Die AKP fügt sich Erdogan

Nach der Wahl von Binali Yildirim zum AKP-Chef verschiebt sich das Machtzentrum weiter zum Staatspräsidenten. Innerparteiliche Skeptiker verstummen.

Marco Kauffmann Bossart, Istanbul
Drucken
Binali Yildirim (zweiter von links) empfahl sich für das Amt des Parteichefs als devoter Gefolgsmann Erdogans. (Bild: Riza Ozel / EPA)

Binali Yildirim (zweiter von links) empfahl sich für das Amt des Parteichefs als devoter Gefolgsmann Erdogans. (Bild: Riza Ozel / EPA)

Die türkische Regierungspartei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) hat den bisherigen Transportminister Binali Yildirim wie erwartet zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Der eher farblose, aber zielstrebige Technokrat löst Ahmet Davutoglu ab. Nach Differenzen mit Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war dieser vor zwei Wochen zum Rücktritt gedrängt worden. Yildirim erhielt am Sonderparteitag in Ankara 96 Prozent der Delegiertenstimmen. Er rückt automatisch als Ministerpräsident nach. Andere Kandidaten gab es nicht.

«Totale Harmonie»

Yildirim empfahl sich als devoter Gefolgsmann Erdogans für das Amt. Nach seiner Nominierung gelobte er, in «totaler Harmonie» mit der Partei und ihrem Gründungspräsidenten, Recep Tayyip Erdogan, zusammenzuarbeiten. Mit derselben Effizienz, wie Yildirim bis anhin Schnellbahn- und Autobahnnetze vorantrieb, wird er fortan wohl den Umbau der Verfassung angehen: von einer parlamentarischen Demokratie in ein Präsidialsystem, wie es Erdogan fordert. «Seid ihr bereit für das neue System?», rief Yildirim den Parteidelegierten zu und erntete damit begeisterten Applaus.

Im Unterschied zu seinen Vorgängern bestimmt Erdogan, der von 2003 bis 2014 als Regierungschef amtierte, als Staatspräsident weiterhin die türkische Politik. Die von ihm geschaffene Realität soll jetzt im Grundgesetz verankert werden. Auf Erdogans Machtbedürfnisse zugeschnitten ist zudem ein Paragraf, der es dem Staatsoberhaupt erlauben würde, die Verbindungen zu seiner Partei aufrechtzuerhalten. AKP-Hardliner hatten Davutoglu bezichtigt, die Verfassungsrevision trotz rhetorischen Loyalitätsbezeugungen nur halbherzig mitzutragen. Er wurde deshalb von strammen Erdogan-Anhängern als Verräter gebrandmarkt. Zudem missfiel dem «Chef» offenbar, dass Davutoglu in den Verhandlungen mit der EU über ein Flüchtlingsabkommen nicht jeden Schritt mit dem Palast abstimmte – wozu er als Ministerpräsident auch nicht verpflichtet war. Davutoglu reiht sich in die Ahnengalerie von AKP-Grössen ein, welche die islamisch-konservative Partei behandelt, als wären sie vom Glauben abgefallen. Abdullah Gül, bis 2014 Staatschef und ebenfalls ein Gründungsvater der AKP, wurde es damals verunmöglicht, als Parteichef zu kandidieren. Der Weggefährte Erdogans wurde diesem offenkundig zu eigenständig. Auf die schwarze Liste geriet überdies der einstige Parlaments- und stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc. Nicht sein Hang zu sexistischen Äusserungen wurde ihm zum Verhängnis, sondern seine mangelnde Unterwürfigkeit. In der «Neuen Türkei», wie sie Erdogan vorschwebt, soll primär der Staatschef die Exekutivgewalt ausüben. Der Ministerpräsident wäre in erster Linie ein Administrator. Womöglich würde die Funktion ganz obsolet. Noch fehlt der AKP indes eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, die sie für eine Verfassungsrevision benötigt. Doch bot sich der Präsident der rechtsnationalistischen MHP, Devlet Bahceli, indirekt als Mehrheitsbeschaffer an.

Unbehagen Merkels

In diesem Zusammenhang ist auch die am Freitag beschlossene Aufhebung der Immunität von einem Viertel der Parlamentarier zu betrachten: Sie zielt darauf ab, die prokurdische HDP-Partei loszuwerden. Bei Nachwahlen rechnen die Strategen der AKP offenkundig mit Sitzgewinnen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in einem Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung», die Aufhebung der Immunität sei mit schwerwiegenden Folgen verbunden, gerade für kurdische Politiker. Das erfülle sie mit grosser Sorge. Auch bei den Verhandlungen für das EU-Türkei-Abkommen spreche man immer auch über Fragen der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit. Merkel trifft den türkischen Staatspräsidenten am Rande des Humanitären Gipfels der Uno in Istanbul.

Yildirim schlug am Sonntag einen forschen Ton gegenüber den Europäern an. Die Türkei könne Demokratie und Menschenrechte mit oder ohne Brüssel voranbringen. Es liege an der EU, die «Konfusion» bezüglich der türkischen Vollmitgliedschaft zu beenden. Er wolle wissen, was die Union von der Türkei denke. Mancher Verhandlungspartner dürfte sich den hartnäckigen, aber diplomatisch versierten Davutoglu zurückwünschen.