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RTL-"Extra" über Vierfachschwangerschaft "Meine Güte, mit 65!"

Weil sie unbedingt noch einmal Mutter werden wollte, ließ sich eine Berlinerin mit 65 Jahren künstlich befruchten. Nun trägt sie Vierlinge aus. Die RTL-Sendung "Extra" klärte nicht genug über die Risiken auf, sondern bediente bloßen Voyeurismus.
Annegret Raunigk (l.) mit RTL-Moderatorin Schrowange und Tochter

Annegret Raunigk (l.) mit RTL-Moderatorin Schrowange und Tochter

Foto: Hans-Joachim Pfeiffer/RTL/dpa
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Eine Schwangerschaft mit 65 - allein das ist schon außergewöhnlich. Doch damit nicht genug: Annegret Raunigk, bereits 13-fache Mutter, will nach Erreichen des Rentenalters noch Vierlinge zur Welt bringen. Für die RTL-Sendung "Extra" hat Moderatorin Birgit Schrowange die Berlinerin getroffen.

Sie sei unentschlossen, was sie von dieser Geschichte halten soll, gibt Schrowange zu Beginn ihrer Sendung zu. Entsprechend zaghaft tritt sie dann auch im Gespräch mit Raunigk auf: "Meine Güte, mit 65", Schrowange lächelt, als ob es sich um ein Wunder der Natur handeln würde.

Dabei ist die späte Schwangerschaft natürlich das Werk moderner Reproduktionsmedizin. Die 65-Jährige hatte in der Ukraine sowohl Eizellen- als auch Samenspenden eingekauft, und sich die daraus entstandenen Embryonen einpflanzen lassen. In Deutschland wäre das nicht möglich gewesen, weil das Gesetz die Eizellenspende verbietet.

Kuschelige Homestory-Atmosphäre

Schrowanges Fragen fallen banal aus und kratzen an der Oberfläche. Kein Wunder, dass Raunigk da auf alles eine Antwort hat: Wird sie im Alter von 70 Jahren noch Kleinkinder betreuen können? Sie sei recht fit, warum solle das in fünf Jahren anders sein. Hat sie keine Angst vor kritischen Reaktionen? Jeder müsse doch so etwas für sich selbst entscheiden. Schrowange lächelt.

Es ist nicht ganz klar, warum sie ihre Gesprächspartnerin derart in Watte packt - vielleicht ganz einfach, um die kuschelige Homestory-Atmosphäre des Beitrags nicht zu verderben. Während der Dreharbeiten sei klar geworden, wie toll sich Raunigk und ihre jüngste Tochter (9) verstehen, heißt es zum Beispiel in der Doku - als ob das ein Argument dafür wäre, im Rentenalter weitere Kinder in die Welt zu setzen.

Auch der betreuende Arzt kommt zu Wort, bisher scheint es kaum Probleme zu geben: Sobald welche auftreten, müsse Raunigk aber womöglich bis zum Ende der Schwangerschaft im Krankenhaus bleiben. Auch sei die Gefahr einer Thrombose deutlich erhöht, sagt der Arzt. Dass eine Thrombose tödlich enden kann, sagt er nicht.

Nicht ausführlich genug beleuchtet wird auch die Problematik der Mehrlingsschwangerschaften, die ja besonders häufig bei künstlichen Befruchtungen zustande kommen. Es drohen Entwicklungsstörungen und Frühgeburten, als deren Folge die Gesundheit der Kinder dauerhaft geschädigt werden kann.

Und Schwangere können in die unangenehme Lage kommen, sich für oder gegen eine sogenannte Reduktion entscheiden zu müssen: Dabei werden einzelne Feten abgetötet, um die Chancen für eine gesunde Entwicklung der anderen zu erhöhen. Grade im fortgeschrittenen Stadium einer Schwangerschaft kann das eine traumatische Erfahrung sein.

Indem solche wichtigen medizinischen Fragen umschifft werden, ist die Chance vertan, anhand des absoluten Grenzfalls über Sinn, Unsinn und Risiken der modernen Reproduktionsmedizin aufzuklären. Stattdessen verkommt die Sendung zum bloßen Voyeurismus.

Raunigks Motive werden nicht klar

Gezeigt wird dann noch ein Besuch beim Ehepaar Schindler, das auf natürlichem Wege Vierlinge bekam, die Mädchen sind heute Teenager. Sie könnten sich schlecht vorstellen, mit jemandem im Oma-Alter über Liebeskummer und Schulprobleme zu reden, sagen die Mädchen. Der Vater gibt mit Blick auf den Fall Raunigk zu bedenken, dass die ja "gar keinen Mann" habe. Tatsächlich sind das wohl noch die geringsten Probleme. Auch eine rüstige Oma kann selbstverständlich Kinder großziehen, und Alleinerziehende mit mehreren Kindern sind längst keine Seltenheit.

Tatsache ist: Annegret Raunigk geht ein hohes Risiko ein. Es geht um ihre eigene Gesundheit, aber auch um die der ungeborenen Kinder, um die sie sich kümmern muss - was umso schwieriger wird, wenn sie selbst oder die Babys durch die Risikoschwangerschaft Schaden nehmen. Die Motive der 65-jährigen werden nicht klar und sind auch nicht entscheidend, es dürfte sich wirklich um einen extremen Einzelfall handeln.

Wichtig ist aber, dass die Risiken einer - meist künstlich erzeugten - Mehrlingsschwangerschaft auch für jüngere Frauen als Raunigk zutreffen. Vielen ist unzureichend bewusst, dass die Reproduktionsmedizin nicht unbedingt ein goldener Weg zur Traumschwangerschaft ist, sondern Probleme und Fragen aufwerfen kann, die schwierig zu handhaben sind. So zu tun, als käme selbst eine 65-jährige noch problemlos damit zurecht, vermittelt ein falsches Bild und ist deshalb ärgerlich.

Zur Autorin
Foto: Hanna Lenz

Irene Habich studierte Tiermedizin und Journalistik. Sie arbeitet als freie Wissenschaftjournalistin in Berlin und Hamburg.