"Trump muss sich erst mal informieren" – Seite 1

Henry Kissinger, 93, empfängt in seinem New Yorker Büro an der Park Avenue. 26. Stock, Blick über Manhattan, auf Regalen und Fenstersimsen stehen dicht gedrängt Fotos, alle schwarz gerahmt, Kissinger mit Obama, Kissinger mit Bush, mit Clinton, Johannes Rau, Nelson Mandela, John Kerry, Frank-Walter Steinmeier. Die Mächtigen der Welt – seit Kissinger nicht mehr selbst Politik macht, suchen sie seinen Rat. Der ehemalige Außenminister gilt noch immer als einer der gewieftesten Außenpolitiker überhaupt, als so etwas wie das außenpolitische Gedächtnis der jüngeren amerikanischen Geschichte. Auch Donald Trump will davon anscheinend profitieren. Vergangene Woche trafen sich die beiden zu einem Gespräch im Trump Tower, keine zehn Gehminuten von Kissingers Büro entfernt.

ZEIT ONLINE: Herr Dr. Kissinger, Sie haben vergangene Woche Donald Trump getroffen. Worüber haben Sie gesprochen?

Henry Kissinger: Ich habe mich über Gespräche mit Präsidenten nie im Detail geäußert. Das mache ich auch jetzt nicht. Was ich sagen kann: Wir haben umfassend über internationale Politik diskutiert.

ZEIT ONLINE: Viele Republikaner haben sich von Trump abgewendet. Sie wollen ihm helfen?

Kissinger: Wenn Donald Trump mir Fragen stellt und ich habe etwas zu sagen, dann antworte ich. Zumindest solange ich das Gefühl habe, damit Gutes zu bewirken. Ich werde keinen Titel und keine Position annehmen.

ZEIT ONLINE: Wen haben Sie gewählt?

Kissinger: Warum sollte ich Ihnen das sagen? Obwohl Hillary Clinton eine persönliche Bekannte von mir ist, war ich über keinen der beiden Kandidaten enthusiastisch.

ZEIT ONLINE: Wie gefällt Ihnen das Ergebnis?

Kissinger: Wir haben ein Ergebnis und jetzt sollten wir das Beste daraus machen. Natürlich auf Basis der Werte, an die wir glauben.

ZEIT ONLINE: Sie klingen sehr vorsichtig. Viele Menschen haben Angst.

Kissinger: Die Angst um die körperliche Sicherheit halte ich für unangebracht. Aber natürlich müssen wir besorgt sein um die Zukunft unseres Landes und die der westlichen Welt. Wir in Amerika müssen verstehen, dass du nicht auf Dauer die sozialen Werte der Mittelschicht beleidigen kannst, ohne irgendwann dafür bestraft zu werden. Niemand weiß das besser als Deutschland.

ZEIT ONLINE: Ist die amerikanische Demokratie stabiler als die Weimarer?

Kissinger: Trump hat etwas Historisches geschafft. Er hat das amerikanische System durchgeschüttelt. Wenn so viele Menschen gegensätzlich zu dem wählen, was fast alle Medien empfehlen, unter ihnen viele führende Republikaner, dann ist das sehr ungewöhnlich. Eine Demokratie kann nicht funktionieren, wenn nicht alle Seiten ihrem politischen Gegner wenigstens gute Motive unterstellen. Wenn es nur noch darum geht, die andere Seite zu zerstören, zu erniedrigen, sich über sie lustig zu machen, dann ist die Demokratie gescheitert. Man braucht einen Konsens darüber, wie man miteinander spricht.

ZEIT ONLINE: Im Moment ist dieses Land weit weg von so einem Konsens.

Kissinger: Ja.

ZEIT ONLINE: Wie kann man ihn herstellen?

Kissinger: Die Führer müssen miteinander über mehr Zurückhaltung reden – und zwar ernsthaft.

ZEIT ONLINE: Der Außenpolitiker Eliot Cohen twitterte vor einigen Tagen: "Nachdem ich mit dem Trump-Übergangsteam gesprochen habe, habe ich meine Meinung geändert. Haltet euch fern. Die sind sauer, arrogant, schreien: Ihr habt verloren! Es wird hässlich werden." Wenn das schon ein Republikaner sagt, wie soll da ein Dialog mit Demokraten, mit dem Establishment möglich sein?

Kissinger: Man wird Probleme nur lösen, wenn man miteinander redet.

ZEIT ONLINE: In manchen Streitfragen lassen sich schwer Kompromisse vorstellen, vor allem bei Themen wie Abtreibung, Homo-Ehe, Krankenversicherung.

Kissinger: Ich sage ja nicht, dass man sich immer in der Mitte treffen muss.

Welche Konflikte können die USA allein lösen?

ZEIT ONLINE: Wir wollen mit Ihnen über Außenpolitik sprechen. Viele Europäer haben Angst vor einer neuen Autokratenachse Trump-Putin.

Kissinger: Ich glaube nicht, dass es zwischen den beiden eine strategische Verbindung gibt. Ich denke, Folgendes ist passiert: Putin hat Trump gelobt und der hat sich auf seine Art bedankt. Man sollte sich da nicht in Hysterie hineinreden, sondern Trumps Russlandpolitik abwarten. Der Wahlkampf ist vorbei.

ZEIT ONLINE: Derzeit scheint niemand Trumps außenpolitische Agenda zu kennen. Können Sie uns weiterhelfen?

Kissinger: Nein, ich nehme an, dass er die ersten sechs Monate brauchen wird, um die Probleme zu begreifen und Beziehungen zu den anderen Führern der Welt aufzubauen. Trumps Regierung muss drei Fragen beantworten: Welche Probleme sind so wichtig, dass Amerika sie lösen muss, zur Not allein? Welche Probleme sind von so universeller Bedeutung, dass Amerika sie nur mit seinen Verbündeten lösen kann? Und von welchen Problemen halten wir uns fern? Wir können nicht alles lösen. Das ist für Amerika eine neue Erfahrung.

ZEIT ONLINE: Zu welcher der drei Kategorien gehört Syrien?

Kissinger: Das ungelöste Problem in Syrien ist die Frage, wie man in einer multiethnischen und multireligiösen Gesellschaft, die kein Nationalbewusstsein kennt, eine legitime Staatsstruktur schaffen kann. Mit "legitim" meine ich einen Staat, den genug Menschen unterstützen und den nicht genug Menschen mit Gewalt einreißen wollen.

ZEIT ONLINE: Nicht notwendigerweise eine Demokratie.

Kissinger: Aber auch nicht unbedingt eine Diktatur.

ZEIT ONLINE: Zu welcher Kategorie gehört also Syrien?

Kissinger: Amerika kann den Konflikt nicht allein lösen.

ZEIT ONLINE: Trump hat gesagt, er will die Terrormiliz "Islamischer Staat" in Grund und Boden bomben. Er hat auch angekündigt, isolationistischer sein zu wollen. Außerdem unterstützt er Putin, den wichtigsten Verbündeten der syrischen Regierung. Deren Machthaber Baschar al-Assad dürfte sich über Trumps Präsidentschaft freuen wie wenig andere.

Kissinger: Wahlkampf ist nicht Regieren. Sie haben korrekt beschrieben, welche Tendenzen man in das hineinlesen könnte, was Trump im Wahlkampf sagte. Ich halte das für nutzlos. Was soll das heißen: den IS in Grund und Boden bomben? Ich denke Trump muss sich erst mal informieren, erst über die Details, dann über die Strategie. Aber wir sollten ihm Zeit dafür geben.

ZEIT ONLINE: Das könnte eine Weile dauern.

Kissinger: Er hat schon angefangen. Jeder Botschafter in Washington will jetzt einen Termin mit Trump, viele Staatsführer sowieso. Ich hoffe, dass er die wichtigsten treffen kann, bevor er von irgendeinem Ereignis zum Handeln gezwungen wird. Die Außenpolitik war in den vergangenen neun Monaten in einem Schwebezustand. Wichtige Entscheidungen wurden wegen der amerikanischen Präsidentschaftswahl vertagt. Spätestens ab dem Frühjahr wird sich die internationale Politik beschleunigen. Die Führer der Welt haben nur die Wahl, diese Entwicklung zu lenken oder das Chaos wachsen zu lassen.

ZEIT ONLINE: Könnten die russisch-amerikanischen Beziehungen, bisher eine große Konfliktlinie internationaler Politik, unter Trump und Putin freundlicher werden, vielleicht sogar kooperativ?

Kissinger: Ich mag es nicht, Außenpolitik mit Begriffen aus der Psychiatrie zu beschreiben. Am Ende spielt Freundschaft keine Rolle. Als Außenpolitiker handelst du im nationalen Interesse.

ZEIT ONLINE: Aber hat nicht Trump einen Wahlkampf gemacht, der nur auf Persönlichkeit und Emotion gesetzt hat? Viele glauben, er sei gar nicht in der Lage ein nationales Interesse zu definieren, geschweige denn es fokussiert zu verfolgen. Halten Sie es nicht für möglich, dass er ein ganz neuer Typus Außenpolitiker wird. Einer, dem es wichtiger sein könnte, mit jemandem gut klarzukommen, als ein wie auch immer definiertes nationales Interesse zu verfolgen?

Kissinger: Ich würde das nicht ausschließen, aber das würde ihm große Schwierigkeiten bereiten.

Ist Angst vor Trump voreilig?

ZEIT ONLINE: Ist Angst vor Trump voreilig?

Kissinger: Ich sage ja nicht, dass alle, die sich Sorgen machen, falsch liegen. Vielleicht haben sie ja recht. Dennoch ist meine Empfehlung, abzuwarten. Europa sollte einen Dialog mit Trump suchen und offen sein.

ZEIT ONLINE: Was würden Sie Angela Merkel empfehlen?

Kissinger: Merkel und Trump, aber auch die Beamten auf den Arbeitsebenen, müssen sich schnell zusammensetzen und entscheiden: Was wollen wir gemeinsam erreichen? Was wollen wir verhindern? Deutschland befindet sich in einem historischen Dilemma. Niemals in der Geschichte hatte Deutschland wirklich effektive multilaterale Beziehungen. Im Kaiserreich fühlte es sich belagert, unter Versailles diskriminiert, unter Hitler dominant und nach dem Krieg schuldig. Nie war eine Partnerschaft auf Augenhöhe möglich, aber Deutschland hat diese Albträume hinter sich gelassen, ist jetzt frei von Fesseln. Und es gibt niemanden, der besser ausgerüstet wäre, mit dieser Freiheit gut umzugehen als Angela Merkel, die in Ostdeutschland gelebt und den Kommunismus erlebt hat.

ZEIT ONLINE: Muss Deutschland eine internationale Führungsrolle übernehmen?

Kissinger: Meine Generation hat sich an ein dominantes Amerika gewöhnt, vor allem Deutschland hat beim großen Verbündeten Schutz gesucht. Das war bequem, wird sich aber ändern. Also ja, Deutschland muss mehr tun, jetzt muss die Bundesregierung nur definieren, was das heißt. Man wird ja keine Führungsnation, indem man sagt, man sei eine. Man wird es, indem man etwas tut, dem andere folgen. Deutschland muss seine Rolle finden und das wird ein Prozess der Selbsterziehung sein. Deutschland muss sich jetzt fragen: Was wollen wir für die Welt? Wie Amerika übrigens auch.

ZEIT ONLINE: Nachdem Merkel Trump am Telefon gratuliert hatte, soll sie gesagt haben: "Ich freue mich darauf, Sie beim G20-Gipfel in Hamburg im nächsten Juli zu sehen." Das könnte bedeuten, dass sie ihn nicht vorher nach Berlin eingeladen hat, was eigentlich üblich wäre.

Kissinger: Man darf erste Telefonate nicht überbewerten. Die werden meistens aus innenpolitischen Gründen geführt. Alles, was man in diesen Anruf hineinlesen kann: Die Deutschen sind so besorgt über Trump, dass die Kanzlerin mit einer Einladung nichts zu gewinnen hat. Ich wäre erstaunt und enttäuscht, wenn es vor Hamburg nicht substanzielle Treffen zwischen Merkel und Trump beziehungsweise ihren außenpolitischen Beratern geben würde.

ZEIT ONLINE: Sie haben Trump vorige Woche getroffen, im Wahlkampf haben Sie ihn in Ihre Wohnung eingeladen. Wie gut kennen Sie sich?

Kissinger: Die Umstände dieser Treffen sind zu komplex, um sie in einem Interview zu erklären. Wir sind beide Yankee-Fans. Einige Male habe ich ihn in der VIP-Loge im Stadion getroffen. Wir haben immer nur einige Minuten Smalltalk gemacht, ich kann nicht mal mehr sagen worüber. Über die anderen beiden Treffen möchte ich nichts sagen. Sehen Sie, meine Meinung ist folgende: Ich bin als Flüchtling in die USA gekommen und weiß, wie wichtig dieses Land sein kann. Ich habe miterlebt, wie Amerika mit großem Enthusiasmus fünf Kriege begonnen hat, ohne zu wissen, wie man sie beendet. Ich weiß, was Krieg mit Menschen macht. Mein Interesse ist Versöhnung, auch hier in den USA. Ich will Menschen zusammenbringen, anstatt in einen Bürgerkrieg abzugleiten.