"Terror" – Ferdinand von Schirach auf allen Kanälen! – Seite 1

Thomas Fischer ist Bundesrichter in Karlsruhe und schreibt für ZEIT und ZEIT ONLINE über Rechtsfragen. Weitere Artikel seiner Kolumne "Fischer im Recht" finden Sie hier – und auf seiner Website.

Liebe Leserinnen und Leser!

Im Kapitel Aktuelles lernen wir diese Woche, was ein Freispruch ist. Auch im Hauptteil geht es dann, allerdings etwas substanzieller, um den Zusammenhang von Sprache und Sinn, Weltverständnis und die Vorstellung von Ordnung. 

Aktuelles:

Frau Schwarzer hat den Kolumnisten per emma.de gebeten, einmal zu lesen, was sie zum Fall Kachelmann zu sagen hat. Der Kolumnist hat ernsthaft versucht, dieser Bitte nachzukommen, musste Teile des Textes dann aber doch überspringen. Der Grund dafür war, dass die Journalistin ein weiteres endloses Mal die uninteressante Geschichte ihrer (!) ganz persönlichen Überzeugungsbildung im (nach Meinung des Kolumnisten) ziemlich uninteressanten Fall K. erzählt. Wie immer fallen auch diesmal ihre Urteile für abweichende Ansichten vernichtend aus. Und wie immer übersieht sie, dass es für die Beurteilung des konkreten Rechtsfalls weder auf ihre Überzeugung, noch auf die ihrer Lieblingsfeinde je angekommen ist. Mit anderen Worten: Mir und der Weltgeschichte ist es wirklich gleichgültig, was irgendwelche strubbeligen Sachverständigen als die einzig wahre Wahrheit durchgesetzt hätten – wenn man sie bloß gelassen hätte.

Wenn man, wie der Kolumnist, seit vielen Jahrzehnten in der Justiz arbeitet, Tausende von "Fällen", Zehntausende von Schicksalen und ebenso viele Meinungen dazu gelesen, gehört, bedacht und entschieden hat, erscheint es einem faszinierend, mit welcher Bedingungslosigkeit und auf welch bedrückend niedrigem Niveau sich Menschen in Schlachten um "Wahrheiten" im Einzelfall stürzen, obwohl nichts auf der Welt sie dazu legitimiert und befähigt als ihre eigene Selbstgewissheit. Mit solchen Menschen über heilige Wahrheiten zu streiten, hat keinen Sinn: Man muss den Chefredakteur von auto motor und sport nicht fragen, ob er für Tempo 100 ist. Und man ahnt, wie die Beurteilung der Chancengleichheit in Deutschland ausfällt, wenn man wahlweise die Arbeitsloseninitiative Duisburg-Nord, den Verband der Jungen Unternehmer Baden-Württemberg, den Bezirksvorstand der GEW oder den Betriebsrat der RWE fragt. Geschenkt! 

Eine Auswahl der ZEIT-ONLINE-Kolumnen von Thomas Fischer finden Sie auch in seinem Buch "Im Recht. Einlassungen von Deutschlands bekanntestem Strafrichter". Es ist im März 2016 bei Droemer erschienen. © Droemer

Und weil das so ist, haben wir – unter anderem – Gerichte, Rechtswege, Entscheidungs-Wege, Legitimationsstrukturen für Entscheidungen, die einigermaßen unabhängig sind: Nicht weil die Menschen, die damit befasst sind, einen besseren Charakter hätten als alle übrigen, sondern weil sie nach Rechtsregeln handeln, die sich durch Nachdenken, Ausprobieren und Überprüfen in langen Zeiträumen als halbwegs geeignet erwiesen haben – jedenfalls als weitaus geeigneter als das, was der Spontan-Rülpser des Volkskörpers als jeweils gefühlte Gerechtigkeit hervorbringt. Bevor man die Ergebnisse dieses Rechtssystems also immerzu als falsch, parteiisch, voreingenommen, illegitim verachtet, sollte man überlegen, was man da tut, aus welchen Gründen man es tut und mit welchem besseren Recht. Das Obsiegen von bloßem Geschwätz aus Betroffenheit oder Empörung ist das Schlimmste, was einem Rechtsstaat passieren kann.

Ein Freispruch "aus Mangel an Beweisen" ist ein Freispruch. Jeder Freispruch in Deutschland ergeht "aus Mangel an Beweisen" für die Schuld. Warum auch sonst? Die absurde Konstruktion eines Freispruchs "aus erwiesener Unschuld" ist schon begrifflich eine Fiktion (die vermutlich aus dem frühkindlichen Konsum von US-Fernsehserien stammt), denn die "Erwiesenheit" der Unschuld ist ja genauso von Beweisen abhängig wie die Erwiesenheit der Schuld.

Und nun zur Sache:

Gestern, am 17. Oktober 2016, schlug die ARD voll zu: "Sie entscheiden über das Schicksal eines Menschen!", lautete die tagelang vorgeschaltete Werbung des WDR für den Fernsehfilm Terror, eine Abfilmung eines gleichnamigen Theaterstücks von Ferdinand von Schirach. Als Theaterstück läuft es seit einem Jahr sehr erfolgreich, allein in Düsseldorf nudelte man es in der letzten Saison über 60 Mal herunter. Im Theater stimmen gemeinhin 60 Prozent der Zuschauer für "unschuldig". Im Fernsehen waren mehr als 80 Prozent.

Ich habe mich zu dem Stück selbst schon am 17. Mai in dieser Kolumne geäußert. Inzwischen habe ich den Film gesehen und an einer Hörfunk-Diskussion teilgenommen (WDR 5, 13.10.2016; anzuhören auf WDR-Mediathek). Beides hat mich darin bestärkt, die Sache hier noch einmal zu erörtern. Ich meine nämlich, dass Autor, Verlag und Medien ein übles Spiel zu Lasten der Bürger spielen.

Der Autor Schirach ist bekannt geworden als Verfasser von Büchern, die angeblich authentische Fälle nacherzählen, welche der Verfasser als "Strafverteidiger" erlebt zu haben behauptet. Ich will mich auf diese Karl-May-Debatte nicht einlassen und mir ist es egal, ob der "Bärentöter" des Rechtsgelehrten Schirach handgeschnitzt ist oder aus dem Baumarkt stammt. Nur treffen sollte er gelegentlich. Daran mangelt es leider in bedenklichem Maße.

Das Stück

Terror ist ein Theaterstück, das, soviel muss man wohl vorausschicken, mit Terror denkbar wenig zu tun hat. Der Titel ist vielmehr ein heiserer, populistischer Schrei nach Aufmerksamkeit. Das in dem Stück behandelte Rechtsproblem kann man am Beispiel eines "Terror"-Anschlags genauso gut oder schlecht verdeutlichen wie an zahlreichen anderen fiktiven – oder sogar historisch bewiesenen – Sachverhalten. Der Einstieg über den Begriff des "Terrors", verbunden mit einer naturalistisch imitierten Gerichtsverhandlung mit Anklage, Beweiserhebung, Urteil und vor allem der Aufforderung an den Zuschauer, an letzterem aktiv – als eine Art Geschworener, durch "Entscheidung über das Schicksal eines Menschen" – mitzuwirken (!), ist eine unverschämte, schwer erträgliche Manipulation der Öffentlichkeit im Namen eines quasistaatlichen Anliegens, ohne dem auch nur die mindesten staatlichen Garantien an Wahrhaftigkeit und Unvoreingenommenheit zugrunde zu legen. Das ist ein starkes Stück. 

Die Darstellung der Verhandlung ist ziemlich albern

Die Story des Stücks ist einfach und inzwischen wohl allgemein bekannt: Ein Bundeswehr-Pilot ist angeklagt, ein vollbesetztes Verkehrsflugzeug – entgegen dem Befehl seiner Vorgesetzten, die sich an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hielten – selbst vorsätzlich abgeschossen zu haben, weil es von einem Terroristen entführt worden war, der es über einem Fußballstadion mit 70.000 Zuschauern zum Absturz bringen wollte. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage wegen Mord in 164 Fällen (Anzahl der Passagiere) erhoben. Das Stück besteht aus einer – mehr schlecht als recht – nachgeahmten Gerichtsverhandlung vor einer Großen Strafkammer (drei Berufsrichter, zwei Schöffen). Die Darstellung der Verhandlung ist ziemlich albern, entspricht aber dem Bild, das sich Drehbuchschreiber von einer solchen Sache machen. Dazu gehören Kleinigkeiten wie die sinnfreien Anordnungen des Vorsitzenden an die Protokollführerin ("belehrt!" – als ob die das nicht selbst gehört hätte) oder das ölgötzenartige, für die Sache scheinbar völlig gleichgültige Herumsitzen von vier Richtern des aus fünf Personen bestehenden Spruchkörpers. "Der Richter" wird vorgeführt als "Vorsitzender": Väterlich streng, sorgenzerfurcht, tief beeindruckt, zugleich aber auf lächerliche Weise förmelnd. Er darf, weil es dem Drehbuch gefällt, gelegentlich aus seiner Rolle heraustreten und als Live-Kommentator seiner selbst, mit gesenkter Stimme, dem Zuschauer Anleitung und Anweisung erteilen: Ganz zugewandt, Aug' in Auge. Drehbuch und Regie sind begeistert: So was hatten wir lange nicht mehr!

Viel mehr muss man über das Stück eigentlich nicht sagen. Der Film dokumentiert das Theaterstück; das Theaterstück gibt den Gesamttext des Autors beinahe komplett wieder. Weggelassen sind ein paar Peinlichkeiten: Der linke Schuh, den die – sinnloserweise vernommene – Nebenklägerin als einziges Teil ihres getöteten Ehemanns zurückbekommt, ist im Schirach’schen Text "aus Pferdeleder", weil der Verstorbene immer auf Haltbarkeit und Qualität geachtet habe. Im Film wurde wenigstens diese Albernheit weggelassen.

Eine Bemerkung zum Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit: Ja, es stimmt, Kunst ist eine Wirklichkeit sui generis. Das wissen wir seit ungefähr 3.000 Jahren. Wenn man Redakteuren, Produzenten, Regisseuren vorhält, ihre Kunst verzerre die Wirklichkeit, statt sie zu entzerren, antworten sie reflexhaft: In der Kunst gehe es um die Gesetze der Kunst. Deshalb sagte auch die Produzentin des Films in der WDR-Sendung auf eine kritische Anmerkung des Kolumnisten: Es gehe nicht darum, "ob jeder Absatz einer Rechtsvorschrift richtig wiedergegeben sei".

Das ist ein ebenso typischer wie verzweiflungswürdiger Irrtum. Denn selbstverständlich geht es nicht bloß um "jeden Absatz"! Sagen wir es plakativ und einfach: Wer einen Film machen will über das existenzielle Problem der Sterbehilfe, oder der Abtreibung, oder des Suizids, der muss sich auf die Sache selbst schon einlassen. Man kann und darf ja auch nicht die (komplett falsche) Behauptung, eine Abtreibung nach der zwölften Woche sei in Deutschland unter allen Umständen verboten, damit rechtfertigen, es gehe ja um Kunst, und die sei bekanntlich frei.

So ähnlich verhält es sich mit dem Recht in Schirachs Stück. Der Film stellt – im Verhältnis 1 : 1 nach der Vorlage des Theaterstücks – ein schwieriges Rechtsproblem dar. Er behauptet – wie der Autor Schirach –, das geltende Recht unseres Staats habe für dieses Problem keine Lösung. Das aber ist falsch. Und zwar nicht nur ein kleines bisschen, nicht nur im Rahmen dessen, was "Künstler" gemeinhin als belanglose "Paragrafen-Reiterei" abtun (solange es nicht um ihre eigenen Gagenverträge geht). Sondern richtig grundfalsch. Im Sinne von: abwegig, fernliegend, irreführend. Das Gegenteil nämlich ist richtig.

Das Problem

Der Film sagt uns: Wir müssen uns entscheiden, ob der Pilot "wegen 164-fachen Mordes" zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen ("schuldig") oder ob er freizusprechen ist ("unschuldig"). Dafür werden von Kant bis Kanther alle möglichen Argumente aufgeboten, die sich mit allen möglichen Fragen beschäftigen, vor allem aber derjenigen, ob der Staat dazu berechtigt sei, 164 unschuldige Menschen zu töten, um 70.000 unschuldige Menschen zu retten.

Eine vermeintliche Staatsanwältin – man sah Frau Gedeck wahrlich schon in besser gespielten Rollen – sagt Ja, ein vermeintlicher Verteidiger sagt Nein, eine vermeintliche Nebenklägerin darf ein bisschen auf die Drüsen des Augenwassers drücken, für den Fall, dass eine liebe Zuschauerin noch nicht begriffen hat, dass es hier wirklich ums Ganze geht und man einen geliebten Menschen schrecklich vermisst, wenn er durch die automatische Schiebetür des Flughafens einfach nicht mehr heraustritt.

Der Angeklagte ist ein netter Kerl. In Mathe war er gut. Er ist einer von Zehntausend. Ein Kamerad. Die Passagiere trugen Schuhe, waren verheiratet, hatten kleine Kinder. Stumm sitzt der Schöffe da, roboterhaft tippt eine Beisitzerin irgendwas in einen Laptop.

Staatsanwältin und Verteidiger haben Kant gelesen, der Angeklagte sowieso. Hei, da fliegen die Argumente und die Menschenwürden nur so hin und her. "Unerträglich", meint der Verteidiger, sei es, "um eines Prinzips willen" (gemeint: Menschenwürde) das wahrhaft Ungerechte zu tun und gegen die Regel vom "kleineren Übel" zu verstoßen. Leider haben er und der Autor dabei übersehen, dass die Regel vom kleineren Übel ja nun auch ein Prinzip ist, noch dazu ein besonders schlichtes.

"Moral und Recht", so wird der Zuschauer ein ums andere Mal belehrt, sind "strikt zu trennen". Das soll sich angeblich irgendwie aus Kant ergeben. Leider ist diese holzschnittartige Behauptung so falsch, dass man sich schämen sollte, sie Herrn Kant nachzurufen. Denn die Behauptung, wie sie Schirach und seine Drehbuch-Künstler vortragen, desavouiert ja gerade das, was Kant am Wichtigsten war. Das Recht, so Schirach, liefert bestenfalls irgendwelche Argumente: Manche sagen so, manche sagen so. Man kann es drehen und wenden, wie man will. Spitzfindigkeiten, "irgendwelche Absätze von Paragrafen". Die Wahrheit liegt jenseits des Rechts – so fantasiert das Stück daher, ohne sich dem Recht überhaupt angenähert zu haben.

Wo liegt die Lösung des Falls?

Die Lösung

Der Angeklagte K hat 164 Passagiere, eine unbekannte Anzahl von Crew-Mitgliedern sowie einen Entführer, also eine nicht mitgeteilte Zahl von Menschen vorsätzlich (wissentlich) getötet. Die Anklage wegen "164-fachen Mordes" ist daher ein bisschen schräg. Erstens wurden mehr als 164 Menschen getötet; man wüsste gern, wie die Staatsanwaltschaft den "Rest" erledigt hat. Zweitens ist eine Lenkrakete in 30.000 Fuß Höhe vielleicht kein "gemeingefährliches Mittel", sondern einfach das Mittel der Wahl, um dieses Flugzeug abzuschießen. Mit dem Mordmerkmal ist es also nicht so weit her. Bliebe der Tatbestand des Totschlags (Paragraf 212 StGB). Da gibt es "minder schwere Fälle" und geminderte Strafrahmen (Paragraf 213 StGB). Aber dies nur am Rande.

Der Tatbestand ist objektiv und subjektiv erfüllt. Fragt sich: Rechtswidrig? Um diese Frage dreht sich das ganze Stück und damit auch der Film. Sie lautet, umformuliert: DARF der Pilot K, als Organ des Staats, unschuldige Staatsbürger (Menschen) töten, um a) eine größere Anzahl zu retten, b) ein Zeichen zu setzen, c) die Gerechtigkeit zu verwirklichen?

Diese Frage ist entschieden: Das Bundesverfassungsgericht hat mit Gesetzeskraft (!) entschieden, dass Paragraf 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes (alter Fassung) wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde verfassungswidrig und nichtig sei. Das war am 15. Februar 2005 im Verfahren 1 BvR 357/05. Nichts (!) an Argumenten ist seither hinzugekommen. Meine (zahlreichen) Gespräche mit Protagonisten des Theaterstücks und des Films haben mir gezeigt, dass von 100 Personen, die im Zusammenhang mit Schirachs Terror über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts reden, 99 Komma 9 dieses Urteil nicht gelesen haben. Sie quatschen herum, weil es ihnen zu schwierig ist, sich mit der Sache zu befassen, die sie auf "einfache" Weise dem breiten Publikum nahebringen wollen. Statt des in der öffentlichen Diskussion schon vor zehn Jahren erreichten Argumentationsniveaus legen sie also das Niveau zugrunde, das sie selbst innerhalb von zwei oder drei Tagen erreichen können. Sodann unternehmen sie es, dieses Niveau wiederum "herunterzubrechen" auf das Niveau, das ihre "lieben Zuschauer" und "lieben Leser" angeblich allerhöchstens erreichen können. Wir sind damit auf dem Level der Schwarzwaldklinik angekommen. Wer das kritisiert, wird der "juristischen Spitzfindigkeit" geziehen oder – schlimmer – der "Abgehobenheit".

Sie verwechseln dabei typischerweise verschiedene Bedeutungen des Begriffs "Niveau": Sachniveau und Sprachniveau. Sie haben keine Lust oder keine Kraft, sich dem Sprachniveau der Experten anzunähern, und wissen sich dabei eins mit den "lieben Zuschauern", die das im Durchschnitt erst recht nicht können. Anstatt dass die Vermittler nun ihre Pflicht erkennen, das Sachniveau so zu erreichen und zu durchdringen, dass sie es sprachlich vereinfachen können, ohne es sachlich-argumentativ der Lächerlichkeit preiszugeben, gehen sie den gerade umgekehrten Weg und passen ihr eigenes Sachniveau an das gefühlte Sprachniveau ihrer Kundschaft an. An ihrer eigentlichen Aufgabe scheitert diese mediale Wirklichkeit notorisch und penetrant. Und da sie das weiß, hat sie zugleich die zirkuläre Figur ihrer Rechtfertigung eingebaut: Das "Niveau der Zuschauer / Leser / Hörer" ist so gering, dass es einfach nicht möglich ist, die jeweilige Sache sachgerecht darzustellen. Das ist natürlich gelogen. Es erlaubt aber, der eigenen Faulheit oder Unzulänglichkeit praktisch unbegrenzt nachzugeben und sich selbst dabei noch permanent als überlegenen Sachwalter der Interessen des dummen Volks da draußen aufzuspielen.

Wo liegt die Lösung des Falls? Wir finden sie dort, wo uns weder der Autor Schirach noch der Film auch nur ansatzweise hinführen: Im (Straf)Recht und in der Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit und Schuld. "Ist Pilot K. schuldig?", fragt das Stück Terror ein ums andere Mal, befasst sich dann aber, zur angeblichen Klärung dieser Frage, überhaupt kein bisschen mit der Schuld des Angeklagten, also der Frage, ob er PERSÖNLICH, in seiner Situation und Lage, mit seinen Kenntnissen, Irrtümern und Voraussetzungen, die rechtswidrige Handlung hätte vermeiden können.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz klargestellt, dass es sich überhaupt nur mit der Frage der Rechtswidrigkeit befassen musste und wollte, also der Frage, ob staatliches Recht anordnen darf, unschuldige Menschen um eines (vermeintlich) höheren Ziels willen vorsätzlich zu töten. Es ging also um die Frage des "Dürfens" auf der Ebene des staatlichen Rechts: Darf ein Minister anordnen (!), fremde Unschuldige zu erschießen? Darf ein Polizeipräsident den Befehl erteilen, einen Gefangenen zu foltern? Sind diejenigen, denen solche Befehle erteilt werden, von Rechts wegen und dienstlich verpflichtet, sie auszuführen? Und sind daher umgekehrt die Opfer solcher Anordnungen von Rechts wegen "verpflichtet", sich widerstandslos erschießen oder foltern zu lassen? Oder dürften sie gegen ihre eigene Tötung Notwehr üben? Muss der Seemann, wenn der Kapitän des sinkenden Schiffs "Schotten dicht" befiehlt, im Maschinenraum strammstehen und freudig ertrinken? All das sind Fragen der Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit. Sie haben mit Schuld und Unschuld zunächst einmal nichts zu tun.

Mit der Frage der Schuld des einzelnen, der in der konkreten Situation persönlich handelt oder nicht, hatte sich daher auch das Bundesverfassungsgericht nicht zu befassen: Es hat ja nicht über die Verurteilung des Piloten Koch entschieden, sondern über die Rechtmäßigkeit eines Gesetzes, das es erlaubt hätte, Herrn Koch auch gegen seinen Willen und gegen sein Gewissen dazu zu zwingen, die Menschen zu töten. Um einen Gag des Films aufzugreifen: Wäre Paragraf 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz für verfassungsmäßig erklärt worden, dürfte man dem Piloten Koch auch schlicht befehlen, seine eigene Familie mit dem Flugzeug abzuschießen.

Die Tötung ist selbstverständlich rechtswidrig

Die Lösung des Falles aber, und die "Gerechtigkeit" gegenüber dem fiktiven Angeklagten, liegt auf einer ganz anderen Ebene, nämlich derjenigen der persönlichen Zumutbarkeit. Über diese Frage muss von Strafgerichten entschieden werden; sie stellte sich dem Bundesverfassungsgericht gar nicht.

Theaterstück und Film unterschlagen diesen – entscheidenden! – Unterschied nicht nur, sondern leugnen ihn obendrein ausdrücklich: "Der Richter" (Vorsitzender) belehrt den Angeklagten nachdrücklich, auf seine "innere Sicht", seine subjektiven Meinungen und Motive komme es im Strafverfahren überhaupt nicht an; hier gehe es "allein um die Feststellung der Tatsachen". Dieses ist eklatant falsch und geradezu die Umkehrung des rechtsstaatlichen Ansatzes. Es ist komplett falsch, wenn Schirach durch Weglassen suggeriert, für die Entscheidungen zwischen Rechtmäßigkeit und "Gewissen" halte das Recht keinerlei Maßstäbe bereit. Die Zuschauer werden durch diesen Unsinn gezielt und von vornherein desinformiert und auf eine Fährte gelockt, die es dem Autor zuletzt gestattet, seine alberne "Abstimmungs"-Dramaturgie durchzuführen. Das ist schäbig.

Die Unterscheidung zwischen Rechtswidrigkeit/Rechtmäßigkeit einerseits und Schuld/Unschuld andererseits ist eine der grundlegenden Errungenschaften unserer Rechtskultur. Für das deutsche Strafrecht bildet sie eine unabdingbare Grundlage für die Entscheidung jedes Einzelfalls. Ein Strafprozess, in dem der Vorsitzende sich die Information über die persönlichen Motive und Sichtweisen des Beschuldigten verbittet, wäre eine Farce.

Weil das Stück von Schirach die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld fast vollständig unterschlägt, unterschlägt es auch die Tatsache, dass die Lösung des Dilemmas keineswegs nur "jenseits des Rechts", also irgendwo im Reich der höchstpersönlichen, beliebig "abstimmbaren" Moral gefunden werden kann, sondern dass es gerade das Recht ist (und sein muss), das sich die am weitesten gehenden und überzeugendsten Gedanken zu solchen Problemen gemacht hat.

Hierauf hat der Bielefelder Strafrechtslehrer Wolfgang Schild in seiner kleinen Schrift Verwirrende Rechtsbelehrung. Zu F. von Schirachs 'Terror', 2016, frühzeitig hingewiesen. Die freudetrunkenen Abstimmungsregisseure der Stadttheater und Staatsschauspiele interessiert das nicht. Sie lassen die an der Nase herumgeführten Bürger durch die Türen hinaus und herein spazieren oder Karten hochheben, auf dass die Kunst sich einmal wieder verbinde mit dem ganz wirklichen echten Leben, so wie einst.

Der Film faselt zwar über "Schuld" und "Unschuld", meint und erklärt aber etwas anderes. Dass er die grundlegende Kategorie der (strafrechtlichen) Schuld nicht kennt, ist ein fachlicher und ein künstlerischer Skandal zugleich. Entweder weil der Autor sie selbst nicht verstanden hat (was schlimm genug wäre), oder weil er sie vorsätzlich verschweigen will (was noch schlimmer wäre). Der Text des Stücks und all die "Belehrungen", die man den Zuschauern, auch im Film, angedeihen lässt, machen es noch schlimmer – hier wird wahrlich alles durcheinandergebracht, was nur geht: Ein einziges Desaster der Unkenntnis, und mittendrin der liebe Zuschauer, der nun aufgefordert ist, in einer "realen" Rechtsfrage auf der Grundlage der "realen" Rechtslage eine "Entscheidung über Schuld und Unschuld" zu treffen.

Das ist die größtmögliche Verarschung des Publikums. Wer Unrecht und Schuld in eins setzt, fällt um Jahrhunderte (!) hinter unsere Rechtskultur zurück und benutzt seine Zuschauer als Gaudi-Gäste für eine Rechtsshow der billigen Sorte.

Tatsächlich könnte die Lösung des Falls wie folgt gehen: Die Tötung ist selbstverständlich rechtswidrig (außer der des Terroristen; die ist durch Nothilfe gerechtfertigt). Wer über die Begründung von "Menschenwürde" nachgedacht hat, und über den Zusammenhang von Würde und Gerechtigkeit, weiß das. Das soll hier nicht ausgeführt werden, denn das Bundesverfassungsgericht hat dazu das Gültige gesagt, und wer zu faul ist, das nachzulesen, sollte sich nicht aufplustern mit der Behauptung, er stimme dem nicht zu.

Kein Minister oder General kann aus der Tiefe seines Fernsehsessels einem Soldaten "befehlen", unschuldige Menschen umzulegen. Kein Unschuldiger hat – das wäre die zwingende Konsequenz! – die Rechtspflicht, sich töten zu lassen. Sondern jeder hätte selbstverständlich das Recht auf Notwehr gegen die eigene Tötung! Und genauso hätte jeder Angehörige eines Opfers das Recht auf Nothilfe, um die Tötung zu verhindern.

Was für Herrn Piloten Koch "gerecht" ist, finden wir ebenfalls im Recht: Es könnte ein "Entschuldigungsgrund" vorliegen, der sich in einer entsprechenden Anwendung des Paragrafen 35 Strafgesetzbuch findet:

"Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eine rechtswidrige (!) Tat begeht, um die Gefahr von sich, einem Angehörigen oder einer ihm nahestehenden Person abzuwenden, handelt ohne Schuld. (…)"

Schuldlosigkeit des einzelnen trotz Rechtswidrigkeit seiner Tat, auf der Grundlage einer umfassenden Bewertung seiner individuellen (!), persönlichen (!) Lage und der Zumutbarkeit (!) rechtmäßigen Verhaltens. Das ist die Möglichkeit, die das Recht (!) bietet und nahelegt. In der Strafrechtswissenschaft heißt die Lösung "übergesetzlicher Notstand". Er ist an enge rechtliche (!) Voraussetzungen gebunden und entschuldigt den konkreten Täter, obwohl seine Handlung rechtswidrig ist. Pilot Koch könnte also, wenn die Voraussetzungen vorliegen, ohne weiteres freigesprochen werden. Er könnte auch verurteilt werden, zum Beispiel wenn sich herausstellte, dass er die Maschine nur deshalb abschießt, weil darin sein steinreicher Erbonkel sitzt, dass er die Lage also nur für persönliche Zwecke ausnutzt.

Ein klarer Fall von "Kaisers neuen Kleidern"

Über die Schuld und Verantwortung des Piloten Koch kann man also nach rechtlichen Maßstäben entscheiden, ganz ohne dass man deshalb anordnen müsste, der Staat dürfe die Tötung seiner Bürger anordnen, wenn das "Prinzip des geringen Übels" es gebietet, oder das "Gewissen" des Herrn Ministers. Genau darum geht es nämlich. Frappierenderweise trug der "freisprechende" Vorsitzende, nach dem Ratschluss seiner Fernsehschöffen, am Ende eine Urteilsbegründung vor, die dieser Lösung irgendwie recht nahekam. Allerdings beruhte diese Lösung überhaupt nicht auf dem im "Prozess" erörterten Stoff: Dort war von Schuldausschließungsgründen oder Verbotsirrtümern keine Rede. Die Begründung, welche das Gericht aus dem Fernsehzylinder zaubert, geht also an den Argumenten des Stücks und am Verständnis der Zuschauer komplett vorbei. Und bis zum Schluss bleibt unklar (und ist zweifelhaft), ob Autor und Inszenierung das selbst überhaupt gemerkt haben. Großes Durcheinander bis zur Zielgeraden.

Das ist das Infame an der Schirach’schen "Ungenauigkeit": Indem er den Staat gleichsetzt mit dem armen moralischen Würstchen auf der Anklagebank, verniedlicht er den Leviathan der Gewalt und macht zugleich den Menschen und Bürger Koch zum Objekt staatlicher Gewalt: Weil das Prinzip der Menschenwürde gilt, so spricht treuherzig Frau Gedeck in die Kamera, deshalb "muss Herr Koch die Konsequenzen tragen". Meint: Lebenslang in den Knast. Das soll angeblich die Botschaft sein, die das "formale Recht" zu diesem Fall hat: Der Einzelne muss sich um des staatlichen Prinzips willen opfern lassen.

Das alles ist so dermaßen falsch und verquast und verdreht, dass einem übel wird. Das Recht unseres Staates sagt nämlich genau das Gegenteil: Aus dem Grundsatz der Menschenwürde, der gleichbedeutend ist mit der Idee des Rechts, folgt gerade eben nicht, dass der einzelne Bürger vom Staat wie ein Objekt, eine Sache, ein Beispielsfall für irgendein Großes & Ganzes behandelt werden darf. Der Beschuldigte im Strafverfahren, so sagt es das Bundesverfassungsgericht seit Jahrzehnten immer wieder, darf niemals bloßes Objekt des Verfahrens oder einer generalpräventiven "Demonstration" von Rechtsprinzipien sein.

Damit ist aber die abwegige und rechtsfeindliche These widerlegt, die dem ganzen Schirach’schen Spektakel zugrunde liegt: Es gehe um eine Entscheidung zwischen Recht und Moral, Recht und Gerechtigkeit. "Notwehr, Schuld, Gerechtigkeit, Naturrecht, Gewissen", und all das Gefasel der Protagonisten auf der Bühne, sind – nach ihrem eigenen Eingeständnis! – nur leere Worte. Ihnen geht es nicht um Begründungen, nicht ums Recht – es geht um das "Richtige", also ums "Ergebnis". Und das, so Schirach, lässt sich mit rechtlichen Mitteln nicht erreichen.

Ergebnis

Damit entpuppt sich der Donnerhall der "Aufklärung über das Recht" als lächerliche Stinkbombe. Der Autor von Schirach versteht vom Strafrecht nichts. Er mag in seinen holzschnittartigen Kriminalgeschichten all die Mörder und Räuber umherschleichen lassen, wie er will, aber er sollte die Finger von ernsthaften Strafrechtsfragen lassen. Wer Rechtswidrigkeit und Schuld so verheerend durcheinanderbringt, sollte wahrlich keine Aufklärungsstücke über unzureichende Strafrechtsdogmatik verfassen.

Dies ist die eine Seite. Die harte Kritik mag den Autor ärgern; sie ist gleichwohl nicht persönlich gemeint; er mag sie sich zu Herzen nehmen oder es bleiben lassen.

Schlimmer, erstaunlich und bedrückend aber ist es, dass die schweren, ja existenziellen Fehler des Stücks von seinen Verbreitern und Laudatoren vom Theater bis hin zur großmächtigen ARD nicht erkannt, sondern beanstandungslos durchgewunken werden. Das hätte sich leicht vermeiden lassen, wenn man statt auf das Wunder einer Quoten-Sensation einmal einen ernsthaften und kritischen Blick auf die Sache selbst geworfen hätte.

Beim WDR, dem verantwortlichen Sender, gibt es Dutzende von hochqualifizierten Juristen. Sie sind Spezialisten für Rundfunkrecht, Medienrecht, Vertragsrecht, Urheberrecht, was auch immer. Kein einziger kam auf die Idee, einmal einen Strafrechtler zu fragen, ob und wenn ja was dran ist, an dem wunderbaren "Experiment" des großen Zampanino vom Kriminalgericht Moabit mit dem klingenden Namen. Man hätte darauf kommen können.

Zum einen über die Kunst: Das Stück Terror schreibt sich an einem langen Wochenende so derart offensichtlich mühelos dahin, dass doch irgendeinem Regie-Giganten auffallen müsste, dass er aus dem zweiten Semester Dramaturgie sowas auch noch in der Schublade hat. Aber wahrscheinlich sind es gerade die Hölzernheit der Dialoge, die Befremdlichkeit des sinnfreien Sinns, welche das Werk mit dem Geruch der Gelehrtheit ausstatten, die den meisten unserer Kreativen so überaus schmerzlich abgeht.

Ein klarer Fall von "Kaisers neuen Kleidern" also: Alle stehen in der Pause betroffen um die Häppchentische und bewundern des Meisters meisterliche Rede; erst dann stellt sich heraus, dass der Philosoph nur das Gegacker im Hühnerstall seiner Großmutter nachzuahmen versucht.

Zum andern aber auch über das Recht: Ein Blick in Wolfgang Schilds oben erwähnte kleine Monografie hätte gereicht. Oder auch ein Nachblättern in einem der zahlreichen Kommentare und Lehrbücher zum Strafrecht. All die im Stück sinnfrei erwähnten Fälle finden sich ja dort, und ein paar Argumente obendrein.

Warum, so fragt man sich, kriegt das Fernsehen oder sonst ein Massenmedium das nicht mehr hin? Warum versagt der gigantische, um sich selbst kreisende Apparat gerade am Grundlagen-Anspruch, also dem Erarbeiten einer sachlich kompetenten, vernünftig durchdachten Fragestellung? Man redet mit Regisseuren, Produzentinnen, Theaterchefs: Lauter nette Menschen, aber komplett inkompetent in der Sache.

Nach Strich und Faden verarscht

Stellen Sie sich vor: "Das Experiment – Sie operieren". Sie sind Assistenzarzt im OP von Professor Sauerbruch. Das Setting: Patient A hat Herzstillstand, Patient B keine Leber, Patient C ein offenes Schädelhirntrauma. Was tun Sie? Variante 1: B kriegt die Leber von A, A eine Vene von C, bei C kann man nix machen. Variante 2: Wir nehmen uns den im Großen & Ganzen fitten C, nähen ihm die Leber von A und das Herz von B rein und ab geht die Post. Nebenbei machen wir noch eine künstliche Mehrlingsbefruchtung mit ihm und der Patientin von Zimmer 16. Professor Sauerbruch spricht unterdessen vertraulich beiseite, dem Zuschauer zu: "NUN sind Sie gefordert, liebe Patienten. Entscheiden Sie nur nach ihrem ärztliche Gewissen, und lassen Sie sich durch nichts verwirren!" Abgestimmt wird mit roten oder grünen Tupfern. Begeisterung! Fernsehpreis! Knaller des Jahrzehnts! Der Intendant bricht in Tränen aus: So viel Kunst war selten.

Zurück zum Terror: Die lieben Zuschauer werden nach Strich und Faden verarscht, und zwar sowohl vom rechtsgelehrten Autor als auch vom quotengeilen Sender. Ihnen werden Belehrungen über die Rechtslage zuteil, die hinten und vorne falsch sind und die entscheidende Fragestellung gar nicht enthalten. Auf dieser Bananen-Ebene dürfen sie dann "abstimmen" und "über das Schicksal eines Menschen entscheiden". Eine Kunst, die aus Lüge, Denkfaulheit und Inkompetenz besteht, ist nicht mehr als die Imitation ihrer selbst.

P.S.: Zum Beweis, dass sie diese Kolumne gelesen hat, wird die Werbung für Schirachs Werk ab morgen das Wort "umstritten" aufnehmen. Frage für die Talkrunde: Dürfen sich die Zuschauer auf eine Fortsetzung freuen? Wer dafür ist, wählt 01, wer dagegen ist, 02. Wer das Ergebnis richtig rät, kriegt eine Million.