Die linke Augenbraue, klar, das wollte man schon wissen: Wäre sie außer Rand und Band? Würde sie im Takt der Musik auf und ab hüpfen? Den Fans auf dem Marienplatz zuwinken? Und was wäre wohl mit dem bisher weniger intensiv erforschten Rest von Carlo Ancelotti? Würde auch der sich zu einem impulsiven, volare-cantare-mäßigen Gefühlsausbruch hinreißen lassen, oder würde er auf dem Balkon des Rathauses stehen, als hätten ihn dessen Erbauer vor mehr als hundert Jahren dort hingemeißelt? Wir haben es genau beobachtet am vergangenen Samstag - und gleich mal eingeordnet, wie sich der aktuelle Meistertrainer auf der Feierbiest-Skala von 0 bis 10 im Vergleich zu seinen direkten Vorgängern geschlagen hat.
Felix Magath (2005, 2006)

Felix Magath und Feiern, das war so eine Sache. Der Mann, der die Bayern humorlos zu den so genannten Medizinball-Meisterschaften 2005 und 2006 führte, hatte ja nie zuvor einen Meistertitel als Trainer gewonnen. Deshalb schaute er 2005 bei den obligatorischen Bierduschen wie ein begossener Pudel, der sich so schnell wie möglich wegschleichen wollte, und im Mannschaftsbus wurden laut Sport-Informationsdienst "Stimmungshits wie Biene Maja" gespielt. Tags darauf berichtete Magath: "Es war noch dunkel, als ich nach Hause kam, aber ansonsten kann ich mich an fast nichts mehr erinnern." Zudem war der Rathausbalkon, sonst Schauplatz der Jubelfeier, wegen Renovierungsarbeiten nicht zugänglich. Der arme Magath, der zu allem Überfluss in den Klammergriff von BR-Reporter "Weißbier-Waldi" Hartmann geriet, rief den Fans also von einer improvisierten Bühne aus zu: "Ich bin stolz auf euch. Und ich wäre stolz darauf, wenn wir nächstes Jahr wieder hier stehen werden."
So kam es dann auch. Diesmal war der Rathausbalkon geöffnet, die Party war für die Fans eine Art Warm-Up zur WM 2006, aber auch Podium für Beschimpfungen gegen Michael Ballack, der zum FC Chelsea wechselte. Magath und seine Assistenztrainer Seppo Eichkorn und Werner Leuthard erschienen in einem Outfit, als seien sie Köche oder Kellner bei einem Oktoberfest in Massachusetts. Und die offenbar trinkfreudige Abendzeitung ätzte, Magath habe erneut "nicht mal das Warmtrinken überstanden". Feierbiest-Punkte: 0,5
Ottmar Hitzfeld (zuletzt 2008)

Die Tränen waren ihm schon am Nachmittag gekommen, im Stadion. Doch seinen letzten von zahlreichen Triumphen auf dem Balkon an diesem Abend im Mai 2008 ertrug Ottmar Hitzfeld mit Fassung. Er hatte dort ja eh schon alles erlebt, fünf Meisterschaften, und 2001 den Fans den Champions-League-Pokal entgegengereckt. Da sollte er es nun auch überstehen, dass ihm der Comedian Willy Astor zum Abschied ein Ständchen sang, eine Art Rolf-Zuckowski-Mitsing-Liedchen für Erwachsene. "Ottmar wir lieben dich/ Wir werden dich vermissen/Und die Runzeln deiner sorgenvollen Stirn" - da lächelte Hitzfeld sein typisches, zufriedenes, zurückhaltend-höfliches Hitzfeld-Lächeln, bei dem man sich bis heute vorstellt, dass gleich von irgendwo ein aufgeregt jubelnder Michael Henke ins Bild hüpft. 2008 hüpfte aber zunächst niemand, zu emotional das Ganze.
"Olli, wir lieben dich", sang Astor für den ebenfalls scheidenden Oliver Kahn. "Das werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen", antwortete der Titan und zog sich die Kappe ins Gesicht. Später hüpfte dann Lukas Podolski. Doch anstatt von Ottmar oder Olli, sang Poldi von Hennes, dem Kölner Geißbock. Feierbiest-Punkte: 5
Louis van Gaal (2010)

Es ist bis heute nicht bekannt, welche Profite den Produzenten alberner Fußballmützen an jenem Sonntag im Mai verloren gingen. Man stelle sich einmal vor, diesem Tand aus falschem Leder hätte die ungeteilte Aufmerksamkeit gegolten: Arjen Robben trug eine Mütze, Holger Badstuber auch, sogar Mario Gomez hatte sich damit die Frisur ruiniert. Womöglich würden sich Münchner heute wie selbstverständlich aufgeplatzte Lederbälle in allen Farben auf den Kopf setzen, mit Felleinsatz im Winter. Trends sind ja manchmal sehr eigen, wenn Fußballer sie setzen.
Doch nichts von alledem ist passiert, tags darauf sprach niemand über Mützen - sondern alle, mindestens auf der ganzen Welt, über Louis van Gaal. Der Trainer, über den Uli Hoeneß später sagen würde, er halte sich für den "Gott-Vater", benahm sich entsprechend. "Ich habe gesehen viele Frauen sind hier, so auch viele Mutti", brüllte er in feinstem Holländisch-Deutsch vom Balkon. Er versprach einen "dicken Kuss" von ihm, dem Meistertrainer. Die Spieler sahen ihn an wie ihren knallvollen Onkel, für den sie sich mal wieder schämen mussten. Doch das war erst der Anfang.
"Wir sind Meister", lallte van Gaal, "nicht nur von München, auch von Gelsenkirchen, von Bremen und auch in Hamburg, wir sind die Besten in Deutschland." Dann der Höhepunkt, mit weit aufgerissenen Augen und geballter Faust: "Und! Vielleicht! Üropas!" Im Anschluss hüpfte er apathisch, entblößte seine Waden auf dem Geländer, die Fans liebten ihn dafür. Doch wer wollte, der konnte im Gesicht von Karl-Heinz Rummenigge schon damals lesen, dass dieser Auftritt der Anfang vom Ende war. Die Bayern wurden noch nicht die Besten von "Üropa", sie verloren das Champions-League-Finale gegen Inter Mailand. Und nicht mal ein Jahr später war van Gaal entlassen. Feierbiest-Punkte: 10
Jupp Heynckes (zuletzt 2013)

"Juppjuppjupp". Klingt eingängiger als "Louislouislouis", als Üropa sowieso. Und dröhnte an diesem platzregnerischen Juni-Nachmittag vor vier Jahren nach oben auf den Balkon. Jupp Heynckes stand dort nach dem Triple-Erfolg, als höchstwahrscheinlich bestfrisierter Bayer. Echthaar, versteht sich. Kein Kunstleder auf dem Kopf. Hinter der Brüstung entpuppten sich Bastian Schweinsteiger und Manuel Neuer (wie alle im weißen Trainingsanzug) als Entertainer - neben Thomas Müller ("Stern des Südens") natürlich. Heynckes, 68, wurde nostalgisch, er erinnerte an 1990, als er "etwas großspurig" an selber Stelle den Europapokal versprochen habe. Heute wolle er das einlösen: "Hier ist der Champions-League-Pokal!" Jubel, nein: Ekstase. So tritt man ab. Bescheiden. Als Gentleman. Gladbach statt Madrid. Bauernhof statt Bernabeu. Schäferhund Cando statt Superstar Ronaldo. Heynckes wusste, was er tat. Er wäre ziemlich sicher nicht der bestfrisierte Madrilene geworden. Feierbiest-Punkte: 7
Pep Guardiola (2014, 2015, 2016)

Was haben sie denn erwartet von diesem 11. Mai 2014, nach Louis' Feierbiest-Sause und Jupps Triple-Traum? Balkon-Stierkampf? Pep Guardiola, wie er sich den Maßanzug vom Leib reißt und brüllt: "Triple oder nix"? Nein, der Spanier stand beinahe teilnahmslos in der Balkonecke herum. Lief ja eh nicht so gut für ihn: Bei seiner ersten Meisterschaft mit dem FC Bayern hat er die Schale auf den Rasen plumpsen lassen. Und die Champions League? Ach, egal. Auf dem Marienplatz sprach er dann staatstragend, frei nach John F. Kennedy: "Ich bin ein Münchner. Mia san Mia." Und überließ Rafinha (imitierte grandios Louis Armstrong) sowie Thomas Müller (imitierte grandios Thomas Müller) den Balkon. Immerhin gratulierte in Dieter Reiter den Bayern endlich mal wieder ein Münchner OB aus vollem Herzen. War ja nicht immer so.
Ein Jahre später standen Bayern-Männer und -Frauen ("Die sind doch nicht alle wegen uns hier?") erstmals gemeinsam auf dem Balkon. Es folgte die dritte Meisterschaft für Guardiola (schon wieder Double, gähn), die vierte in Serie für den Klub, ein Bundesliga-Novum. Und Pep? Kullerten zum Abschied gen Manchester Tränen übers Gesicht. Ob die Menschen in den vorderen Reihen nass wurden, ist nicht bekannt. Feierbiest-Punkte: 3
Carlo Ancelotti (2017)
Klar, dass er ein Genießer ist, das wusste man ja. Dass er gerne feiert. Dass er sich was traut. Dass er singt. Die Hymne von Real Madrid etwa sang er nach dem Gewinn der Champions League im Estádio Bernabeu, das muss man sich ja erst mal trauen, zumal Carlo Ancelotti sein Gesangstalent wohl realistisch einschätzt. Umso eindrucksvoller war sein Auftritt am Samstag.
Die Aufgabe beim ersten Mal auf dem Balkon war nicht leicht: genug feiern für die Folklore, aber nicht ausschweifen nach einem schnöden Meistertitel. Doch Ancelotti war vorbereitet, parierte den Überschwang des Moderators, der ihn mit Luciano Pavarotti vergleichen wollte. "Renato Zero", sagte Ancelotti, kein Grinsen im Gesicht. Und dann sang er Zeros "I migliori anni della nostra vita", "die besten Jahre unseres Lebens. "Stringimi forte che nessuna notte è infinita", "umarme mich fest, dass keine Nacht unendlich ist."
In seiner Interpretation, irgendwo zwischen Muezzin und Mallorca, fand Ancelotti tatsächlich so etwas wie eine Melodie. Dann sagte er höflich "Danke" und war fertig, mehr dann im nächsten besten Jahr seines Lebens. Als wäre das alles nur ein Vorgeschmack, als würde er nur proben. Später, im kleineren Kreis, sang er noch mal, diesmal ein Duett mit der Sängerin Anastacia. Ja, die Augenbraue, sie wippte tatsächlich. Feierbiest-Punkte: 8