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Präsidentschaftswahl in Chile Ein tollpatschiger Milliardär vor dem Comeback

Die Chilenen spotten über peinliche Versprecher, dazu kommen Skandale aus der Vergangenheit. Dennoch dürfte der Milliardär Piñera zum zweiten Mal Präsident werden. Wie kam es zu dem erstaunlichen Comeback?
Sebastian Piñera

Sebastian Piñera

Foto: CLAUDIO REYES/ AFP

Wer in Chile seine Rechnungen mit Karte zahlt, der wusste bis vor kurzem immer: Ein prominenter Landsmann verdient bei jeder Transaktion mit. Sebastian Piñera, milliardenschwerer Unternehmer und Gründer der "Bancard"-Holding, häufte einen großen Teil seines Reichtums mit dem System für Kartenzahlung an. Ende der Achtzigerjahre trieb er das Zahlen mit Kreditkarte in Chile voran.

Damals ahnte noch niemand, dass der konservative Mann aus gutem Hause, der oft besserwisserisch und streberhaft daherkommt, mal Chiles Präsident werden würde. Piñera regierte den schmalen Staat zwischen Anden und Pazifik bereits von 2010 bis 2014. Wenn sich die Meinungsforscher nicht dramatisch irren, wird er es auch von 2018 bis 2022 wieder tun.

Er führt die Umfragen für die erste Runde der Präsidentenwahl am Sonntag deutlich an. Ihm sagen die Meinungsforscher 44,4 Prozent der Stimmen voraus. Seine beiden Verfolger, Alejandro Guillier vom regierenden Mitte-links-Bündnis "Nueva Mayoría" und Beatriz Sánchez von der neuen Linksformation "Frente Amplio" stehen bei 19 beziehungsweise 8,5 Prozent. Es scheint also nur um die Frage zu gehen, ob Piñera schon am Sonntag die 50-Prozent-Hürde nimmt oder in die Stichwahl am 17. Dezember muss.

Wer sich dieser Tage in Chile umsieht, wundert sich, dass der 67-jährige Kandidat der Formation "Chile vamos" (etwa: Vorwärts Chile) so einsam seine Kreise zieht. Auf manchen Wahlplakaten haben Unbekannte seinen Kopf rausgeschnitten. Auf einer Mauer in Santiago steht gesprüht: "No+Piñera", "nicht mehr Piñera".

Die Medien finden eine Unregelmäßigkeit nach der anderen in seiner Vergangenheit, wobei es mal um Steuervermeidung und mal um mögliche illegale Wahlkampffinanzierung geht. Immer wieder wird hinterfragt, ob sich der siebtreichste Chilene wirklich von seinen vielen Unternehmen getrennt hat, wie es das Gesetz vorschreibt. Die Bevölkerung witzelt über seine Pedanterie, seine legendären Versprecher, Wortverdrehungen und Stolperer, die unter dem Schlagwort "Piñericosas" (etwa: Piñera macht Sachen) in den sozialen Netzwerken die Runde machen.

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Analysten bezeichnen ihn als Zahlenmenschen, der zwar einen guten Riecher für Geschäfte hat, dem aber wichtige Eigenschaften für Politiker abgehen: Charisma und Empathie.

Doch Piñera ist wie Teflon, nichts bleibt an ihm haften.

Gloria de la Fuente von der "Fundación Chile 21" hat eine Erklärung: "Die Wahl gewinnt nicht Piñera, sondern die regierende Linkskoalition von Präsidentin Michelle Bachelet wird sie verlieren", sagt die Direktorin des Thinktanks in Santiago im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Bachelet und ihr Kabinett hätten weder ihre Agenda klar umgesetzt, noch habe die Präsidentin Führungsqualitäten bewiesen.

Tatsächlich hat sich die Staatschefin zwischen alle Stühle gesetzt. Sie ging mit einer historisch großen Mehrheit im Parlament die Strukturreformen an, welche die wirtschaftlichen und sozialen Altlasten der Pinochet-Diktatur abschaffen sollten. Die Präsidentin wollte das Bildungssystem weitgehend kostenfrei stellen, die Hauptforderung der großen Studentenproteste von 2011. Sie hat eine Steuer- und Arbeitsmarktreform angeschoben, ein gerechteres Wahlrecht geschaffen, und in dem Land, in dem bis 1999 Homosexualität noch ein Straftatbestand war, gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften legalisiert.

Aber den einen gingen die Reformen nicht weit genug, den anderen sind sie des Teufels. Alles, was die Rolle des Staates in Bildung, Wirtschaft und Gesundheit erhöht, ist für viele Menschen in dem neoliberalen Paradies die Vorstufe zum Kommunismus.

Piñera wird nicht geliebt, aber respektiert

Und so rieb sich Bachelet auf. Letztlich stand der Staatschefin auch die Konjunktur nicht zur Seite. In ihrer Amtszeit sackte das Wachstum der südamerikanischen Vorzeigeökonomie auf durchschnittlich zwei Prozent ab, weil der Weltmarktpreis für Kupfer, das mit Abstand wichtigste Exportprodukt Chiles, absackte. Und so scheidet die laut "Forbes" einflussreichste Frau Lateinamerikas mit einer extrem niedrigen Zustimmungsrate von nur noch 20 bis 25 Prozent aus dem Amt.

Unterstützer von Sebastian Piñera

Unterstützer von Sebastian Piñera

Foto: MARTIN BERNETTI/ AFP

Piñera wird zwar nicht geliebt, aber ihm traut die Bevölkerung am ehesten zu, die Wirtschaft wieder in Gang zu bekommen und Arbeitsplätze zu schaffen. Schließlich hat er als Unternehmer viele Jahre das Leben seiner Landsleute geprägt. Sie wohnen in Wohnungen, die er bauen ließ, flogen mit seiner Airline Lan Chile, schauten die Telenovelas seines Senders Chilevisíon und jubelten dem Hauptstadt-Fußballklub Colo-Colo zu, an dem er Aktien hielt. Irgendwie kam kein Chilene an dem Harvard-Absolvent Piñera vorbei. So häufte er über die Jahre 2,7 Milliarden Dollar an, wie "Forbes" kürzlich berechnete.

Von vielen seiner Unternehmungen hat er sich schon getrennt, bei anderen fällt es ihm schwer. "Bancard", das Karten-Zahlsystem und die dazugehörigen internationalen Investitionen liegen laut Piñera jetzt in einem Blind Trust, einem Treuhandfonds, auf den er keinen Einfluss mehr ausüben kann. So versucht er den Vorwurf zu umgehen, er habe die Unternehmen seiner Familie vermacht oder an Strohmänner überschrieben.

Verschiedentlich wurde Piñera als der Donald Trump Chiles bezeichnet. Eine Zuschreibung, die Politologen wie Caudio Fuentes für absurd halten: "Piñera hat eine klar umrissene Agenda, ein definiertes Team, und er regiert nicht über soziale Netzwerke", sagt der Professor von der Universität Diego Portales. "Er hat eine ganz andere Persönlichkeit."

Allerdings, so sind sich die Experten einig, werde er manche Reformen von Bachelet wie die Bildungs- und die Steuerreform so weit wie möglich rückgängig machen. "Und er wird bei den Investitionen und der Inneren Sicherheit Gas geben", vermutet Claudio Fuentes.