«Cola trinken und über die Globalisierung wettern»

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Economiesuisse-Chefökonom«Cola trinken und über die Globalisierung wettern»

Von Donald Trump bis zu den Sozialdemokraten: Globalisierungskritik ist hoch im Kurs. Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch ist besorgt.

J. Büchi
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J. Büchi

Herr Minsch, wann haben Sie letztes Mal gedacht: «Toll, leben wir in einer solch vernetzten Welt»?

Das denke ich eigentlich dauernd. Aber eine Reise nach Vietnam und Japan führte mir kürzlich wieder einmal besonders deutlich vor Augen, wie viel uns die internationale Arbeitsteilung gegenseitig bringt. Wenn eine Schweizer Firma in Vietnam vor Ort produziert und Teile aus der Schweiz importiert, ist das eine Win-Win-Situation.

Die Wahl Donald Trumps gilt als krachendes Votum gegen die Globalisierung. Nun werden auch in der Schweiz links und rechts die Stimmen lauter, die den freien Handel infrage stellen. Macht ihnen das Sorgen?

Sehr sogar. Wir haben einen Heimmarkt von acht Millionen Personen. Wir sind auf Gedeih und Verderb auf einen guten Marktzugang in möglichst vielen Ländern angewiesen. Nur so können wir Produkte exportieren und damit Geld verdienen. Nun auf Abschottung zu setzen, wäre ein riesiges Eigengoal. Die Wirtschaft und der Wohlstand würden kollabieren.

Die Bürger gaben nun aber mehrfach zu verstehen, dass sie keine weit offenen Grenzen mehr wollen. Mit der Masseneinwanderungsinitiative, mit dem Brexit, mit Trump. Wollen Sie das einfach ignorieren?

Diese Sorgen gilt es ernst zu nehmen. Wir müssen aber unterscheiden: In Grossbritannien und den USA hat der Mittelstand in den letzten Jahren wirklich gelitten. In der Schweiz ist das nicht so – das belegen aktuelle Studien. Aber es ist klar: Die Welt dreht sich sehr schnell und wir wissen nicht, wohin die Reise geht. Da kann ich es verstehen, wenn diffuse Verlustängste bestehen.

SP-Mann Cédric Wermuth kritisiert, das Leben werde teurer und der Druck am Arbeitsplatz steige, während die Leute vergebens auf das neoliberale Paradies warten würden. Sehen Sie es, das Paradies?

Frage: In welchem anderen Land kann sich ein Berufseinsteiger bereits nach einigen Monaten ein neues Auto kaufen? Wir sind in der Schweiz sehr privilegiert. Das merken wir etwa, wenn wir in die Ferien gehen. Wir können uns mit unserer Kaufkraft extrem viel leisten. In anderen Ländern müssen die Menschen für die gleichen Anschaffungen viel länger arbeiten. Man hat sich vielleicht an das hohe Wohlstandsniveau gewöhnt – aber es ist populistisch, nun vorzugeben, es gehe uns schlecht.

All die Politiker, die nun auf die Bremse treten wollen, sind also Populisten?

Teilweise hat man schon das Gefühl, dass Leute Wasser predigen und Wein trinken. Sie fliegen nach Südamerika in die Ferien, trinken dort eine Cola am Strand und wettern dann gegen die Globalisierung. Fakt ist: Der Freihandel hat uns allen Wohlstand gebracht – nicht nur der Elite. Wenn unsere Exportfirmen ihre Produkte erfolgreich im Ausland verkaufen, zahlen sie gute Löhne und hohe Steuern. Die Zulieferer-Firmen profitieren genauso wie die Lehrer und Beamten, die von den Steuergeldern bezahlt werden.

Und was sagen Sie dem Arbeiter, dessen Job ins Ausland ausgelagert wurde?

Die Chance, in der Schweiz wieder einen Job zu finden, ist gross. Unsere tiefe Arbeitslosenquote ist die beste Arbeitslosenversicherung, die es gibt. Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften ist in der Schweiz sehr hoch.

Viele kritische Stimmen zielen vor allem auf die Migration ab. Können wir denn die Personenfreizügigkeit und den freien Warenverkehr nicht unabhängig voneinander diskutieren?

In den Bilateralen ist die Personenfreizügigkeit mit anderen Dossiers wie dem Abbau von technischen Handelshemmnissen verknüpft. Diese sind für den Warenverkehr wichtig. Und wir haben ein Interesse an stabilen Beziehungen zur EU. Bekanntlich diskutiert das Parlament aber derzeit darüber, ob die Zuwanderung durch einen Inländervorrang gebremst werden könnte.

Glauben Sie, dass Trump das Zeitalter eines neuen Protektionismus einläutet?

Wir werden sehen, welche Punkte aus dem Wahlkampf er in sein Wirtschaftsprogramm übernimmt. Wenn er seine Ankündigungen hart umsetzt, könnte dies in eine Katastrophe für die Weltwirtschaft münden: Andere Länder würden Gegenmassnahmen ergreifen. Der Protektionismus könnte sich aufschaukeln und eine grosse Depression auslösen. Will man die Uhr zurückdrehen, heisst das, dass wir auch auf all die schönen Seiten der Globalisierung verzichten müssten – auf den Wohlstand. Ich glaube aber nicht, dass es so weit kommt. Zu sehr sind die Länder aufeinander angewiesen.

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