Schöner Schaum

felix schwenzel, , in artikel    

grosser saal der kalkscheune 2007
grosser saal der kalkscheune 2007

Nach der ersten Republica im Jahr 2007, prophezeihte Martin Schöb in der FAZ der Republica (und Blogs allgemein) eine düstere Zukunft: sie würden konsequent „unterhalb der Aufmerksamkeitsschwelle“ all jener bleiben, die „ihr Leben nicht im Netz verbringen“. Ausserdem würden „meinungsführende Blogs“ ohne die „Bezugsgröße Print“ zusammenfallen, wie ein „Heißluftballon ohne Flamme“.

Neun Jahre später zeigt sich, dass Schöb gleichzeitig recht hatte und fürchterlich daneben lag. Tatsächlich sind viele der „meinungsführenden Blogs“, um die sich die Republica 2007 kristallisierte, in sich zusammengefallen, aber ebenso bröckelt die „Bezugsgröße Print“. Was aber überhaupt nicht bröckelt oder unter Aufmerksamkeitsdefiziten leidet, ist die Republica, sie ist selber zu einer Bezugsgröße geworden und brennt auf höchster Flamme. Waren es 2007 noch 600 bis 700 Teilnehmende, kamen 2015 bereits 7000 Internetnutzer, zehn Prozent davon übrigens als akkreditierte Journalisten und Journalistinnen. Dieses Jahr werden nochmal rund 1000 Menschen mehr erwartet.

Die Republica war von Anfang an eine Gesellschaftskonferenz, auch wenn sie zunächst als nerdige Bloggerversammlung wahrgenommen wurde. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Menschen, die mit dem digitalen Wandel in Berührung kamen, und sprachen aus unterschiedlichsten Perspektiven darüber, wie das Netz Ihr Leben beeinflusst. So spricht der Mathematiker und Wirtschaftsphilosoph Gunter Dueck dieses Jahr schon zum vierten mal darüber, wie der digitale Wandel die Arbeitswelt umkrempelt. 2012 sprach der Regierungssprecher Steffen Seibert darüber, wie das Netz die Regierungsarbeit beeinflusst, der ausgebildete Telefonseelsorger und Aktivist Raúl Krauthausen erzählte im gleichen Jahr, wie er das Netz nutzt, um für gleichbrechtigte Teilhabe zu kämpfen und die Bloggerin und Autorin Anne Wizorek beschrieb im Jahr darauf, wie das Netz und Hashtags den Feminismus verändern.

Über das Leben im Netz, die Arbeitswelt, den digitalen und gesellschaftlichen Wandel, Teilhabe und Gerechitgkeit zu reden, galt vor neun Jahren noch als skandalös selbstreferenziell. Natürlich sind die Themen der Republica nach wie vor selbstreferenziell, aber mittlerweile ist das Themenspektrum der Republica so stark aufgefächert, dass selbst Journalisten, Politiker oder Unternehmer Themen finden, die sie verstehen oder die sie interessieren. Sobald man sich für ein Thema interessiert oder davon betroffen ist, stört Selbstreferenzialität bekanntlich nicht mehr.

Dass der Vorwurf der Selbstreferenzialität mittlerweile überwunden ist, nimmt die Republica in diesem Jahr zum Anlass, sie zum offiziellen Motto zu machen. Auf ihrer Website kündigt die Republica gemeinsames „Zurückblicken und Reflektieren“ an und will allen Gästen „dankend den Spiegel“ reichen: „Du bist die re:publica. TEN ist NET.

Bei oberflächlicher Betrachtung erschliesst es sich vielleicht nicht direkt, aber die Welt — und das Netz ganz besonders — besteht aus Menschen, die sich in vielen verschiedenen (Filter-) Blasen zusammenballen. Normalerweise ist der Austausch zwischen diesen Blasen eingeschränkt, aber einmal im Jahr, wenn Repräsentanten unzähliger Blasen sich in Berlin treffen, bilden sie einen wunderbaren Schaumteppich, der die Republica erst interessant macht.

Dieser Republica-Schaum ist wie das Netz: da ist alles drin, Interessantes, weniger Interessantes, Relevantes und Irrelevantes, Angenehmes und Abstossendes. Der Witz ist, dass man sich das Richtige rauspickt oder besser: einfach reinspringt. Oder noch besser: einfach auf den Hof stellen, Bier trinken und abwarten was passiert. Funktioniert immer. Auf der Republica, im Netz und im Rest der Welt.

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der artikel erscheint parallel (gekürzt und redigiert) in der aktuellen-ausgabe (09/16) der tip berlin, die dafür auch ein honorar gezahlt hat — deshalb enthält der artikel grossbuchstaben. den (schönen) titel hat sich der tip-redakteur erik heier ausgedacht.
wie alle meine artikel, steht auch dieser artikel unter einer cc-lizenz (CC BY-SA 3.0) und kann damit auch von anderen verwendet werden.