Kunst
Dem Tod neues Leben einhauchen

Vor hundert Jahren, am 25. Januar 1915, starb Ferdinand Hodlers Geliebte und Modell Valentine Godé-Darel –seine Bilder über ihr Sterben bewegen noch heute.

Simon Baur
Drucken
Malen gegen den Tod

Malen gegen den Tod

Zur Verfügung gestellt
Ferdinand Hodler: «La morte», 26. Januar 1915, Öl auf Leinwand, Sammlung Rudolf Staechelin.

Ferdinand Hodler: «La morte», 26. Januar 1915, Öl auf Leinwand, Sammlung Rudolf Staechelin.

Zur Verfügung gestellt

Von 1908 bis zu ihrem tragischen Tod im Januar 1915 erscheint Valentine Godé-Darel in den Bildern von Ferdinand Hodler. In «Linienherrlichkeit», in «Femme joyeuse» oder «La Parisienne» zeigt er sie in tänzerischen, lebensbejahenden Bewegungen. Doch bereits in den frühen Skizzen mit der gemeinsamen Tochter Paulette ist sie von ihrer Krankheit gezeichnet. Mehr als 120 Zeichnungen und Skizzen, sowie 18 Gemälde hat er von der kranken, sterbenden und toten Valentine Godé-Darel geschaffen.

Malen gegen den Tod

Tag für Tag besuchte er sie in der Klinik in Lausanne und später in ihrer Wohnung in Vevey und oft war er mit seinen Resultaten unzufrieden und zerstörte sie, weil sie ihm zu wenig wirklichkeitsgetreu waren. Und er hat sich einige Male versucht plastisch zu schaffen, was er glaubte, in der Malerei nicht zu können. Ferdinand Hodler war sich bewusst, dass er etwas vollkommen Neues schaffen würde, Bilder, die es so vor seiner Zeit nicht gegeben hatte. Der Leichnam Christi im Grabe von Hans Holbein aus dem Basler Museum war ihm aus eigener Anschauung bekannt und kompositorisch lässt sich das hier gezeigte Bild durchaus mit dem vierhundert Jahre zuvor entstandenen Werk vergleichen. Zu gerne hätte man die beiden Bilder, die bis vor kurzem im Museum hingen, in einem Raum zusammengesehen.

Dass die tote Valentine Godé-Darel aus der Sammlung Rudolf Staechelin nicht wiederkehren soll, schmerzt. Das Bild ist in einem bildgeschichtlichen Sinn der moderne Teil eines Diptychons und bildet mit dem Leichnam Christi von Hans Holbein eine kunsthistorische und eine spirituelle Einheit. Nur wenige andere Bilder im Basler Museum strahlen eine so tiefe Aura aus wie der Leichnam Christi und die tote Valentine Godé-Darel. Um das Bild von Hans Holbein im Original zu sehen, reisten selbst Fjodor Michailowitsch Dostojewski und Lenin nach Basel.

Mensch und Landschaft

Das Bild der toten Valentine Godé-Darel ist aus zahlreichen Gründen bemerkenswert. Nicht nur zeigt uns Ferdinand Hodler schonungslos, was er selbst in den vorhergehenden Monaten mit ansehen musste. Er kombiniert den Realismus mit dem speziellen Symbolismus, der ihn lange beschäftigte. Wie im Bild der toten Augustine Dupin, das er 1909 malte, sind am oberen Bildrand drei horizontale Streifen zu sehen. Sie sind nicht nur eine Reminiszenz an den von Hodler betriebenen Parallelismus, er selbst hat die Streifen mit der aufsteigenden Seele der Verstorbenen in Verbindung gebracht. Das Bild wurde auch in vielfacher Weise interpretiert. So sah beispielsweise Georg Schmidt (1939 bis 1961 Direktor des Kunstmuseums Basel) darin eine «kraftvolle spirituelle Dimension», während Dieter Honisch (1975 bis 1997 Direktor der Neuen Nationalgalerie Berlin) schreibt: «Selten ist der Tod so illusionslos, so verzweifelt und so ohne jede Absicht dargestellt worden, wie in diesen Arbeiten Hodlers». Und Katharina Schmidt (1992 bis 2001 Direktorin des Kunstmuseums Basel) kommt zum Schluss: «Der Blick, in die Unendlichkeit gerichtet, bleibt der Endlichkeit verhaftet.» Ohne Zweifel gehören Ferdinand Hodlers Bilder und Skizzen zu den ganz grossen Todesdarstellungen der Kunst des 20. Jahrhunderts. Lange ging man davon aus, Hodler habe am Todestag von Valentine Godé-Darel einige Ölskizzen und ein Gemälde gemalt, die den Sonnenuntergang über dem Genfersee, von Lausanne aus gesehen, zeigen und zu den «abstraktesten» seiner Landschaften zählen. Mittlerweile wissen wir, dass Valentine Godé-Darel nicht in Lausanne, sondern in ihrer Wohnung in Vevey gestorben ist. In den ersten Monaten des Jahres 1918 schuf Hodler eine Gemäldeserie von Sonnenaufgängen über dem Genfersee, die er, oft schlaflos, von seinem Zimmer aus beobachtete. Kompositorisch greift «Le Mont-Blanc aux nuages roses» die Todesdarstellungen von Valentine Godé-Darel auf: Die Streifen im untern Bereich des Bildes kehren wieder, die Konturen des Körpers, selbst die drei Streifen finden in den rosa Wolken eine Entsprechung. Ferdinand Hodler hat mit diesem Bild den Tod besiegt. Es ist geistiger Ausdruck von Lebensbejahung und Transzendenz.

Gegen den Verlust

In mehr als 100 Skizzen und 18 Bildern malte Ferdinand Hodler gegen den drohenden Verlust seiner Geliebten an. Ihn wollte er nicht sprachlos akzeptieren. Die hier abgebildeten Werke, die lange Zeit im Kunstmuseum Basel hingen, sollen mit anderen Bildern der Sammlung Rudolf Staehelin nicht wiederkehren. Es wäre ein grosser Verlust für Basel und sein Museum. Denn explizit bei diesen beiden Werken, genügt es nicht, sich auf die Erinnerung zu verlassen. Man muss die Werke immer wieder und immer wieder neu sehen und sich auf ihre Aura einlassen. Das schafft nur das originale Kunstwerk.