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SPD-Chef Schulz uneins mit Union bei Flüchtlingspolitik

Keine Interviews, keine Talkshow-Auftritte - das war der Plan, um die Sondierungen zwischen SPD und Union nicht unnötig zu stören. Martin Schulz und auch andere SPD-Politiker weichen ab und erteilen der CSU gute Ratschläge.
Martin Schulz

Martin Schulz

Foto: Jörg Carstensen/ dpa

Sie hatten sich einSchweigegelübde auferlegt. Keiner der an den Sondierungsgesprächen Beteiligten solle in Interviews oder Talkshowauftritten die Atmosphäre mit unnötigen Wortmeldungen stören. Klappt offensichtlich ganz prima. Der SPD-Vorsitzende Martin Schulz fordert in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung den CSU-Chef Horst Seehofer zu klaren Worten in Richtung des umstrittenen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban auf.

Vor allem in der Flüchtlingspolitik verfolge Orban eine "gefährliche Logik", so Schulz in Richtung Seeon, wo die CSU-Landesgruppe am heutigen Freitag ihre Winterklausur beginnt. "Ich erwarte, dass Herr Seehofer ihm bei diesem Thema und auch bei den Themen Presse- und Meinungsfreiheit ganz klare Grenzen aufzeigt." Orban ist am Freitag Gast auf der Winterklausur.

Ungarn steht in der EU in der Kritik, weil das Land Quoten bei der Flüchtlingsverteilung ablehnt. Darüber hinaus werfen Kritiker Orban vor, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn abzubauen. Der rechtskonservative ungarische Regierungschef gilt aber als Freund der CSU - Seehofer hatte die Einladung Orbans zuletzt verteidigt.

CDU, CSU und SPD wollen ab Sonntag mit ihren einwöchigen Sondierungen beginnen und Möglichkeiten einer Regierungsbildung ausloten - unmittelbar nach Ende der CSU-Klausur in Seeon. Die Tagung der CSU-Bundestagsabgeordneten dauert bis Samstag, zuletzt hatte die CSU zentrale Forderungen wie die einer Obergrenze bei der Migration sowie einer weiteren Aussetzung des Familiennachzugs für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus bekräftigt.

In den Papieren, die die Landesgruppe beschließen will, ist auch die umstrittene Forderung enthalten, bei jungen Flüchtlingen "standardmäßig durch geeignete Untersuchungen" das Alter feststellen zu lassen. Schulz hält nichts davon. Man könne nicht "aus jedem Einzelfall eine Gesetzesänderung ableiten", sagte er der "Bild". Auslöser der laufenden Debatte war ein Fall im rheinland-pfälzischen Kandel, wo ein angeblich minderjähriger Flüchtling seine 15-jährige Ex-Freundin getötet haben soll.

Zu Knackpunkten in den Sondierungen könnten der Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus und die von Teilen der CSU präferierte Rückführung syrischer Flüchtlinge werden. SPD-Außenpolitiker Niels Annen bezeichnete diese Forderung als "unstillbares Profilierungsbedürfnis der CSU". Er sagte der "Welt", es könne keine Rede davon sein, "dass der Konflikt in Syrien beendet oder die Sicherheitslage in weiten Landesteilen signifikant besser wäre". CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter distanzierte sich ebenso von diesen Forderungen aus der CSU. "Von vorneherein Abschiebungen nach Syrien zu befürworten, halte ich für verfrüht."

Schulz betonte in der "Bild", es dürfe auch keine Verlängerung des Familiennachzugs-Stopps für syrische Flüchtlinge geben. "Deutschland muss sich an internationales Recht halten, unabhängig von der Stimmung im Land oder in der CSU." Wenn die CSU bei ihrem Nein bleibe, werde sich zeigen, "ob Frau Merkel und Herr Seehofer eine stabile Regierung mit der SPD bilden wollen oder nicht". Der SPD-Chef forderte eine gemeinsame Leitidee für eine Regierung: "Wir müssen Deutschland erneuern. Das stärkt den Zusammenhalt. Und das schafft dann neues Vertrauen beim Bürger."

Der Fahrplan zur Regierungsbildung

4. bis 6. Januar:Die CSU-Landesgruppe trifft sich zur Klausurtagung im Kloster Seeon.7. Januar: Ab diesem Tag beginnen die Regierungssondierungen.Zweite Januarwoche: Heiße Phase der Sondierungen, in der beide Seiten Kernprojekte und Kompromisslinien festlegen. Am 12. Januar soll ein Ergebnis vorliegen, mit dem sich die jeweiligen Parteigremien befassen können. 21. Januar: Ein SPD-Sonderparteitag soll in Bonn über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU entscheiden. Bei der CDU soll der Vorstand darüber entscheiden. 22. Januar: Bei einem Ja der SPD können ab diesem Tag konkrete Verhandlungen beginnen. Der Koalitionsvertrag soll nicht wieder so detailreich und fast 200 Seiten stark wie beim letzten Mal sein, um Raum für lebendige Debatten und Entscheidungen im Bundestag zu geben.Mitte Februar: Ein SPD-Mitgliederentscheid könnte dann über den Vertrag und die neue Regierung abstimmen. Das kann bis zu drei Wochen dauern und zwei Millionen Euro kosten.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki vermutet angesichts der CSU-Sticheleien in Richtung SPD, dass die Christsozialen nicht unbedingt eine große Koalition anstreben. "Eine neue Bundesregierung in Berlin zu bilden, ist der CSU völlig egal. Sie nimmt sogar in Kauf, dadurch Angela Merkel zu stürzen", sagte er den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (Freitag). "Schafft es die geschäftsführende Bundeskanzlerin ein zweites Mal nicht, eine Regierung zu bilden, ist sie politisch derart desavouiert, dass es ihr kaum möglich sein wird, erneut als Spitzenkandidat der Union anzutreten", befand Kubicki. "Der CSU wäre offensichtlich eine Neuwahl parallel zur Landtagswahl die liebste Option."

Zwei neue Umfragen untermauern die Skepsis der Bundesbürger mit Blick auf eine Neuauflage der großen Koalition. In einer Insa-Umfrage im Auftrag des Nachrichtenmagazins "Focus" befürworteten 34 Prozent der Befragten eher eine Neuwahl, nur 30 Prozent eine große Koalition. Im ARD-"Deutschlandtrend" bewerteten 45 Prozent der Befragten eine Koalition aus Union und SPD als sehr gut oder gut - 52 Prozent bezeichneten sie hingegen als weniger gut oder sogar schlecht.

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jat/dpa