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Zwangsfilter Flickr verbietet Deutschen Nacktfotos

Das US-Fotoportal Flickr vergrault mit seiner deutschen Lokal-Version die Kunden: Für sie sind jetzt alle Bilder gesperrt, die man eher ungern der Oma, Kindern oder Arbeitskollegen zeigen würde. Einspruch zwecklos. Deutsche Nutzer rufen zum Boykott.

Der Berliner Blogger Felix Schwenzel fotografiert Alltags-Skurrilitäten: Einen Bayern mit Lederhosen in der Berliner U6 zum Beispiel. Oder unförmige gelbe Homer-Simpson-Hausschuhe an den Füßen eines Unbekannten. Fast drei Jahre lang hat Schwenzel seine Schmunzel-Bilder beim Fotoportal Flickr eingestellt. Zweimal hat er für ein Flickr-Abonnement bezahlt, um mehr Bilder speichern zu können, zuletzt Anfang Mai. Doch jetzt kündigt Schwenzel an: "Ich sichere gerade meine Fotos und lösche meinen Account, sobald ich alles abgezogen habe."

Wie Schwenzel reagieren Hunderte anderer Flickr-Nutzer aus Deutschland auf Flickrs neue deutsche Lokal-Version. Die Tochterfirma des US-Internetkonzerns Yahoo hat im Zuge der Lokalisierung nicht nur Texte übersetzt, sondern auch ein rigides Filtersystem installiert. Wer mit einem deutschen Flickr- oder Yahoo-Zugang surft, liest oft die Meldung "Dieses Foto ist für Sie nicht verfügbar". Surft man mit einem bei der US-Mutter Yahoo.com registrierten Zugang, sind weit mehr Fotos zu sehen - wie ein Test von SPIEGEL ONLINE zeigt (siehe Bildergalerie).

Flickr zwingt Nutzer zum Vorfiltern

Der Hintergrund: Flickr verlangt von seinen Nutzern, dass sie ihre Fotos selbst einstufen, wenn sie sie auf dem Fotoportal veröffentlichen. Es gibt drei Kategorien, die Flickr so definiert:

  • unbedenklich (Bilder sind für ein breites, öffentliches Publikum geeignet)
  • mittel (Einige der Bilder könnten andere Personen als störend oder unangemessen empfinden)
  • eingeschränkt ("Fotos, die Sie nicht Ihren Kindern, Ihrer Großmutter oder Arbeitskollegen zeigen würden")

Das Problem: Flickr-Nutzer, die sich beim deutschen Flickr- oder Yahoo-Portal registriert haben, bekommen nur unbedenkliche Bilder zu sehen. Als "mittel" oder "eingeschränkt" eingestufte Bilder hingegen sehen nur Nutzer, die sich bei Flickr.com oder Yahoo.com angemeldet haben. Wer einen US-Account hat, kann auch in Deutschland den gesamten Bilderbestand von Flickr sehen. Man muss nur die Option "Safe Search" deaktivieren. Diese Wahlfreiheit haben Nutzer eines deutschen Accounts nicht. So steht es auch in Flickrs Geschäftsbedingungen: "Diese Funktion ist nicht verfügbar, wenn Sie eine Yahoo!-ID aus Singapur, Deutschland, Hong Kong oder Korea verwenden."

Die Folge: Deutsche Nutzer bekommen harmlose Fotos mit ein wenig nackter Haut nicht mehr zu sehen. Ebenso wenig wie alle anderen Inhalte, die irgendjemand für irgendwie bedenklich hält - selbst wenn das ein US-Hobby-Fotograf ohne jede Kenntnis des deutschen Rechtssystems ist. Oder ein übereifriger Flickr-Mitarbeiter - zuletzt war die Firma unangenehm aufgefallen, weil sie zum Beispiel hartnäckig die harmlosen Fotos einer isländischen Künstlerin sperrte.

"Zensur - nein danke"

Die deutschen Flickr-Nutzer sind empört: Seit gestern haben sie in mehreren Flickr-Foren mehr als tausend Nachrichten geschrieben. Es gibt inzwischen mehrere Anti-Zensur-Gruppen und Banner-Kampagnen von Fotografen, die in ihren Flickr-Accounts Logos mit Slogans wie "Zensur - nein danke", "Nicht mit uns!" oder "Fuckr censors you" einstellen. Die Wut der Nutzer formuliert Felix Schwenzel so: "Allein die Tatsache, dass Flickr meint, mich vor dem Anblick irgendwelcher Fotos schützen zu müssen, oder mir gar meine eigenen Fotos vorenthält, wenn sie als 'unsafe' bewertet wurden, finde ich ziemlich erschütternd."

Schwenzels Urteil: "Das wendige, pfiffige, innovative, frische Flickr das ich mal gekannt habe, ist offenbar zu einer weiteren lahmen, bürokratischen Konzernabteilung geworden." Die Münchner Webdesignerin Natascha Okroy beschwert sich: "Ich kann nun zum Beispiel einige wunderschöne, kunstvolle Aktfotografien meiner Kontakte nicht mehr sehen."

Inzwischen hat sich Flickr-Gründer Stewart Butterfield zu dem Proteststurm geäußert. Heute früh gegen vier Uhr deutscher Zeit schrieb er im Flickr-Forum: "Es ist eine wirklich komplexe Situation. Wir denken schon eine Weile darüber nach. Wir mussten uns entscheiden, ob wir Deutschland und die deutsche Sprache beim internationalen Start außen vor lassen. Wir haben uns entschieden, Deutschland einzuschließen. Wir hoffen, dass das die richtige Entscheidung gewesen ist."

Aus dieser schwammigen Formulierung geht nicht hervor, durch welche deutschen Gesetze Flickr sich zur Zwangsfilterung gezwungen sieht. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE erklärte die deutsche Yahoo-Niederlassung, sie stehe nicht "für eine Stellungnahme zur Verfügung".

Jurist: Hintergrund ist deutsche Forenhaftung

Arne Trautmann, Münchner Anwalt für IT-Recht, vermutet als Hintergrund die deutsche Rechtsprechung in Sachen Störer- oder Forenhaftung. Grundsätzlich gilt in Deutschland, dass der Betreiber eines Forums nicht für die unrechtmäßigen Äußerungen Dritter in diesen Foren haftbar gemacht werden kann - egal ob es sich bei diesen Äußerungen um Meinungsbeiträge (Blog-Kommentare) oder Fotos (Flickr) handelt. Das gilt im Fall von Unterlassungsansprüchen aber nur, wenn der Foren-Betreiber eine entscheidende Voraussetzung eingehalten hat: "Er muss seine Prüfpflichten erfüllt haben", sagt Trautmann.

Was genau diese Pflicht erfüllt, legen deutsche Gerichte unterschiedlich aus. Trautmann vermutet hinter dem deutschen Flickr-Zwangsfilter den Versuch, ohne großen und teuren Moderatoren-Einsatz diese Pflicht mittels der Software zu erfüllen. "Das ist ein Feigenblatt, um zu sagen, man habe die Pflicht ernst genommen." Klar ist: Durch das jetzige Vorgehen von Flickr sind die Nutzer zum einen angehalten, ihre Inhalte einzuordnen, sich noch einmal Gedanken darüber zu machen, ob sie Persönlichkeitsrechte oder andere Gesetze verletzen. Zum anderen tauchen entsprechende Inhalte gar nicht erst im Forum auf.

Die Filter sind Flickrs Feigenblatt

Trautmann glaubt, dass deutsche Gerichte diese Methode durchaus als Erfüllung der Prüf- und Kontrollpflicht anerkennen könnten. "Das Verfahren verhindert Rechtsverstöße nicht sicher. Aber es macht sie weniger wahrscheinlich", sagt er SPIEGEL ONLINE. "Systeme, die Verletzungen sicher ausschließen, mag es geben, aber sie wären teuer und aufwändig und damit wohl nicht mehr zumutbar."

Es könnte also klappen, dass Flickr sich mit Zwangsfiltern ein wenig Rechtssicherheit schafft - ohne Geld für eine große Mannschaft deutscher Moderatoren ausgeben zu müssen. Die Frage ist nur, ob Flickr dann noch genug deutsche Nutzer hat, um eine Flickr-Lokalversion erfolgreich betreiben zu können. Blogger  Felix Schwenzel sagt, er sei "nicht sonderlich gerne zahlender Kunde" einer Firma, die ihn veräppeln wolle "oder für unmündig erklärt. Da suche ich mir lieber Alternativen".

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