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Sibylle Berg

S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Herr Professor verheddert sich

Bizarr: Ein Traditionalist schwadroniert öffentlich von onanierenden Kindern. Vielleicht ja, weil er nicht akzeptieren kann, dass die Welt sich verändert - und die Sexualmoral mit ihr.

Es wäre einfach, sich über die Rede des Professors für Elektrotechnik lustig zu machen , in der er sein Unbehagen über sexuelle Vielfalt und libertären Sexualkundeunterricht zum Ausdruck bringt. Man könnte auf jeden Satz eine Gegenthese erwidern, rhetorische Grundlagenanwendung für Knallköppe, aber das ist zu einfach, denn eigentlich möchte ich den Mann in meine starken Arme nehmen, ihn an mich drücken und flüstern: Ja, du hast recht. Mit deiner verhaltenen Wut, mit deiner Angst, du hast recht, denn die Welt fliegt dir gerade um die Ohren, und alles, woran du geglaubt hast, scheint sich aufzulösen.

Moment, ich muss nur schnell die onanierenden Kinder aus dem Kopf bekommen, von denen der Professor da andauernd spricht - so, geht schon wieder. Ich wollte nicht polemisch werden, sondern verstehen. Und verzeihen, wie Jesus.

Nachdem ich den Professor mit meiner Liebe zugedeckt habe, ihm erklärt habe, dass man so verdammt sauer wird, wenn das Ende sich abzeichnet und alles, wonach man lebte, die Moral, die Gesetze, die Traditionen, nichts mehr bedeutet. Dass Menschen in den Abgrund taumeln, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Noch nicht einmal ein kleines Beet werden die meisten mit ihrem Verstand bepflanzt haben - und nun, nun werde ich traurig, ich schüttle den Professor und raune: So, und nun gebt einfach mal Ruhe (im Raunmodus neige ich zu Verallgemeinerungen). Warum hast du so eine Angst vor Lebensformen, die du nicht verstehst? Warum suchst du dir nicht einen Feind, der die Welt wirklich bedroht? Das sind nicht die Frauen, die du fürchtest, und ja, ich duze dich, meine Zeit ist zu knapp zum Siezen und meine Erziehung war mangelhaft, aber lass doch einfach alle in Ruhe, bitte. Die Kinder werden wachsen, sie werden schlauer sein als du, wenn man sie lehrt, dass Geschlechter wirklich nichts bedeuten, dass jeder sich erfinden kann, dass der Vater in Kleidern rumlaufen kann und die Mutter lesbisch wird oder ein Mann und dass es die Welt nicht bedroht, weil es eben egal ist.

Ein jeder ist im Vollbesitz seiner absoluten Wahrheit

Komm, Professor, mach etwas Vernünftiges. Hilf Obdachlosen in deiner Stadt, koch Essen für sie im Winter. Oder kämpf gegen Lobbyisten. Leg Bedürftigen kostenlose Stromkabel, halte Vorträge gegen Altersarmut oder geh in ein Pflegeheim, die Schwestern entlasten, die Pflegerinnen, die ihre Kinder vernachlässigen, und schwupps fangen die schon wieder das Onanieren an. Ich halte diesen Stuss nicht mehr aus, findet doch bitte endlich mal heraus, warum ihr wirklich wütend seid. So viel Zeit muss sein.

Die Homosexuellen, die Linken, die Frauen, ich werde wahnsinnig - sie sind doch nicht schuld an eurer Alterung. An dem, was ihr vielleicht für Versagen haltet, ihr wütenden Menschen. Okay, ihr seid nicht Bundeskanzler geworden, das macht jetzt eine Frau. Natürlich schlecht, schon gut.

Und dann werde ich müde. Sie können nicht anders, die anderen, weil alle sind wie ich: immer recht habend. Wir werden weiter reden, ein jeder im Vollbesitz der absoluten Wahrheit. Ich reise auch nicht ab und helfe in Ebola-Gebieten, ich sitze zu Hause und wettere vor mich hin, wie sie, wie die meisten.

Wir haben alle recht, wir werden alle bald weg sein, wir werden darauf hoffen, dass die Welt besser wird, und jeder wird darunter etwas anderes verstehen. Aber schön wäre das, wenn wir uns alle einfach in Ruhe lassen könnten.