Vor 60 Jahren begann in Berlin der Bau des Stadtrings. Eine Entscheidung mit Weitsicht: Fuhren damals gerade einmal 100.000 Autos durch die Stadt, so sind es heute 1,2 Millionen

Die meisten Berliner haben mindestens ein Mal auf ihr im Stau gestanden, am Dreieck Funkturm die falsche Ausfahrt erwischt und eine dezidierte Meinung darüber, ob ihr Weiterbau ein fataler Fehler oder ein Gebot der Vernunft ist.Die Stadtautobahn ist das erste große Infrastrukturprojekt, das in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg in Angriff genommen wurde. Vor 60 Jahren gab es den ersten Spatenstich für den innerstädtischen Schnellstraßenring.

Aktuell laufen die Bauarbeiten am 16. Bauabschnitt für die Bundesautobahn (BAB) 100 zwischen Neukölln und Treptow. Zumindest in den Schubladen der Planungsbehörden existiert auch bereits der 17. Bauabschnitt, der bis zur Storkower Straße nach Lichtenberg führen soll. Zum Jubiläum des Baustarts verrät Ihnen die Berliner Morgenpost überraschende Fakten rund um eines der meistgehassten oder auch meistgeliebten Bauwerke Berlins.

Planung Erste Überlegungen zum Bau einer Straße, die die Innenstadt komplett umrundet, sind bereits im Bebauungsplan von 1862 enthalten. Die Idee, daraus eine reine Autostraße zu machen, entstand 1910. Erstaunlich: In Berlin waren damals gerade einmal 4000 Pkw unterwegs. Am 4. Juli 1955 beschloss der Senat dann tatsächlich den Bau eines Schnellstraßenrings. Damals waren in West-Berlin knapp 100.000 Autos zugelassen. Zum Vergleich: 2016 sind in Berlin rund 1,2 Millionen Pkw gemeldet.

Baustart Wann genau der erste Spatenstich erfolgte, ist nicht genau bekannt. Ural Kalender, Verfasser der „Geschichte der Verkehrsplanung Berlins“ und von 1991 bis 2007 Leiter der Verkehrsabteilung beim Senat, weiß lediglich, dass die Baustelle zwischen Halenseestraße und Hohenzollerndamm 1956 eingerichtet wurde. Der genaue Monat ist in den Unterlagen nicht festgehalten.

Name Als die Arbeiten 1956 begannen, informierte das Bauschild an der Halenseestraße die Bürger, dass eine „Schnellstraße“ aus Bundesmitteln errichtet wird. Der Begriff Autobahn sollte offenbar vermieden werden, um auf „semantische Distanz“ zu Hitlers Reichsautobahn zu gehen. Eingebürgert habe sich aber von Anfang an die Bezeichnung als „Stadtautobahn“. Allerdings waren die Fahrbahnen anfänglich auch schmaler als bei Autobahnen üblich, die Fahrstreifen maßen lediglich 3,50 Meter (statt 3,75 Meter) und die Anschlüsse lagen enger beieinander. Die Widmung als Bundesautobahn BAB 100 erfolgte erst 1962.

Länge Der erste, am 26. November 1958 eröffnete Bauabschnitt war 2,2 Kilometer lang und führte von Kurfürstendamm bis zum Hohenzollerndamm. Heute verbindet ein Halbring im Süden der Stadt die Bezirke Mitte, Charlottenburg-Wilmersdorf, Tempelhof-Schöneberg und Neukölln auf einer Länge von 21 Kilometern. Mit dem im Bau befindlichen 16. Bauabschnitt wird ein weiteres 3,2 Kilometer langes Teilstück hinzugefügt, das bis zum Treptower Park führt. Planungen gibt es darüber hinaus auch für einen 17. Bauabschnitt, der rund vier Kilometer vom Treptower Park bis Storkower Straße führen könnte. Im Bundesverkehrswegeplan (frühestens ab 2020) ist er bereits enthalten, aber der Brückenschlag über die Spree ist politisch umstritten.

Nutzer Aus heutiger Sicht herrschten für die Nutzer des ersten Teilabschnitts paradiesische Zustände. Eine Verkehrszählung 1960 ergab, dass täglich 20.000 Fahrzeuge über die sechs Fahrspuren rollten. Inzwischen sind dort täglich mehr als 190.000 Kraftfahrzeuge unterwegs – bundesweit ein Spitzenwert.

Tempolimit Anfänglich gab es, wie damals auf allen Autobahnen, keine Geschwindigkeitsbegrenzung. In der Regel gilt heute auf der A 100 Tempo 80. Die Verkehrsregelungszentrale kann das Tempo bei Unfällen oder Stau jedoch per Computer auf 60 verringern. Vom Dreieck Funkturm in nördlicher Richtung bis Spandauer Damm ist seit Sommer 2015 wegen maroder Brücken ohnehin nur noch Tempo 60 erlaubt.

Bushaltestellen Beim Bau der A100 in den 1960er-Jahren sind am Rand der Autobahn mehrere Haltestellen für die BVG eingerichtet worden, deren Busse als Ersatz für die unter Boykott stehende S-Bahn verkehrten. Erst mit der Wiedereröffnung der Ringbahn 1993 wurde der Busverkehr wieder aufgegeben, die Haltestellen sind seither geschlossen.

Erster Autotunnel Als Tausende West-Berliner 1958 die Eröffnung des ersten Abschnitt des geplanten Stadtrings feierten - denn damals plante man trotz der sich verschärfenden Ost-West-Spaltung noch für die gesamte Stadt - konnten sie zugleich auch den ersten Autotunnel Berlins bestaunen: den 212 langen Tunnel unter dem Rathenauplatz.

Unfallschwerpunkte Gleich drei Abschnitte der A100 werden in der Verkehrsstatistik der Polizei zu den Unfallschwerpunkten aufgeführt. So krachte es im vergangenen Jahr 123 Mal im Bereich der Auf- und Abfahrten Funkturm/A 100/Messedamm-Halsenseestraße, dabei wurden ein Mensch schwer, sieben weitere leicht verletzt. Am Innsbrucker Platz waren es an der Autobahnausfahrt Wexstraße 173 Unfälle mit 13 Verletzten. Und am Tempelhofer Damm, Autobahnausfahrt A 100 wurden bei 124 Unfällen elf Menschen verletzt, einer davon schwer.