"Ein crazy, abgefahrenes Leben" – Seite 1

Florian Sump war Ende der neunziger Jahre als Schlagzeuger der Popband Echt ein Teenie-Idol, danach arbeitete er als Wurstverkäufer, Videothekar und Erzieher. Heute tourt der 35-Jährige wieder mit einer Band durch Deutschland. Die heißt "Deine Freunde" und spielt nur am Wochenende Konzerte. Unter der Woche müssen ihre Fans in die Schule.

DIE ZEIT: Herr Sump, können Sie eigentlich mit Geld umgehen?

Florian Sump: Mittlerweile ... besser. Ich hatte lange Zeit Angst davor. Ich habe das erst durch meine Frau gelernt.

ZEIT: Wovor hatten Sie Angst: Geld zu besitzen oder keines zu besitzen?

Sump: Ich habe beides erlebt. Mit dem ersten Geld, das wir mit Echt verdient haben, mussten Schulden abbezahlt werden. Später änderte sich das. Da landete eine gesammelte Gema-Abrechnung auf meinem Konto, auch für die Songs, deren Texte ich geschrieben hatte. 60.000 Mark auf einen Schlag. Das klingt jetzt naiv, aber ich hatte eine Zeit lang so viel Geld, dass ich dachte, ich müsste vielleicht nie wieder arbeiten.

ZEIT: Als Boyband konnte man in Deutschland also richtig Geld verdienen?

Sump: Ja! Unsere beste Zeit war 1999 bis 2001. Da herrschte noch eine Goldgräberstimmung in der Branche. Wir hatten ein geiles Leben ...

Dieser Artikel stammt aus dem Hamburg-Teil der ZEIT Nr. 4 vom 19.1.2017. Sie finden diese Seiten jede Woche auch in der digitalen ZEIT.

ZEIT: Erzählen Sie mal.

Sump: Das Touren war wie eine Klassenfahrt ohne Lehrer. Unser ganzes Geld ging für Videos, Hotels, Reisen drauf. Wir hatten einen schönen Tourbus, waren immer in guten Restaurants – lauter Sachen, für die man gar nicht lange dankbar ist, weil sie schnell Standard werden. Einmal habe ich einen Reisebus inklusive Fahrer in das Dorf kommen lassen, in dem ich aufgewachsen bin, und bin mit 20 Freunden in die Niederlande gefahren.

ZEIT: Mit Freunden in die Niederlande – um das Land kennenzulernen wahrscheinlich, oder?

Sump: Ja, ja, wir haben viel gekifft. Aber wir sind auch schwimmen gegangen, haben sehr guten Kuchen gegessen. Das war der einzige Spaß, den ich mir von den Band-Einnahmen direkt gegönnt habe. Ansonsten habe ich falsch investiert.

ZEIT: Wie das?

Sump: Nach dem Motto "Lass das Geld nicht liegen, lass es für dich arbeiten" habe ich mich dazu hinreißen lassen, in Anlagen zu investieren, die mir die Bank empfohlen hatte. Langfristig angelegt, langfristig verloren.

ZEIT: 2002 hat sich die Band getrennt. Warum noch mal?

Sump: Das letzte halbe Jahr waren wir ziemlich abgefuckt unterwegs, gelangweilt von allem. Wir hatten keinen Spaß mehr, es war einfach vorbei. Wir hatten ja schon mit elf Jahren angefangen, zusammen Musik zu machen.

ZEIT: Alle Bandmitglieder haben für Echt die Schule geschmissen. Haben Sie das jemals bereut?

Sump: Ja. Vor allem nach dem Ende der Band. Ich war orientierungslos. Ich hatte nichts auf Tasche, musste ganz von vorn anfangen. Ich habe überlegt, noch eine Ausbildung zu machen, aber das war ziemlich schwer, weil ich nur einen Realschulabschluss hatte. Ich bin damals ständig dem Geld hinterhergerannt, irgendwann hat dann auch noch der Gerichtsvollzieher angeklopft.

ZEIT: Wie kam es dazu?

Sump: In der Zeit von Echt hatten wir Steuerberater – keine guten, wie sich später rausstellte. Als wir aufhörten, stand jeder allein da. Da kamen plötzlich Steuerforderungen zu einer Zeit, als wir schon lange keine Musik mehr gemacht haben. 12.000 Euro, die ich unmöglich bezahlen konnte.

ZEIT: Warum nicht?

Sump: Mein Geld war ja angelegt, da kam ich nicht ran. Mein Zivildienstgehalt war minimal, da war kein Euro, den man hätte zur Seite legen können. Und plötzlich rief mich meine Mitbewohnerin an, der Gerichtsvollzieher stehe vor der Tür. Zum Glück konnte ich das klären.

Komplett unhassbar

ZEIT: Hatten Sie gar keinen Plan, wie Sie nach Echt Geld verdienen?

Sump: Gar nicht. Ich wusste nur, dass ich nicht mehr Teil der Musikbranchenwelt sein wollte, mit rotem Teppich, Gala, Partys. Ich wollte Sachen machen, die sich echter anfühlen. Deshalb habe ich Wurst verkauft, Werbe-Jingles produziert und für 5,50 Euro die Stunde in der Videothek gearbeitet. Bis heute ertappe ich mich dabei, dass ich umrechne, wie viele Stunden ich für einen bestimmten Betrag in der Videothek hätte stehen müssen.

ZEIT: Als "Jim Pansen" haben Sie in dieser Zeit Lieder über Pizza und Alkohol geschrieben.

Sump: Und übers Kiffen. Das darf man aber nicht zu ernst nehmen. Es macht mir Spaß, wenn ich in meiner Musik Sachen erzähle, die anderen unangenehm sind.

ZEIT: Wie kam es, dass Sie schließlich in einer Kita arbeiteten?

Sump: Ich hatte meinen Zivi dort gemacht, habe danach immer mal wieder ausgeholfen. Irgendwann kannten mich alle, ich kannte alle, wir haben uns vertraut. Und ich wurde angestellt.

ZEIT: Spielte da auch die Sicherheit eines festen Jobs eine Rolle?

Sump: Es ist ein geringes, aber regelmäßiges Einkommen, das von keiner Branche abhängig ist. Die Videothek, in der ich gejobbt hatte, hat inzwischen ja auch zugemacht. Aber man muss auch sagen: Meine Kollegen, die Vollzeit in der Kita arbeiten, haben einen echten Knochenjob und sind komplett unterbezahlt.

ZEIT: Sie arbeiten immer noch in der Kita.

Sump: Mittlerweile nur noch einmal die Woche, wenn unsere Tour vorbei ist, werden es wieder zwei Tage. Momentan bin ich wahnsinnig zufrieden. Beruf, Musik, Familie – alles ist toll.

ZEIT: Mit der Band Deine Freunde machen Sie Kindermusik, die auch Eltern gut finden. Wann wurde Ihnen klar, dass das eine Marktlücke ist?

Sump: Wir haben das anfangs gar nicht so marktanalytisch angeguckt. Aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht von Anfang an das Gefühl hatte, dass es dafür ein Publikum gibt. Ich wusste durch meine Arbeit in der Kita, was es in dem Bereich schon gibt, nämlich wenig Gutes. Für mich war es in erster Linie die Möglichkeit, Musik wieder zu etwas zu machen, das mein Lebensmittelpunkt und Verdienst ist.

ZEIT: Über die Musik von Deine Freunde sagten Sie mal: Was wir machen, ist komplett unhassbar.

Sump: Mutig, oder? Niemand, der zu unseren Konzerten kommt, kann da stehen, ohne dass ihm das Herz aufgeht. Nicht weil wir so eine supergeile Bühnenshow machen – die wir natürlich auch machen –, aber was mit den Kindern in dem Moment passiert, konnten wir vorher nicht einkalkulieren. Sie gehen bei den Konzerten so ab, können alle Texte auswendig.

ZEIT: Werfen diesmal Mütter ihre BHs auf die Bühne?

Sump: Nee, so weit ist es noch nicht. Während der Show ist Rock ’n’ Roll angesagt, danach sind alle ganz lieb und höflich. Die Kids gucken uns zwar mit großen Augen an, aber sie gehen ganz entspannt auf uns zu.

ZEIT: Anders als die Teenie-Fans früher.

Sump: Ja, voll. Wir spielen mittlerweile vor 1800 Leuten. Aber wenn wir danach zu ihnen ins Publikum gehen, ist es immer angenehm. Wir haben jetzt aber auch vorne einen abgetrennten Bereich, in den nur die Kinder dürfen.

ZEIT: Warum?

Sump: Einige Eltern waren einfach zu rücksichtslos. Die haben ihre Kinder auf die Schultern genommen, da konnte keiner dahinter mehr auf die Bühne gucken.

ZEIT: Können Sie mittlerweile wieder von der Musik leben?

Sump: Wir sind auf dem Weg dahin. Es ist noch nicht so, dass ich jeden Monat etwas zur Seite legen könnte. Aber so, dass wir für unsere Ansprüche gut leben können. Aber ich werde den Job in der Kita so lange wie möglich weitermachen. Es ist ein Ausgleich, es ist gut, etwas Geerdeteres zu haben als dieses crazy Tourleben.

ZEIT: Was ist denn daran crazy, wenn man als 35-Jähriger mit einer Band für Kindermusik durch Deutschland fährt?

Sump: Klar läuft das jetzt in geregelteren Bahnen als früher. Es ist trotzdem ein crazy, abgefahrenes Leben. Da kommt ja nie Routine rein.

ZEIT: Sie haben es immer geschafft, mit Dingen Geld zu verdienen, die Ihnen Spaß machen. Wissen Sie das wertzuschätzen?

Sump: Immer. Der Mensch arbeitet im Schnitt acht Stunden am Tag, das ist fast ein Drittel des Lebens. Diese Zeit mit etwas zu verbringen, das keinen Spaß macht, wäre eine echte Sünde. Es ist ein Luxus, für den ich sehr dankbar bin. Ich habe daran geglaubt, ich habe dafür gekämpft und auch mal Scheiße gefressen. Und es hat sich immer gelohnt.