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59 Sekunden sind das Ziel der „Verspätungspolizei“

Die zahlreichen Verspätungen der Deutschen Bahn sorgen oft für Ärger bei den Kunden Die zahlreichen Verspätungen der Deutschen Bahn sorgen oft für Ärger bei den Kunden
Die zahlreichen Verspätungen der Deutschen Bahn sorgen oft für Ärger bei den Kunden
Quelle: pa/dpa/dpa-ZB
Die Deutsche Bahn will endlich das Problem mit den Verspätungen in den Griff bekommen.
  • Der Konzern hat erkannt, dass ein Hauptgrund Verzögerungen an den Startbahnhöfen sind.
  • Die "Verspätungspolizei" der Bahn verfolgt jetzt ein ehrgeiziges Ziel.

Worum geht es

Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen, Gleis 7, 15.33 Uhr. Die Kontrolleure in ihren blauen Hemden mit dem roten Bahn-Logo erscheinen vier Mann stark auf dem Bahnsteig. Im Grunde wissen sie alles über den, den sie sich gleich vornehmen. Wo er hinwill und um welche Zeit er hier losmuss. Wo er herkommt und wann er für seinen Einsatz bereit gemacht wurde. Jetzt geht es darum nachzuprüfen, ob der ICE 846 Berlin–Hannover–Köln wirklich pünktlich seinen Startbahnhof verlässt. Auch wenn die Wagenreihung mal wieder durcheinander ist: Er tut es. „Was in diesem Fall kein Wunder ist, schließlich wurde er fünf Minuten früher als geplant bereitgestellt“, sagt Klaus-Peter Deuble.

Deuble ist einer von bundesweit 80 Bahnern des sogenannten PlanStart-Teams der Deutschen Bahn (DB). Es soll dafür sorgen, dass die Fernzüge pünktlich von ihren Ausgangsbahnhöfen losfahren. Und ein Start wie der von ICE 846 ist nicht die Regel. Viele Züge rollen schon mit Verspätungen los, schleppen sie auf der Fahrt quer durchs Land mit und bremsen so andere Züge aus, die die Route queren oder im Anschluss unterwegs sind. Ein Dominoeffekt entsteht, mit jeder Stunde gerät der Fahrplan so ein wenig mehr durcheinander. Züge, die bereits zu spät ihre Tagestour antreten, sind einer der Hauptgründe für die Verspätungen bei der Bahn.

Männer wie Deuble oder sein Kollege Tom Görlitz sollen dafür sorgen, dass die Züge zumindest an den zehn großen Knoten im Land, also Bahnhöfen wie Köln, Frankfurt, Hamburg oder eben Berlin, rechtzeitig abfahren. „Wir sind die Verspätungspolizei der Bahn“, sagt Görlitz. Die sechs in Berlin stationierten Mitarbeiter kontrollieren jeden Fernzug in Gesundbrunnen oder am Ostbahnhof, nehmen die Zeit und forschen bei Verzögerungen systematisch nach den Ursachen, um sie abzustellen.

Das ist neu. „Kollegen wie die Fahrdienstleiter machen ihre Schicht und schauen, dass in ihrer Dienstzeit alles möglichst reibungslos läuft. Wenn sie nach Hause gehen, ist für sie die Sache erledigt, auch der Grund für eine Störung. Das ist schließlich nicht ihr Job. Aber dann fangen wir an zu ermitteln“, sagt PlanStarter Matthias Wolf.

Das ehrgeizige Ziel der Verspätungspolizei

Dann fahnden die Verspätungspolizisten in den ICE-Werken nach den Problemen bei der Wartung, schauen, ob die Abstände bei der Zugfolge und die Gleisbelegungen optimal sind. „Man macht sich dabei nicht immer Freunde und stellt auch unangenehme Fragen“, sagt Ricardo Metze, von den Berliner PlanStartern. „Aber im Grunde haben ja alle Kollegen das Ziel, möglichst pünktlich zu sein.“

Für den Dienstag und Mittwoch dieser Woche hat sich die Verspätungspolizei ein besonders ehrgeiziges Ziel vorgenommen: An den beiden Tagen sollen an den zehn großen Bahnhöfen alle Züge, die dort beginnen, absolut pünktlich loskommen. Das heißt, keiner darf mehr als 59 Sekunden nach der im Fahrplan vorgegebenen Zeit starten. „100%-Tage“ heißt die Aktion. In der allgemeinen Pünktlichkeitsstatistik der Bahn gilt ein Zug, der mit einer Verspätung von 5:59 Minuten oder weniger seinen Zwischenhalt oder die Endstation erreicht, als pünktlich.

Die Zeit, in der die Deutsche Bahn große, globale Strategien verfolgen konnte und über riesige Zukäufe nachdachte, sind lange vorbei. Seit sich immer neue Probleme auftun, 2015 ein Milliardenverlust anfiel, der Regional- und Schienengüterverkehr schwächeln, muss sich Konzernchef Rüdiger Grube immer stärker darum kümmern, dass die Züge möglichst problemlos und rentabel fahren. Und dass die chronischen Verspätungen abgebaut werden. Dass ihm das gelingt, ist eine von drei Bedingungen, unter denen die Bundesregierung seinen Vertrag als Bahnchef über das Jahr 2017 hinaus verlängert. Das hatte Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) vor einigen Tagen klargestellt.

Viele Zügen starten zu spät

Grube, der am Dienstag 65 Jahre alt wurde, würde gerne noch einige Jahre Bahnchef bleiben. Aber nur 74,5 Prozent der Züge waren im vergangenen Jahr pünktlich, derzeit liegt die Quote bei 78,7 Prozent. 80 Prozent ist das Ziel für dieses Jahr. Aber hinter jeder Verbesserung um einen Prozentpunkt steckt ein unglaublicher Kraftakt. Es gibt einige im Konzern, die das System Schiene wirklich gut kennen, die das 80-Prozent-Ziel längst abgeschrieben haben. Grube nicht. Und die PlanStart-Mannschaft auch nicht.

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Quelle: Die Welt

Die Gründe für die Verspätungen im Schienenverkehr sind vielfältig. Bauarbeiten gehören dazu, Zugausfälle, Störungen auf den Trassen wie kaputte Weichen oder Oberleitungen. Hitze oder klirrende Kälte, „Menschen im Gleis“ oder Selbstmörder sowie Staus, weil zu viel los ist im Netz. Und eben das Problem, dass viele ICE-, IC- oder EC-Züge einfach zu spät starten. Im Bahn-Deutsch spricht man von „Beginnplanmäßigkeit“. 2014 lag die bei den zehn großen Knoten bei gerade mal 60 Prozent. Da überraschen die insgesamt schlechten Pünktlichkeitswerte nicht.

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Dass schon beim Start gepatzt wird, hat viele Gründe. Die Wartung dauert länger als geplant, Züge, die in den Einsatz sollen, sind einfach nicht da, die Abfertigung verzögert sich, weil die Menschentrauben nicht so schnell wie geplant die Abteile entern. Oder der Lokführer lässt sich einfach etwas Zeit. Was machen schon ein, zwei Minuten bei der Abfahrt, denkt sich der ein oder andere. Schließlich gibt es Puffer im Fahrplan. Nur: Wenn man wertvolle Minuten schon von Beginn an ausreizt, ist der Puffer weg, wenn man ihn wirklich braucht.

Also forschen die PlanStarter nach Verspätungsgründen, machen Verbesserungsvorschläge – wie beispielsweise größere Zeiträume zwischen den Abfahrten. Das entlastet das Netz. Oder schlagen besser anfahrbare Gleise in den Bahnhöfen vor, unter anderem solche ohne Krümmung. Dort können Züge schneller abgefertigt werden, weil die Zugbegleiter schneller den Überblick haben. Oder sie sprechen mit Lokführern und den Bahnern in den Werkstätten über Möglichkeiten, Zeit zu sparen.

Die traurige Statistik in Köln

Neu ist an dieser Taskforce, dass sie nicht wie früher nur ein befristetes Projekt ist, sondern eine Dauereinrichtung. Und dass dort Kollegen verschiedener Geschäftsfelder zusammenarbeiten: DB Netz, DB Fernverkehr, DB Station&Service. Das sind alles eigene Gesellschaften mit eigenen Zielen und Geschäftsabschlüssen. Natürlich redet man zusammen, kooperiert. Aber in PlanStart-Gruppen geht das schneller, direkt – und ohne, dass man dort nur die Brille einer Sparte aufhat.

Erfolge sind nötig. Der Knoten Köln hatte 2015 eine traurige „Beginnplanmäßigkeit“ von 46,0 Prozent. Auf Deutsch: Nicht mal jeder zweite Fernzug von dort startete pünktlich. In Hamburg-Altona waren es 72,6 Prozent, in Hannover 61,3, am Berliner Ostbahnhof 60,8 Prozent. „Wir sind jetzt seit einem halben Jahr im Einsatz, seither hat sich auf den zehn großen Bahnhöfen die Abfahrtspünktlichkeit um 20 Prozent erhöht“, sagt Klaus-Peter Deuble. Am Berliner Ostbahnhof lag die Quote im Juli zum Beispiel bei 72,4 Prozent. Inzwischen werden weitere Bahnhöfe von PlanStart einbezogen, zum Beispiel Berlin-Gesundbrunnen oder die Hauptbahnhöfe in Hamburg oder Bremen.

Käme man auf den zehn großen der über 5000 Bahnhöfe im Land auf eine Pünktlichkeit zum Start des Zuges von 90 Prozent, würde allein das die Gesamtpünktlichkeit der Deutschen Bahn im Fernverkehr um 1,8 Prozentpunkte steigern, haben die PlanStarter ausgerechnet.

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