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BND-Affäre Kanzleramt soll schon 2008 vor NSA-Spionage gewarnt worden sein

In der BND-Affäre setzen neue Erkenntnisse das Kanzleramt unter Druck. Angeblich informierte der BND seine Kontrolleure schon früh über die Versuche der NSA, eine deutsche Kooperation für Industriespionage zu missbrauchen.
BND-Lauschstation in Bayern

BND-Lauschstation in Bayern

Foto: AP

Neue Erkenntnisse in der BND-Affäre lassen die politische Aufsicht des Auslandsgeheimdienstes nicht gut aussehen. Die "Bild am Sonntag" berichtet über Aktenvermerke, laut denen die sogenannte Fachaufsicht des deutschen Nachrichtendienstes schon 2008 darüber unterrichtet wurde, dass die amerikanische National Security Agency (NSA) versuchte, über den BND auch europäische Firmen wie EADS oder Eurocopter auszuspionieren.

Der neue Skandal betrifft eine der umstrittensten Kooperationen des BND mit der NSA. So vereinbarten Berlin und Washington nach den verheerenden Terrorattacken vom 11. September 2001, dass die Amerikaner auch Daten aus der gerade im Nahen Osten sehr gut aufgestellten elektronischen Aufklärung des deutschen Dienstes erhalten sollte. Allerdings gibt es konkrete Hinweise, dass die NSA mit den Freundschaftsdiensten nicht nur Terror-Ermittlungen, sondern auch Wirtschaftsspionage betrieb.

Der BND hat seit Jahren ein sehr effizientes Netz von Abhörposten errichtet, die Telefon- und Internetverkehr in Krisenländern wie Afghanistan, Iran oder auch Syrien aufschnappen. Der berühmteste ist ein ehemaliger US-Stützpunkt im Bad Aibling. 2002 wurde den USA zugestanden, dass sie den Deutschen sogenannte Selektoren liefern, also Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, und der BND seine Abhör-Datenbanken nach diesen durchsucht und Ergebnisse an den US-Dienst weiterreicht.

Ende vergangener Woche löste eine Unterrichtung des Bundestags und des NSA-Untersuchungsausschusses über die zweckfremden Wünsche der Amerikaner einen politischen Eklat aus. Ungewöhnlich heftig kritisierte das Kanzleramt den BND und machte sogleich "organisatorische und technische" Defizite beim pannenanfälligen Dienst aus. Es schien, als ob der BND seine politische Fachaufsicht mal wieder lange über Probleme im Dunkeln gelassen hatte.

Mehrfach Hinweise auf rechtswidrige US-Praxis

Stimmt der Zeitungsbericht, dreht sich die Lage komplett. Demnach hatte der BND schon 2008 bei der automatischen Überprüfung der von den Amerikanern gelieferten Selektoren Täuschungsversuche festgestellt und die Regierungszentrale in einem streng vertraulichen Bericht 2008 informiert. Damals war Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) Kanzleramtschef und damit für den BND verantwortlich.

Doch auch sein Nachfolger wird durch die neuen Erkenntnisse schwer belastet. So soll dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages ein Dokument aus dem Jahr 2010 vorliegen, das zur Vorbereitung eines Treffens zwischen de Maizières Nachfolger Ronald Pofalla (CDU) und US-Vertretern diente. Auch darin habe der deutsche Nachrichtendienst auf die rechtswidrige Praxis der Amerikaner hingewiesen.

Für das Kanzleramt wird es durch die neuen Erkenntnisse ungemütlich. Dass man dem ungeheuerlichen Verdacht seit 2008 nicht nachgegangen ist und auch nach den Enthüllungen von Edward Snowden nicht genauer hinsah, was sich die NSA eigentlich aus den BND-Datenbanken zog, wäre ein ungeheuerlicher Vorgang. Im Kern würde er die öffentlich vorgebrachte Verve zur Aufklärung und zum Schutz von deutschen und europäischen Bürgern komplett zu Fall bringen.

Der BND hingegen würde durch die Erkenntnisse weitgehend entlastet. Ende der Woche wurde bereits über die Demission des Präsidenten Gerhard Schindler spekuliert, da er sein Wissen über die Umtriebe der NSA lange bei sich gehalten hatte.

Regierungssprecher Steffen Seibert wollte zu der möglichen neuen Entwicklung zunächst auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE keinen Kommentar abgeben. Über die am Donnerstag verbreiteten Pressemitteilung hinaus gebe es nichts zu sagen, so Seibert am Sonntag. In dem Text hatte Seibert für die Bundesregierung weit reichende Kritik am BND formuliert - es seien "technische und organisatorische Defizite beim BND" identifiziert worden, die es nun abzustellen gelte.

Im Verlauf des Nachmittags folgte schließlich doch noch eine Erklärung Seiberts gegenüber den Agentur dpa. "Die in der 'Bild am Sonntag' aufgeführten Unterlagen hat das Bundeskanzleramt bereits 2014 dem Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt", teilte der Regierungssprecher mit. Und: "Sie liegen dem in Rede stehenden Beweisbeschluss des Untersuchungsausschusses zugrunde und werden darin erwähnt."

Offenließ das Kanzleramt, ob und wie lang der BND mit der NSA bei der Abschöpfung der Firmenkommunikation kooperierte. Laut der "Bild am Sonntag" lehnte der deutsche Auslandsgeheimdienst entsprechende Anfragen der NSA ab, da sie nicht durch das Abkommen mit den Amerikanern über das gemeinsame Vorgehen gegen den Terrorismus standen.

mgb/Mit Reuters und dpa