Wie Politiker, Konzerne, Prominente und Kriminelle auf der ganzen Welt Steueroasen nutzen, um ihr tatsächliches Vermögen zu verschleiern, zeigt die neue Datenrecherche "Paradise Papers", an der unter anderem die Süddeutsche Zeitung, NDR, WDR und die New York Times beteiligt waren. Zusammen mit dem Internationalen Netzwerk investigativer Journalisten (ICIJ) veröffentlichten die Medien am Sonntagabend ihre Recherche. In den Dokumenten finden sich neben Firmen wie Nike und Apple mehr als 120 Politiker aus beinahe 50 Ländern.  

Heikel ist die Rolle von US-Handelsminister Wilbur Ross. Er profitiere als Privatmann von Geschäften mit einer Firma, die dem Schwiegersohn des russischen Präsidenten Wladimir Putin und Kreml-nahen Geschäftsleuten gehöre, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Konkret geht es demnach um eine Beteiligung von Ross an einer Reederei, zu deren Großkunden der russische Energiekonzern Sibur gehöre. Diese hätten seit 2014 Geschäfte im Wert von mehr als 68 Millionen Dollar abgewickelt. Allerdings bleibe unklar, wie stark Ross hier aktuell engagiert sei. Es ist bekannt, dass der Milliardär große Investments im Schifffahrtsbereich hat. Auch bei seinem Bestätigungsverfahren wurde er bereits zu seinen Aktivitäten in Offshore-Firmen befragt.

Apple, Twitter, Nike - und die Queen

Auch die US-Konzerne Apple, Nike, Facebook und Twitter tauchen in der Datenauswertung auf. Der russische Investor Juri Milner soll laut Süddeutscher Zeitung bei seinem Einstieg in Twitter und Facebook vor einigen Jahren offenbar mit Hunderten Millionen Dollar aus dem Kreml ausgestattet worden sein. Sein Kauf von Twitteraktien wurde demnach von der russischen Staatsbank VTB mitfinanziert, das Investment bei Facebook von der Gazprom Investholding. Beides wäre politisch pikant, schließlich wird beiden Firmen vorgeworfen, sich während des US-Wahlkampfes nicht ausreichend gegen russische Einflussnahme gewehrt zu haben.

Das Material belastet indirekt auch Spitzenpolitiker wie den kanadischen Premier Justin Trudeau. Sein enger Berater Stephen Bronfman soll zusammen mit seinem Vater mindestens 34 Millionen US-Dollar an eine Treuhand auf den Kaimaninseln übertragen haben. Außerdem sei Bronfmans Investmentfirma Claridge zumindest zeitweise in die Betreuung des Trust-Vermögens verwickelt. Dokumente würden laut SZ sogar vermuten lassen, dass womöglich Steuern hinterzogen wurden.

Selbst die britische Königin taucht in den Dokumenten auf. Die Vermögensverwalter von Queen Elizabeth II. investierten demnach über eine Firma in einer Steueroase in ein Unternehmen, das Haushaltsgüter auf Raten verkauft - bei Zinssätzen von bis zu 99,9 Prozent. Auf Anfrage der SZ erklärten Beamte, den Vermögensverwaltern sei "nicht bewusst" gewesen, über einen Fonds auf den Kaimaninseln an der umstrittenen Firma beteiligt gewesen zu sein. Die SZ schreibt selbst, dass die Investments nicht illegal seien, aber zumindest "peinlich" für die Queen.

Auch Gerhard Schröder taucht auf

In den "Paradise Papers" sollen auch verschiedene deutsche Firmen auftauchen, darunter Sixt, die Deutsche Post, die Hotelkette Meininger, Siemens, Allianz, Bayer und die Deutsche Bank. Außerdem soll es Verbindungen zu rund tausend deutschen Personen geben: zu Milliardären, Unternehmern, Erben - und zum früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er war 2009 sogenannter "unabhängiger Aufsichtsrat" des russisch-britischen Energieunternehmens TNK-BP.

Das Joint Venture zwischen der britischen BP- und der russischen Alfa-Gruppe hat seinen Sitz wie viele Öl-Joint-Ventures auf den Britischen Jungferninseln. Die Informationen hierzu sind öffentlich zugänglich. Im Rahmen ihrer Funktion bei TNK-BP benötigten Schröder und zwei weitere Aufsichtsräte laut der Zeitung den Rat der Kanzlei Appleby - "wegen bestimmter prozeduraler Firmenangelegenheiten unter dem Recht der Britischen Jungferninseln", wie es demnach in der E-Mail eines Londoner Anwalts im Oktober 2011 hieß.

Aufgrund eines Konflikts mit einem anderen Mandanten erteilte Appleby laut Süddeutscher Zeitung den Rat jedoch nicht. Wenig später, im Dezember 2011, trat Schröder - der sich der Zeitung zufolge dazu nicht äußern will - von dem Posten zurück. 2013 wurde TNK-BP von dem russischen Öl-Riesen Rosneft übernommen, wo Schröder vor wenigen Wochen zum Aufsichtsratschef ernannt wurde.

Hinweise auf Straftaten der Unternehmen und Politiker hat die Süddeutsche Zeitung bislang nicht veröffentlicht. Die Aktivitäten und Investments scheinen in der Regel nicht illegal gewesen zu sein, zeigen aber die zahlreichen möglichen Schlupflöcher, die Personen und Firmen bei der Verschleierung ihrer tatsächlichen Vermögensverhältnisse nutzen können.

Der grüne Finanzpolitiker und EU-Parlamentsabgeordnete Sven Giegold nutzte die Veröffentlichung der Dokumente, um die Aufmerksamkeit auf Großbritannien zu lenken, das noch immer Steueroasen in seinen Überseegebieten wie etwa den Jungferninseln unterstütze. "Man braucht schon besonders viel britischen Humor, um zu verstehen, dass Karibikinseln mit einem Unternehmenssteuersatz von Null Prozent laut EU-Definition keine Steueroasen sein sollen", so Giegold. Die EU müsse die Brexit-Verhandlungen nutzen, um die britischen Steueroasen zu schließen.

Das internationale Netzwerk für Steuergerechtigkeit TJN kritisierte anlässlich der "Paradise Papers", dass es den Regierungen weltweit noch immer nicht gelungen sei, die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung zu beenden. Jährlich würden Regierungen weltweit geschätzt rund 500 Milliarden US-Dollar Steuereinnahmen entgehen, weil Firmen ihre Gewinne mit Hilfe von Steueroasen verschleierten. Hinzu kämen entgangene Steuern von Privatpersonen in Höhe von 200 Milliarden US-Dollar.

Fortsetzung der "Panama Papers"

Die "Paradise Papers" sind die Fortsetzung des Datenleaks "Panama Papers", das im vergangenen Jahr weltweit für Aufsehen sorgte. Das Journalistennetzwerk hatte damals ihnen zugespielte Daten des Offshore-Diensleisters Mossack Fonseca aus Panama ausgewertet und die umfassenden Aktivitäten von Politikern, Firmen und Prominenten in Steueroasen öffentlich gemacht. Die Publikation hatte die Debatte um Steuerhinterziehung weltweit angefacht.

An der Auswertung der "Paradise Papers" waren insgesamt 382 Journalisten aus 67 Ländern beteiligt. Gemeinsam werteten sie 13,4 Millionen Dokumente der auf den Bermudas gegründeten Kanlzei Appleby und einer Treuhandfirma in Singapur aus. Allein der Süddeutschen Zeitung wurden demnach von Appleby fast sieben Millionen Dokumente zugespielt.