Netzkonferenz re:publica : Wird die digitale Öffentlichkeit gelöscht?
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Den Überblick behalten: Das geht auf der re:publica nur mit Datenbrille. Bild: Andreas Pein
Die Zeit von Facebook und Google ist vorbei, sagt auf der re:publica der Medientheoretiker Geert Lovink. Und macht dann eine Rolle rückwärts. Doch es gibt noch mehr Überraschungen.
„Die Ära von Facebook und Google ist vorbei!“ Mit dieser Behauptung beginnt der Vortrag über die „Strategien für kritische Internetkultur“. Zum Ende muss der Referent, der Medientheoretiker Geert Lovink, aber doch noch präzisieren: „Aber die Ära des Plattformkapitalismus hat gerade erst begonnen.“
Lovinks Forderung ist nicht neu, sie wird aber gern vergessen: Ob die Mehrheit der Nutzer noch mit Daten bezahlt oder schon von selbstbestimmteren Technologien profitiert, so oder so ist es höchste Zeit, sich Gedanken über Alternativen zu machen. Die zurzeit vorherrschende Lehre setzt auf die Währung der Aufmerksamkeit - je krasser, desto besser. Das erkläre zwar, warum in sozialen Medien häufig asoziales Verhalten vorherrscht. Nur stecke hinter Hate Speech und erfundenen Nachrichten in den sozialen Medien ein gesellschaftliches Problem: der Rechtsruck.
Dieses Problem ist nach Lovinks Ansicht kaum über die Frage nach Repräsentation zu lösen; über das Hochranken von politisch korrekten Hashtags und das Ausblenden von rechtspopulistischen Inhalten. „Regulierung“, da ist sich der Niederländer sicher, „ist eine strategische Einbahnstraße“.
Alternativen sind machbar
Statt sich Hals über Kopf in den nächsten digitale Hype aus Silicon Valley zu stürzen, sollten wir selbst Hand anlegen, fordert der Medienwissenschaftler. Er macht es vor in Amsterdam, am Institute of Network Cultures, wo unter seiner Leitung Forscher und Aktivisten, Künstler und Aktivisten interdisziplinär darüber diskutieren, welche Strukturen uns langfristig von Corporate Interests abkoppeln. „Peer-to-Peer-Solutions“ nennt er die Projekte, die dabei in einem gut vernetzten drei-Mann-Büro mit angeschlossenem „Publishing Lab“ entstehen: „Mastodon“ etwa, eine Alternative zu Twitter; das Netzwerk „Society of Query“, über das die Kultur des Suchens analysiert wird oder die Plattform „Moneylab“, wo seit 2014 alternative Monetarisierungsmodelle entstehen.
Inwiefern solche Ideen noch eine Chance haben angesichts der jüngst in Kraft getretenen europäischen Datenschutz-Grundverordnung, ist offen. Denn mit dieser Regulierungsmaßnahme ist die Europäische Union auf dem besten Weg, ihre Bürger zu entmündigen - meint Christoph Kucklick. Sein Vortrag zur „digitalen Konterrevolution“ ist als „Shoutout“, als Aufruf gemeint: zu mehr Selbstzivilisierung im digitalen Miteinander, ordentlicher Bürgerbefähigung im Netz und mehr Lernbereitschaft. Denn, so Kucklick, „die Teillöschung der digitalen Öffentlichkeit hat begonnen.“
Dass das kein Unkenruf ist, macht der Chefredakteur des „Geo“-Magazins an den Folgen der Grundverordnung fest. Die darin festgeschriebenen Pflichten gelten nämlich nicht nur für Firmen, die im Fall des Verstoßes von 290 Millionen Euro (Szenario Telekom) bis 540 Millionen Euro (Szenario Amazon) Strafe zahlen müssten. Sondern für jeden, der mit personenbezogenen Daten umgeht. Also quasi für jeden, der in sozialen Netzwerken kommuniziert.
Um Erlaubnis bitten für jeden Retweet?
Was das konkret für die Nutzer bedeute? Im Fall von Twitter zum Beispiel, dass man vor jeder Erwähnung eines anderen Nutzers, vor jedem Retweet und jeder Verlinkung um Erlaubnis bitten muss. Wer dieser Pflicht nicht nachkomme, müsse mit der Aufforderung rechnen, den entsprechenden Inhalt zu löschen. Selbst Recherchen könnten betroffen sein: Im Lichte solcher Datenschutzmaßnahmen wirkt selbst eine so unschuldig anmutende Google-Suchanfragen wie „Jogi + Löw + Schnupfen“ juristisch fragwürdig. Neben der Erlaubniserfragerei bringe die Grundverordnung Auskunfts- und Informationspflichten mit; Kontaktdaten müssten angehängt, Drittstaatenregelungen beachtet werden - und dabei will man vielleicht nur einen eben gelesenen Witz teilen!
Schlimmer als den somit erschwerten Austausch auf digitalen Plattformen findet Kucklick, dass der Grundgedanke des Datenschutzes auf die Meinungsfreiheit angewandt wird. Dabei handelt es sich nämlich um einen konzeptuellen Widerspruch; ein Gesetz, dass Unternehmen in die Mangel nehmen will, darf nicht auch für Privatpersonen gelten. Ausnahmen müssten her. So, wie die Verordnung jetzt formuliert sei, profitierten davon letztendlich Amtsinhaber repressiver Regime. Orbán in Ungarn werde es begrüßen, in die Kommunikation seiner Bürger eingreifen zu dürfen, mutmaßt der Referent.