Glyphosat-Zulassung:Auf der Kippe

Kinderspielplatz in München, 2014

Nach dem Willen des EU-Parlaments sollte der Einsatz von Glyphosat auf Kinderspielplätzen grundsätzlich verboten werden. Die EU-Kommission sieht das anders.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Eklat um Glyphosat: Die Bundesregierung ist heillos zerstritten. Das stellt auch die Neuzulassung des von vielen gefürchteten Pestizids infrage.

Von M. Balser, T. Kirchner und S. Liebrich, Berlin/Brüssel/München

Die Neuzulassung des umstrittenen Unkrautvernichters Glyphosat steht überraschend auf der Kippe. Nach neuen Auseinandersetzungen innerhalb der Bundesregierung muss sich Deutschland - bislang als Zünglein an der Waage gehandelt - bei der entscheidenden Abstimmung kommende Woche auf EU-Ebene enthalten. Am Donnerstag wurde bekannt, dass Umweltministerin Barbara Hendricks und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sowie die beteiligten SPD-Minister einen ausgehandelten Kompromiss der großen Koalition aufgekündigt haben.

Da nur das CSU-geführte Landwirtschaftsministerium den Stoff erlauben will, muss sich die Bundesregierung in Brüssel enthalten. Damit ist unklar, ob es eine Verlängerung für Glyphosat in Europa geben wird. "Es dürfte eine Herausforderung werden, dafür die Mehrheit zu bekommen", verlautete am Donnerstag aus der Bundesregierung. Frankreichs Umweltministerin Ségolène Royal hat bereits vergangene Woche angekündigt, dass das große EU-Land am 18. Mai gegen das Pestizid stimmen wird. Ein erster Abstimmungsversuch war im März gescheitert, weil sich die Mitgliedsländer uneinig waren.

Brüssel will den Stoff für neun Jahre zulassen, ohne große Einschränkungen

Grund für den Streit um das meistverkaufte Pestizid der Welt sind vor allem ungeklärte Risiken. Während etwa Experten der Weltgesundheitsorganisation Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend" für Menschen einstufen, kommen die EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) und das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zu der Einschätzung, es sei bei sachgerechter Anwendung nicht gesundheitsschädlich. Weitere Risikobewertungen laufen derzeit noch, etwa die der europäischen Chemikalienbehörde Echa. Umweltministerin Hendricks bekräftigte ihre ablehnende Haltung: "Vor dem Hintergrund nach wie vor bestehender Unsicherheiten über die gesundheitlichen Risiken von Glyphosat werden die SPD-geführten Ressorts einer Verlängerung für die Zulassung von Glyphosat nicht zustimmen." Umweltschützer begrüßten die Entscheidung. "Das ist ein starkes Signal für den Umwelt- und Verbraucherschutz in Europa", sagte BUND-Vorsitzender Hubert Weiger. In Berlin löst der Schwenk der SPD-Ministerien im Ressort von Agrarminister Christian Schmidt (CSU) dagegen großen Ärger aus und könnte einen neuen Streit in der Regierung entfachen. Nach Angaben aus Kreisen der beteiligten Ministerien hatte die SPD-Fraktion auf ihrer jüngsten Sitzung Druck auf die eigenen Minister ausgeübt, der in der Öffentlichkeit umstrittenen Zulassung schärfer entgegenzutreten. Zumindest das Wirtschaftsministerium habe bis vor kurzem noch erklärt, keine Einwände gegen eine Neuzulassung zu haben, hieß es in Berlin. "Ich habe überhaupt kein Verständnis für die "Rolle rückwärts" der Kollegen Gabriel und Hendricks", sagte Agrarminister Schmidt. Es habe eine gemeinsame Position gegeben.

Für die EU-Kommission würde eine Enthaltung Deutschlands einen herben Rückschlag bedeuten. Sie hatte gehofft, ihr neuer Vorschlag werden auf breite Zustimmung stoßen. Dieser sieht vor, Glyphosat für neun anstatt 15 Jahre zuzulassen - ohne größere Einschränkungen, wie sie zuletzt das Europäische Parlament gefordert hat. Die Abgeordneten wollten unter anderem untersagen, dass das Mittel in öffentlichen Parks, auf Kinderspielplätzen, auf Schulgeländen und Bahnanlagen eingesetzt wird. Ein klares Verbot sieht die Vorlage der Kommission nicht vor. Darin heißt es lediglich, die Länder sollten darauf achten, den Einsatz in diesen sensiblen Bereichen "zu minimieren oder zu verbieten". Klare Auflagen für den Einsatz in der Landwirtschaft enthält der Vorschlag ebenfalls nicht. Der besonders umstrittene Einsatz kurz vor der Ernte, um etwa die Reife von Getreide zu beschleunigen, bleibt weiterhin erlaubt. Auch hier beschränke sich der Vorschlag auf unverbindliche Empfehlungen, kritisiert der EU-Abgeordnete Martin Häusling von den Grünen.

Theoretisch könnte sich die EU-Kommission auch über ein ablehnendes Votum der Länder hinwegsetzen, so sehen es die Regularien vor. Die Regierung in Brüssel hat jedoch in der Vergangenheit anklingen lassen, dass sie ihre Mitglieder in dieser Frage nicht übergehen werde. Eine Abstimmung werde es nächste Woche nur geben, wenn sich eine klare Mehrheit für eine Neuzulassung abzeichne, teilte die Kommission am Donnerstag auf Anfrage mit.

Bauernverbände und Hersteller drängen unterdessen auf eine Genehmigung. Für die Landwirtschaft sei das Pestizid ein unverzichtbares Hilfsmittel, heißt es dort. Doch die Produzenten stehen unter Druck, Rückstände des Mittels lassen sich inzwischen in vielen Lebensmitteln nachweisen. Die Entscheidung Brüssels über die Zukunft von Glyphosat wurde deshalb auch immer wieder zur Entscheidung über künftige Methoden der Landwirtschaft erklärt.

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