Calmy-Rey vermisst beim Bundesrat Führungsstärke

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EuropapolitikCalmy-Rey vermisst beim Bundesrat Führungsstärke

Die EU will das Rahmenabkommen mit der Schweiz bald unter Dach und Fach bringen. Alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey bremst – und kritisiert den Bundesrat.

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Spätestens seit dem Besuch von Bundespräsidentin Doris Leuthard in Brüssel von vergangener Woche herrscht Tauwetter zwischen der Schweiz und der EU. So wird über alle bestehenden Dossiers wieder verhandelt. EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sagte, es sei das Ziel, die Verhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen bis Ende Jahr abzuschliessen.

Nun schaltet sich Alt-Bundesrätin Micheline Calmy-Rey (SP) in die Diskussion ein. Sie warnt vor einem Schnellschuss: «Ich war immer der Ansicht, dass wir ein Rahmenabkommen nicht schnell abschliessen müssen», sagt sie zur «NZZ am Sonntag».

«Abschreckung gegen die Briten»

Dies gilt laut der Ex-Aussenministerin umso mehr, da in der EU viel in Bewegung sei: «Kommissionspräsident Juncker hat ein Weissbuch zur Weiterentwicklung der Union präsentiert. Zudem stehen die Verhandlungen über den Brexit kurz bevor. Da scheint es mir nicht dringend, dass die Schweiz vorprescht.»

Die Genferin betont, dass die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen Einfluss auf die Verhandlungen hätten. Für die EU müsste ein Abkommen mit der Schweiz den Briten signalisieren, «dass der Preis für den Marktzugang hoch ist», analysiert Calmy-Rey. «Die Schweiz diente in diesem Fall der EU nur zur Abschreckung gegen die Briten.»

Statt die Verhandlungen mit der EU zu forcieren, solle die Schweiz die Zeit nutzen, um eine innenpolitisch breit abgestützte Strategie zu entwickeln. Eine solche Strategie vermisst Calmy-Rey derzeit. Sie sei aber nötig, damit Unterhändler des Bundes für einmal nach Brüssel reisen könnten «und dort erklären, was wir wollen – und nicht immer umgekehrt».

Calmy-Rey erwartet mehr Leadership vom Bundesrat

In der Pflicht sieht die ehemalige SP-Bundesrätin ihre Nachfolger in der Landesregierung: Es brauche «vom Bundesrat mehr Leadership als heute», wolle man in der schweizerischen Europapolitik einen gewissen Konsens erzielen. Das Volk müsse wieder wissen, was der Bundesrat will. «Nur so lassen sich später auch Abstimmungen gewinnen.»

Auch dem Tauwetter zwischen der Schweiz und Brüssel traut Calmy-Rey nicht: Zwar sei es positiv, dass die Aktualisierung bestehender Verträge deblockiert worden sei, besonders jene für das Abkommen über die technischen Handelshemmnisse. Aber: «Bedeutet das, dass die Aktualisierung der bestehenden Bilateralen nun vom Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens abhängig gemacht werden?», fragt sich Calmy-Rey. Wäre dies der Fall, hätte Leuthard aus der Sicht Calmy-Reys nicht viel gewonnen.

Burkhalter steht im Regen

Aussenminister Didier Burkhalter soll auf einen baldigen Abschluss des institutionellen Rahmenabkommens hinarbeiten. In den letzten Wochen hatten sich jedoch bereits zahlreiche Parteien und Parlamentarier dafür ausgesprochen, bei diesen Verhandlungen nichts zu überstürzen.

So sagte FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann zu 20 Minuten: «Die EU drängt nun auf eine rasche Einigung mit der Schweiz, um gegenüber Grossbritannien Fakten zu schaffen.» Die Zeit spiele aber für die Schweiz. «Die Lösung, wie sie sich abzeichnet, geht zu weit. Seit Beginn der Verhandlungen hat sich die Welt in der EU gewandelt.»

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