Mein Beruf ist ein Bullshitjob – Seite 1

Damals, kurz nach dem Abitur, da lockte die Zukunft mit Bedeutsamkeit. Wir wollten Arzt werden, Lehrer, Anwalt. Dann schrieben wir uns für das Studium ein, landeten irgendwann im Master für Kultur- und Eventmanagement, Auditing and Taxation oder Advanced Safety Sciences. Und jetzt? Arbeiten wir als Fachreferent für medizinisches Versorgungswesen, als Regionalkoordinator im Bildungsmarketing, als Senior Legal Advisor in einer Unternehmensberatung. Tätigkeitstitel, die klingen, als sollten sie etwas kaschieren. So bedeutsam erscheint das nicht mehr.

Was ist passiert?

Der Anthropologe und Occupy-Vordenker David Graeber hat das Unbehagen über die Blödsinnigkeit der Dienstleistungsjobs vor einiger Zeit in eine Theorie gepackt. Gesellschaftlich sinnvolle Arbeit, so Graber, sterbe zunehmend aus – automatisiert, computerisiert, wegrationalisiert. Sie wird ersetzt durch gesellschaftlich sinnlose Arbeit, so erkennbar hirnrissig, dass die Arbeitenden unmöglich selbst noch an sie glauben können. Graeber tauft das Phänomen: Bullshitjobs.

Aktivisten plakatierten Zitate aus Graebers Aufsatz in der Londoner U-Bahn, als Motivationshäppchen für die Pendler auf dem Weg ins Büro: "Es ist, als ob jemand da draußen sinnlose Arbeitsplätze erfindet, damit wir weiterarbeiten."

Zwar wurden die Plakate schnell wieder entfernt, aber der Hashtag #Bullshitjobs macht seither auf Twitter die Runde. In Zeiten, in denen Arbeit zum Sinnstifter hochgejazzt wird, kommt der Begriff manchen vor wie ein erlösendes Halleluja. Journalisten schreiben eine Generation Y herbei, der das Glück im Beruf wichtiger sei als die Zahl auf dem Gehaltszettel. Manager faseln etwas von einer Unternehmenskultur, für die die Mitarbeiter den cultural fit mitbringen sollen. Benediktinerpater verkaufen Ratgeber für mehr Spiritualität im Berufsalltag. In aller Stille mag man sich längst gefragt haben, wie diese Überhöhung der Arbeit einhergehen kann mit dem Umstand, dass ihre Bedingungen eher prekärer werden.

Jetzt gibt es immerhin ein Schlagwort für all das, was man mit dem Sinnenthusiasmus so gern verdrängt. Für das Partygespräch mit dem Fremden, der auf die Was-machst-du-so-Frage mit Erläuterungen antwortet, denen man schon nach zwei Sätzen nicht mehr folgen kann. Oder der verschämt versucht, das Thema zu wechseln, ach ja, die Arbeit, vielleicht noch ein Bier. Bullshitjob.

Daseinsberechtigung für Immobilienmakler? Bullshitjob

Oder diese Tage im Büro, an denen die Uhr fast rückwärts ticken würde, schlüge man die Zeit nicht mit Minesweeper und Facebook tot. An denen man Arbeit heuchelt, indem man noch einmal und noch einmal den E-Mail-Eingang aktualisiert. Bullshitjob.

Oder dieser merkwürdige Fall eines spanischen Beamten, der für die Beaufsichtigung eines Klärwerks jahrelang Gehalt bezog, obwohl er längst nicht mehr im Büro auftauchte. Bemerkt wurde das erst, als man ihm eine Medaille für seine treuen Dienste verleihen wollte. Bullshitjob.

Oder das schier unauflösliche Rätsel nach der volkswirtschaftlichen Daseinsberechtigung von Immobilienmaklern. Aufschließen, kassieren, und was war daran jetzt der Mehrwert? Wieder ein Bullshitjob.

Graeber knüpft in seinem Aufsatz an den Ökonomen John Maynard Keynes an, der unserem Zeitalter in den zwanziger Jahren die 15-Stunden-Woche prophezeite. Passiert ist das bekanntlich nicht. Das Lehrbuch der Ökonomie behauptet: Weil auch unsere Bedürfnisse größer geworden sind. Graeber entgegnet: Das würde nur Sinn machen, wenn die neuen Jobs erkennbar produktiv wären. Sind sie aber nicht.

Warum bezahlt eine Ökonomie Tätigkeiten, die sie nicht braucht?

In der Praxis gibt es natürlich allerlei Schwierigkeiten, die Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit zu bestimmen. Graeber erkennt das durchaus an, schon bei seinem eigenen Beruf. Die praktische Notwendigkeit eines Professors für Anthropologie kann man mit guten Gründen bezweifeln (auch wenn er selbst das nie so sehen würde): "Es gibt keinen objektiven Messwert für das Gemeinwohl", sagt er.

Näherungswerte gäbe es schon. Das Allensbach-Institut etwa befragt die Bevölkerung regelmäßig, welche Berufe sie am meisten schätzt. Auf den vorderen Plätzen rangieren der Arzt, dann kommen Krankenpfleger und Polizisten. "Der Haken ist, dass diese Befragungen sich häufig auf sehr bekannte und klar umrissene Berufe beziehen, die für große gesellschaftliche Werte wie Gesundheit oder Bildung stehen", sagt Arbeitssoziologin Friedericke Hardering, die an der Uni Frankfurt das Sinnerleben im Job erforscht. Es sind eben die Berufe, die einem in Kindertagen als erste einfallen, wenn man nach dem Traumjob gefragt wird. Es sind die Orientierungsmarken im wuchernden Dschungel der Tätigkeiten. "In vielen spezialisierten Berufen ist der gesellschaftliche Nutzen von außen nicht so schnell ersichtlich, vielleicht aber aus der Binnenperspektive der Tätigen sofort klar", sagt Hardering. Was Bullshit ist und was in Laienaugen nur so wirkt, das ist nicht einfach zu unterscheiden.

Und für die Stelleninhaber erstaunlicherweise mitunter nicht einmal relevant. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ermittelt regelmäßig, als wie sinnvoll Arbeitnehmer ihre Jobs empfinden. Eine nicht ganz unerhebliche Minderheit von 35 Prozent hat demnach zwar den Eindruck, mit ihrer Arbeit keinen oder einen unwesentlichen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten, also eine Tätigkeit zu verrichten, auf die Welt eigentlich verzichten kann. Allerdings vollbringen viele von ihnen das Kunststück, ihren Job auch ohne gesellschaftliche Relevanz für erfüllend zu halten: Nur 14 Prozent geben an, dass sie sich nicht oder kaum mit ihrer Arbeit identifizieren. Wir müssen uns Sisyphus als glücklichen Angestellten vorstellen.

Eine absurde Idee? Nicht unbedingt, meint die Soziologin Hardering. "Wie sinnvoll eine Arbeit für die Gesellschaft ist und als wie sinnvoll die Betroffenen sie erleben, muss man trennen", sagt sie. "Der gesellschaftliche Nutzen ist nur ein Faktor für das subjektive Sinnerleben." Daneben gibt es andere: Wie abwechslungsreich ist ein Job? Wie belastend sind die Arbeitsbedingungen? Wie stark können wir unsere Talente einbringen? Schon das Hobby zeigt, dass man etwas mit Freude tun kann, ohne dass es für irgendwas zunutze sein muss.

Arbeit als Surrogat

Bleibt das Rätsel: Warum bezahlt eine Ökonomie Tätigkeiten, die sie nicht braucht? Hier wird Graebers Aufsatz eigentlich erst interessant. Seine Antwort: um sich Loyalität zu erkaufen. Die größten Arbeitssurrogate sind die, die eine Identifikation mit den Reichen und Mächtigen befördern. Es sind die Jobs der Unternehmensberater, der Fachanwälte für Gesellschaftsrecht, der Marketingspezialisten, der promovierten Finanzjongleure. Die Bullshitjobber sind die Hofnarren des Kapitalismus. Je sinnvoller hingegen eine Tätigkeit für die Gesellschaft ist, so Graebers paradoxe Beobachtung, desto schlechter wird sie bezahlt. Je überflüssiger der Job, desto üppiger das Gehalt. Die unten müssen sich mit weniger zufrieden geben, weil sie sich ja einer richtigen Tätigkeit erfreuen können.

Aber wieder durchkreuzt die Statistik das Bild. Vor allem die Hochqualifizierten geben an, dass sie eine sinnvolle Arbeit leisten, fast 95 Prozent sind es laut European Working Conditions Survey. Bei den Geringqualifizierten haben nur 70 Prozent dieses Gefühl. Wie passt das alles zusammen? Irrt Graeber? Oder muss man wieder einmal unterscheiden zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit? Gelingt es den wahrhaftigsten Bullshitjobbern einfach nur am besten, ihr fragwürdiges Tun vor sich zu rechtfertigen? Der Verdacht lässt sich zumindest schwer widerlegen, wenn man manch einen ohne jeden Selbstekel von den Chancen der Restrukturierung oder agilem Management reden hört.

Vielleicht ist am Ende dies der Verdienst des Schlagwortes Bullshitjob: Es lenkt unseren Blick darauf, dass Unsummen auf dem Gehaltszettel noch nichts über die Sinnhaftigkeit aussagt. Und dass der Ausdruck Bullshitjobs am besten als Kampfbegriff taugt, als Forderung von unten nach oben, an die gerichtet, die sich in Strategierunden im Glanz ihrer Bedeutsamkeit sonnen: Wenn ihr das ernsthaft für einen vernünftigen Beitrag zur Gesellschaft halten wollt, dann gebt auch uns die Möglichkeit, unsere Arbeit so zu sehen. Gebt uns anständige Verträge. Sorgt für gute Bedingungen. Bezahlt uns ordentlich.