukrainer von Kuban sollen einen Anschluss an die Ukraine fordern. Dafür wurde sie im Dezember zu zwei Jahren Haft verurteilt.

Zwei ihrer Mitstreiter, die einen satirischen „Marsch für Föderalisierung von Kuban“ organisieren wollten, flohen inzwischen aus Russland, die 27-jährige Juristin blieb. „Ich will nicht fliehen. Ich gehe ins Gefängnis und komme wieder, um weiter zu kämpfen“, sagt sie entschlossen am Telefon. „Wir müssen Russland von den Faschisten im Kreml befreien.“ Derzeit wartet sie in ihrem Heimatdorf auf die Entscheidung der zweiten Instanz, die Anfang März gefällt wird. Sie fühlt sich alleingelassen, denn solche Fälle sorgen inzwischen für immer weniger Aufsehen, weil es immer mehr davon gibt.

Urteile wie am Fließband

Inzwischen nutzen 66 bis 70 Prozent der Russen das Internet – Tendenz steigend. Die Behörden suchen deshalb nach Methoden, um das Netz besser zu kontrollieren. In den letzten Jahren wurden eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die eine Sperrung von Internetseiten vereinfachen. Im vergangenen Jahr hat es laut Agora über 9000 Fälle von Internetzensur gegeben. Dabei handelte es sich um Sperrungen von Seiten oder die Einstufung von Seiten, Texten und Bildern als „extremistisch“. Solche Urteile werden wie am Fließband gefällt. In staatlichem Auftrag wurden auch mehrere Programme entwickelt, die soziale Netzwerke nach Schlagwörtern durchsuchen.

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Quelle: N24

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Aber es gibt keine Sperrung, die man nicht umgehen kann. Seit 2012 hat sich die Zahl der Nutzer des Tor-Netzwerks – das anonymes Surfen im sogenannten Darknet erlaubt – in Russland verzehnfacht. Im Parlament gab es bereits Vorschläge, die Verbreitung von Informationen darüber, wie man Sperrungen umgehen kann, zu verbieten und entsprechende Seite zu sperren. Doch effizienter erscheint offenbar das klassische Instrument der Einschüchterung, damit sich die Internetnutzer nicht zusammentun können.

Deshalb werden Aussagen im Netz, Teilen und Likes immer härter bestraft. „Vor Sperrungen haben Internetnutzer keine Angst, aber vor einer realen Haftstrafe schon“, sagt der Anwalt Tschikow. „Die Behörden müssen nicht viele Millionen Nutzer unter totaler Kontrolle halten. 200 bis 300 Prozesse pro Jahr würden schon reichen, um Menschen Angst einzujagen.“ Der unabhängige Fernsehsender Doschd hat seinen Zuschauern kürzlich einen halbironischen Rat gegeben: Der beste Weg, nicht im Gefängnis zu landen, sei, nur Katzenbilder zu posten.

Fälle von ganz normalen Menschen wie Jekaterina Wologscheninowa klingen besonders absurd und sind gleichzeitig besonders abschreckend. „Ich habe mich seit den 90ern nicht für Politik interessiert“, sagt sie. „Aber nach der Krimannexion glaubte ich nicht allem, was im Fernsehen gesagt wird, und suchte nach Informationen im Internet.“ So kam sie auf ukrainische Seiten. Nach der Anklage hat sie die Posts gelöscht, ihre Seite bei Vkontakte ist jetzt nur noch für Freunde sichtbar. Die Netzgemeinde sammelte inzwischen Geld, damit sich die Verkäuferin einen neuen Laptop kaufen kann. Doch übergeben kann man es ihr nicht, weil ihre Konten seit der Anklage gesperrt sind und weil die Übergabe des Geldes inzwischen als Finanzierung von Terrorismus und Extremismus verfolgt werden kann.

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