„Erdogan freut sich, wenn aus Europa Kritik kommt“

Der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland.

Interview mit dem Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, zu Erdoğans Politik und den Nachwirkungen des Putschversuches.

Der studierte Sozialpädagoge ist seit 2014 Bundesvorsitzender der Interessenvertretung türkischstämmiger Deutscher und in Deutschland lebender Türken.

EURACTIV: Wird die Türkei jetzt – nach den zahlreichen Festnahmen und Entlassungen am Wochenende – endgültig zu einem undemokratischen Ein-Mann-Staat?

Gökay Sofuoglu: Wenn man sich zurzeit die Ereignisse in der Türkei anschaut, dann ist das leider die Entwicklung, die sich gerade abzeichnet. Es kann nicht sein, dass sich die Türkei immer weiter zu einem Land des Nahen Ostens entwickelt. Was wir wollen ist eine demokratische Türkei, die Menschenrechte achtet und in der Demokratie Priorität hat.

EURACTIV: Als Reaktion auf diese Ereignisse hat die Bundesregierung angekündigt, dass die Einführung der Todesstrafe das Ende für die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei bedeuten würde. Auch die Visa-Freiheit für türkische Bürger liegt jetzt wohl erstmal auf Eis. Ist das der richtige Weg, um Stärke zu zeigen?

Sofuoglu: Bei diesem Verhalten zeigt sich die Doppelmoral der Europäischen Union. Man tut so, als ob man vor dem Putschversuch einen EU-Beitritt der Türkei befürwortet hätte. Jetzt droht man mal wieder der Türkei. Die EU ist in den letzten Jahren nicht ehrlich mit der Türkei umgegangen, was dazu geführt hat, dass viele Menschen in der Türkei der EU nicht mehr trauen.

EURACTIV: Können Drohungen und Druck denn erfolgreich sein, oder bestärken sie Erdoğan nur in seiner jetzigen Vorgehensweise? 

Sofuoglu: Es stärkt Erdoğan auf jeden Fall, weil Erdoğan gerne auf Feindbilder baut. Er freut sich, wenn aus Europa Kritik kommt. Diese verkauft er dann innenpolitisch als Bevormundung und Fremdbestimmung. Das kommt bei der Bevölkerung gut an.

EURACTIV: Nicht nur in Istanbul und Ankara, sondern auch in deutschen Großstädten sind am Wochenende Tausende Menschen auf die Straßen gegangen und haben gegen den undemokratischen Putschversuch demonstriert. Warum gibt es gerade in Deutschland so viele, loyale Erdogan-Unterstützer?

Sofuoglu: Das lässt sich leicht erklären. Erdoğan hat in den letzen Jahren sehr enge Beziehungen zu den in Deutschland lebenden Türken gepflegt. Im Jahr 2014 kam er für einen Wahlkampfauftritt vor Zehntausenden Menschen nach Köln. Außerdem sind viele Parlamentsabgeordnete der regierenden AKP ständig in Deutschland und unterstützen ihre Anhänger, sie zeigen Präsenz. Das kann man von anderen Parteien nicht unbedingt behaupten.

EURACTIV: Gehen deswegen hierzulande auch spontan so viele Türken gegen einen undemokratischen Putsch auf die Straße, aber nicht wegen der undemokratischen Handlungen der türkischen Regierung, wie beispielsweise die Inhaftierung von Tausenden Oppositionellen?

Sofuoglu: Leider sehen viele Menschen in Erdoğan die einzig wahre Stabilitätsgarantie für die Türkei. Weil das so für andere Politiker nicht gilt, nehmen sie alles auf, was von ihm kommt.

EURACTIV: Wie sieht denn die Gemütslage der in Deutschland lebenden Türken aus? Herrscht Beunruhigung über die Lage in der Heimat, gerade jetzt wo viele Türken für die Sommerferien zurück in die Türkei reisen?

Sofuoglu: Von einer pauschal gleichen Haltung kann man in diesem Fall nicht sprechen. Einige haben ihre Urlaubspläne geändert, andere zeigen eine Trotzreaktion und sagen sich: Jetzt gehe ich erst recht in die Türkei.

EURACTIV: Kann die angespannte Situation in der Türkei denn auch Folgen für das Zusammenleben in Deutschland haben?

Sofuoglu: Ich befürchte schon. Es ist leider so, dass die türkische Innenpolitik fast Eins zu Eins das Leben der Türken hierzulande beeinflusst. Dies führt dazu, dass sich Türken in Deutschland immer mehr mit den innenpolitischen Ereignissen der Türkei beschäftigen und dies in der deutschen Öffentlichkeit folglich auch mehr wahrgenommen wird. Was die türkische Politik angeht, ist es gut, dass sich alle Parteien geschlossen gegen den Putsch gestellt haben – sogar die kurdische HDP. Das ist einmalig in der Geschichte der Türkei und wäre eine gute Chance für einen offeneren Dialog.

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