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Stabilitätspakt Siegeszug der Weichspüler

Bundeskanzler Gerhard Schröder stößt mit seinen Vorschlägen zur Aufweichung des Stabilitätspakts auf viel Gegenliebe der EU-Kommission. Die Gegner in Brüssel halten sich noch in der Deckung. Die Kritiker in Deutschland murren dafür umso lauter.

Berlin/Brüssel - Die entscheidende Schlacht fand im Herbst 2003 statt. Nach neunstündiger harter Debatte hatten Bundesfinanzminister Hans Eichel und sein französischer Kollege Francis Mer den Rat der Finanzminister hinter sich gebracht. Die Mehrheit entschied sich gegen die Eröffnung eines Verfahrens gegen die Defizitsünder. Die Kritiker schäumten. Die Entscheidung bedeutete den Anfang vom Ende des Stabilitätspakts.

Das Ende kommt jetzt langsam in Sicht. Spätestens auf dem EU-Gipfeltreffen am 22. und 23. März wollen sich die EU-Staaten auf eine Reform des Paktes einigen. Doch während der derzeitige EU-Ratspräsident, der luxemburgische Premier Jean-Claude Juncker, noch um eine gemäßigte Reform ringt, scheinen die Vorentscheidungen für eine radikalere Lösung bereits gefallen zu sein.

Juncker hatte sich bislang noch für eine abgewogene Neuinterpretation der Stabilitätskriterien ausgesprochen und damit den Dogmatikern ebenso eine Absage erteilt wie denjenigen, die auf grenzenlose Flexibilität pochen. Doch abgewogene Positionen haben zurzeit keine Konjunktur in Brüssel. EU-Währungskommissar Joaquin Almunia zeigte sich heute aufgeschlossen gegenüber den Vorschlägen, die Bundeskanzler Schröder in einem am Wochenende veröffentlichten Beitrag in der "Financial Times Deutschland" gemacht hatte. Schröder vertrete in vielen Punkten die gleiche Position wie die Kommission. Beide wollten dem Wirtschaftswachstum mehr Gewicht geben. Einigkeit gebe es auch darüber, mehr als bisher besondere Faktoren wie etwa die konjunkturelle Lage eines jeden Landes bei der Defizitverminderung zu berücksichtigen.

Medienoffensive für die deutsche Position

Schröder hatte in dem Beitrag seine Vorstellungen von einer Reform der EU-Verschuldungskriterien präzisiert: Demnach könne eine richtige Finanzpolitik, die Stabilität und Wachstum gleichermaßen fördere, nicht allein an der Einhaltung der Drei-Prozent-Defizitgrenze gemessen werden. Seiner Ansicht nach sollte die EU-Kommission künftig Kriterien wie Sozialreformen, Ausgaben für konjunkturelle Impulse und besondere Lasten berücksichtigen - und zwar vor der Einleitung eines Defizitverfahrens.

Wenige Tage zuvor hatte Bundesfinanzminister Hans Eichel in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" gefordert, den Automatismus für die Einleitung des Defizitverfahrens zu ändern. So sollte ein Land nur dann Strafzahlungen leisten, wenn es seine Sparverpflichtungen aus eigenem Verschulden nicht erfüllen würde.

Eine schwache Konjunktur würde vor diesem Hintergrund als Entschuldigung gelten.

Der Chef der Sozialistischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz, sekundierte. In Zeiten schwacher Konjunktur müsse ein Überschreiten der Drei-Prozent-Grenze möglich sein, um neue Jobs zu schaffen. Ein buchstabengetreue Auslegung des Pakts erweise sich als "zunehmend negativ".

Selten hatte die Regierung eines EU-Staates im Vorfeld von Verhandlungen in aller Öffentlichkeit derart detailliert ihren Vorstellungen formuliert - und selten kam im Vorfeld der Verhandlungen ein so eindeutigen Votum von der EU-Kommission.

Völlige Aufweichung des Pakts

In den Augen der Fachleute laufen die von Schröder und seinen Gefolgsleuten formulierten Ausnahmetatbestände auf die völlige Aufweichung des Pakts hinaus. "Wenn das Beispiel Schule macht, wird jeder Staat besondere Kriterien formulieren, die dann entlastend berücksichtigt werden müssen", sagt Harmen Lehment, Währungsexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Damit aber werde der Stabilitätspakt zur reinen Verhandlungsmasse. "Wohin das führen könnte, lässt sich gut an den Verhandlungen um die Zuwendungen aus den Fördertöpfen der Gemeinschaft ablesen."

DIW-Chef Klaus F. Zimmermann bezweifelt, dass sich der Kriterien-Katalog überhaupt klar neu definieren lässt. "Die Frage, welcher Faktor in welcher Weise strafmildernd zu berücksichtigen ist, lässt sich schlicht nicht eindeutig beantworten", sagt er.

Die Volkswirte der Bundesbank befürchten gar einen Paradigmenwechsel in der Haushaltspolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten. Konflikte zwischen Finanz- und Geldpolitik würden auf diese Weise wahrscheinlicher.

Opposition läuft Sturm

Auch die Opposition läuft Sturm gegen die Vorschläge. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) sprach von einer "faktischen Abschaffung des Stabilitätspakts". Es gebe in der Praxis dann keine Möglichkeit mehr, die Euro-Staaten an einem ungehemmten Schuldenmachen zu hindern, warnte der CSU-Chef. Der FDP-Wirtschaftsexperte Hermann-Otto Solms warnte vor einem Vertrauensbruch. Viele Länder hätten der Einführung des Euro nur zugestimmt, weil diese mit dem Stabilitätspakt verbunden war. "Wenn das jetzt alles nicht mehr gilt, heißt das, dass die Verlässlichkeit der Stabilität der europäischen Währung nicht mehr gilt."

Die Finanzexperten der CDU, Michael Meister und Dietrich Austermann, warfen der Regierung vor, den Pakt zu begraben. Meister bezeichnete Eichel als "Totengräber" des Paktes. Austermann rügte die Idee, wonach die Strafen bei Verstößen geändert werden sollen. "Wenn die, die gegen die Kriterien verstoßen, noch das Strafmaß festlegen, kann ich den Stabilitätspakt vergessen."

Die geballte Kritik insbesondere aus Expertenkreisen ficht Bundesfinanzminister Hans Eichel jedoch nicht an. Für ihn geht es bei den Morgen beginnenden Verhandlungen in Brüssel nur noch um Detailfragen. Nach Informationen des SPIEGEL steht bereits fest, dass sich die Finanzminister auf eine weit reichende Aufweichung der ungeliebten Vorschriften einigen werden. Anlass für Diskussionen bieten aber noch Ausgabenblöcke, wie Investitionen in Bildung und Forschung.

Auf dieser Basis sollte sich bis zum Frühjahr eine Reform des Stabilitätspaktes zustande bringen lassen, glaubt man im Bundesfinanzministerium - und schiebt gleichzeitig Juncker den schwarzen Peter zu: Die luxemburgische Präsidentschaft biete dafür beste Voraussetzungen.

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